Der Frankfurter Architekt und Lichtplaner Helmut Köster bringt es auf den Punkt: „Traditioneller Sonnenschutz kann energetisch höchst kontraproduktiv sein. Er dunkelt den Innenraum ab und erfordert elektrische Beleuchtung, während draußen die Sonne scheint.“ Dies gelte für alle innen liegenden Rollosysteme, Vertikallamellen und farbige Jalousien und sogar für den üblichen, außen liegenden Sonnenschutz – auch in Verbindung mit Sonnenschutzglas.
Tageslicht-Lenkjalousien für Fenster und Fassaden transportieren dagegen das natürliche Licht tief in den Raum hinein. Dadurch werden auch weiter vom Fenster entfernt liegende Bereiche mit natürlichem Licht versorgt, was Kunstlicht tagsüber weitgehend überflüssig macht. Gleichzeitig ist in der Nähe der Fenster der Sonnen- und Blendschutz sichergestellt. Die freie Sicht nach außen bleibt ebenfalls erhalten. Sie ist für Nutzer inzwischen genauso wichtig wie die grundsätzlich positive Wirkung von Tageslicht auf das menschliche Wohlbefinden. Aber auch bei den Tageslicht-Lenksystemen gibt es große Unterschiede: Innovative Retrolamellenjalousien leisten Lichteinfall und Wärmeabweisung deutlich besser als herkömmliche Spiegeljalousien. Sie werden vor allem in Bürogebäuden sowie zunehmend in Schulen und Krankenhäusern eingesetzt. Auch für energetisch optimierte Wohnbauten kommen sie infrage, die durch große Glasscheiben in den kühlen Jahreszeiten Energie gewinnen wollen, in denen jedoch im Sommer Überhitzung droht.
Neben den weichen Faktoren „Aussicht und Wohlbefinden“ zählt die Gesamtenergieeffizienz des Gebäudes, in die bei Nichtwohngebäuden seit 2006 die Beleuchtung mit einfließt. Je weiter demnach eine Tageslichtlenkjalousie das Tageslicht in den Raum hinein leitet, desto wirtschaftlicher ist das System. Simulationsprogramme ermitteln bereits im Vorfeld, bis zu welcher Raumtiefe die jeweils nutzungsbedingte Mindestbeleuchtungsstärke gewährleistet werden kann. Auf dieser Basis lässt sich die Einschaltdauer des Kunstlichtes berechnen. Das Ergebnis hängt auch von der Lichtdurchlässigkeit der Verglasung ab. Köster erwartet zum Beispiel bei einem hochtransparenten Glas in Verbindung mit einem Tageslicht-Lenksystem eine Stärke von 300 Lux bis zu einer Raumtiefe von zehn Metern.
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Unterschiedliche Funktionsprinzipien
Tageslicht-Lenkjalousien werden in verschiedenen Varianten angeboten. Herkömmliche Spiegeljalousien besitzen konkav geformte und mit einer hoch reflektierenden Oberfläche versehene Lamellen. Um den Blendschutz im unteren Bereich zu gewährleisten, müssen diese Lamellenbehänge dort geschlossen bleiben. Der Tageslichteinfall erfolgt über den oben geöffneten Teil. Doch diese Systeme können den Strahlengang nur zum Teil ausreichend lenken. Hier pendelt die Strahlung zwischen den Lamellen so lange hin her, bis sie entweder nach außen oder innen reflektiert oder an den Lamellen absorbiert ist. Dadurch aber heizt sich der Behang beziehungsweise die Fensterzone stark auf. Das ist vor allem energetisch unwirtschaftlich, da auch diese Wärme über die Kühlung wieder abgeführt werden muss.
Mit der Retrotechnik fand Köster schon Mitte der 1990er-Jahre eine Lösung, die sich aufgrund der energetischen Vorzüge jetzt im Markt durchsetzt: eine aus zwei Teilstücken bestehende Lamelle, deren nach außen gerichteter Teil w-förmig gekantet ist. Diese Form bewirkt eine gezielte Reflexion des Lichts: Während die solare Wärmestrahlung nach außen zurückgelenkt wird, transportiert das nach innen gerichtete Lichtlenkteilstück die diffuse Strahlung in den Raum hinein. Köster: „Wir können genau steuern, wie ein Raum zu einer bestimmten Tages- oder Jahreszeit mit Tageslicht ausgeleuchtet ist.“ Dadurch wird die Energiebilanz der Fassade präziser berechenbar, gleichzeitig bieten die Retrolamellen eine hohe Präzision in der Lichtführung nach innen. Es gibt sowohl außen- und innenliegende Systeme als auch solche für den Scheibenzwischenraum und für großflächige Dachverglasungen. Je nach Bedarf sind die Oberflächen unterschiedlich beschichtet. Weiterentwickelte Jalousienprofile sind so ausgebildet, dass die geöffneten Lamellen eine weitgehend ungehinderte Aussicht zulassen, jedoch zugleich vor Überhitzung und Blendung schützen.
Fehler durch unbedachte Wahl
Selbst das beste Tageslicht-Lenksystem nützt nichts, wenn die tangierenden Fachdisziplinen nicht rechtzeitig in den Planungsprozess eingebunden werden. Zwar wenden schon eine Reihe von Architekten die Tageslichtplanung bei ihren Projekten konsequent an. Meist sind es jedoch prominente Bauvorhaben mit höherem Budget, wo auch die Fachplaner von Anfang an involviert sind. Anderswo hingegen fehlen oft umfassendere Kenntnisse. Bei Fortbildungsseminaren wird Köster vor allem gefragt, ob der Sonnenschutz außen liegen müsse oder ob ein innen liegendes System genüge – und ob Sonnenschutzglas erforderlich sei oder eine normale Wärmeschutzverglasung ausreiche.
Doch die Tageslichttechnik muss ins energetische Gesamtkonzept eingebunden werden. Die Nutzung von Tageslicht, ohne die Gebäude zu überhitzen, nimmt zunehmend eine Schlüsselstellung ein. Bisher wird aber oft einfach eine Wärmeschutzverglasung mit einem Tageslicht-Lenksystem kombiniert, was so nicht funktioniert: Auch beim innovativsten System bleibt im Fensterbereich minimale Restwärme übrig, die über die Lüftung abzuführen ist. Oft werden zudem Leuchten eingesetzt, die die Nutzung des natürlichen Lichtes erschweren.
Fachwissen erwerben
Die Aus- und Weiterbildungsmöglichkeiten sind bisher begrenzt. Architektenkammern bieten das Thema in der Fortbildung an. An Hoch- und Fachhochschulen gibt es aber bisher keinen Masterstudiengang „Tageslichttechnik“. Lediglich einzelne Module innerhalb verschiedener Studiengänge behandeln das Thema. Als Masterstudiengang wird nur „Lichttechnik und künstliche Beleuchtung“ angeboten – eher für Elektroplaner konzipiert und für Architekten zu speziell.
Es gibt jedoch einen Lichtblick aus Österreich. Hier hat die Donau-Universität in Krems die Initiative ergriffen. Im Herbst 2010 startet der erste postgraduale Lehr- beziehungsweise Studiengang „Tageslicht-Architektur“, der einen integralen Ansatz verfolgt. Lehrgangsleiter Gregor Radinger aus dem Universitätsdepartment für Bauen und Umwelt: „Das erworbene Wissen ermöglicht, ein Haus so zu entwerfen, dass es tageslichtplanerisch und optisch wie energetisch wirklich gut wird.“ Der Abschluss ist nach drei Semestern als „Akademischer Experte“ oder nach vier Semestern als „Master of Science“ möglich.
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