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Die Rekonstruktionswelle rollt. Architekten können sie nicht stoppen – aber sie könnten sie stärker kanalisieren

01.09.20074 Min. Kommentar schreiben

Roland Stimpel

Das gotische Rathaus zu Wesel gefällig oder das Kloster Dargun in Mecklenburg? In Frankfurt das Thurn- und Taxis-Palais, den Festsaal des Gesellschaftshaus im Palmengarten, den Neorenaissance-Turm „Langer Franz“ oder gleich eine halbe Altstadt? In Nürnberg lieber das Pellerhaus oder das Schwedenhaus, in Potsdam das Stadtschoss oder die Garnisonkirche?

Alle diese Bauten gab es einmal, gibt es derzeit nicht – und fast alle dürfte es in ein paar Jahren wieder geben. Über Deutschland rollt eine Welle von Rekonstruktionen. 58 aktuelle Projekte führt das einschlägige „aph-forum“ im Internet auf – ganz oder halb fertige, geplante, geforderte. Überall im Land wollen Parlamente, Bürgergruppen und Vereine lange verschwundene Bauten wieder haben.

Und die Architekten? Einige wenige planen daran. Viele andere, wohl  die große Mehrzahl, lehnen sie vehement ab. Rekonstruktionen gelten als Angriff auf Ehre und Ethik des Berufsstandes: Nicht zeitgenössisch. Nicht ehrlich. Nicht schöpferisch. Keine Baukultur, sondern Zuckerbäckerei. Doch die Kritik der Profis an den Amateuren hat nur selten Erfolg, zum Beispiel bei der verhinderten Rekonstruktion der Leipziger Universitätskirche. Viel öfter bleibt sie unverstanden. Und Aufklärung im Geist der Moderne bringt nach allen Erfahrungen wenig: Auf jeden mühsam aufgeklärten Stadtrat in Deutschland dürften etwa zehn neu erbaute Renaissancegiebel kommen.

Das ist nicht nur ein Problem der Baukultur, sondern auch eins für den Berufsstand. Die grundsätzliche Ablehnung populärer Rekonstruktionsprojekte nährt über den Einzelfall hinaus ein übles, leider verbreitetes Klischee: Architekten würden im Zweifel nicht potenziellen Auftraggebern zur Erfüllung ihrer Bauwünsche verhelfen, sondern nur ihre eigenen Vorstelllungen durchsetzen wollen. So etwas droht besonders dort, wo Architekten nur über Architektur reden, während es Bauherren, Spendern und Befürwortern um etwas ganz anderes geht. Zum Beispiel beim Berliner Schloss. Legt man an das Projekt die Maßstäbe der Moderne an, fällt es glatt durch. Doch der Bundestagsmehrheit, dem Schloss-Förderverein und vielen Bürgern geht es nur vordergründig um den Bau. Hintergründig geht es viel stärker um Historie. Das Gewicht der Vergangenheit ist

an diesem Platz viel größer als das der Gegenwart und der absehbaren Zukunft. Das will und kann ein Bau in der äußeren Gestalt von heute per se nicht vermitteln – und wäre er architektonisch noch so gut. Das dominierende Bedürfnis ist ein nicht-architektonisches, für das der Schlossbau nur als Ausdrucksmittel dient.

Aber ist das nicht schrecklich reaktionär – Ausdruck des Wunsches, die Uhr der Geschichte rückwärts zu drehen? Der Verdacht liegt nahe, greift aber gerade beim Berliner Schloss allzu kurz. Dessen wichtigsten politischen Förderer sind keine Preußenprinzen oder Deutsch-Nationale, sondern namhafte Sozialdemokraten: Wolfgang Thierse, Wolfgang Tiefensee, Richard Schröder. Mitglieder einer Partei also, die aus dem Schloss heraus erbittert bekämpft wurde, bis hin zum zwölfjährigen Verbot in der Ära Wilhelm I.

Gäbe es heute in Deutschland eine royalistische Bewegung, die es ins Schloss drängte – der Bau hätte keine Chance. Es findet nur politische Mehrheiten, weil die Gedanken tot und erledigt sind, die hier früher herrschten. Nicht nur beim Schloss, sondern ganz generell ist die Annahme ziemlich gewagt, es gebe einen Zusammenhang zwischen bevorzugten Fassaden und politischer Gesinnung. Bestünde der, dann müssten sich die Reaktionäre in den Altbauvierteln dieser Republik ballen – viel eher noch in den 100 oder 500 Jahre alten als in frisch rekonstruierten. Davon ist nichts bekannt. In Tübingens Altstadt wie in Berlins Prenzlauer Berg wählt man eher grün.

A propos Grüne: Bei denen gab es einmal die Debatte zwischen grundsätzlich oppositionellen Fundamentalisten hier, gestaltungs- und damit regierungswilligen Realos dort. In Rekonstruktionsdebatten richten Fundamentalisten kaum je etwas aus. Doch Realos werden darin dringend gebraucht, um professionelle Qualitätsmaßstäbe zu entwickeln, in Diskussionen um die Projekte einbringen und überwachen. Zum Beispiel bei drohendem oberflächlichen Pfusch statt historisch sorgfältiger Rekonstruktion. Oder bei der Frage, ob die Architekturauffassung des Erstentwurfs eine heutige Zweitausführung zulässt (Barock: eher ja. Bauhaus: eher nein). Ob äußere und innere Gestaltung leidlich stimmig oder wenigstens ordentlich aufeinander bezogen sind. Ob die Nutzung zum Bau passt und der Bau zu ihr. Das alles sind originäre Architektenaufgaben. Und wie die Texte in diesem Heft zeigen, kann das Ergebnis professioneller Analysen so unterschiedlich sein, wie die Rekonstruktionsprojekte selbst sind.

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