Von Dirk Wolfgang Jordan
Ansprechende Gestaltung hat kulturellen Wert – aber hat sie auch einen wirtschaftlichen? Das lässt sich am Immobilienmarkt nur schwer erfassen, weil bei jedem Verkauf und jeder Vermietung viel anderes hineinspielt – Grundrisse, Bauzustand, Lage und mehr. Unter Laborbedingungen können jedoch Gestaltungsvorlieben und ihr wirtschaftlicher Wert erfasst werden. An der TU Chemnitz betrieben hierzu der Ökonom Nikolai Alexander Mader, der Ökonom Professor Dr. Friedrich Thießen und der Autor dieses Textes eine Untersuchung anhand einer empirischen Studie mit 100 Testpersonen. Das Ergebnis: Es gibt klare, weitverbreitete Vorlieben bei Stil und Gestaltung, die sich bei Menschen jeden Alters, Einkommens und Bildungsgrads gleichen. Und ihre Verwirklichung ist vielen Menschen Geld wert. Darin liegt für Architekten eine baukulturelle und wirtschaftliche Chance zugleich.
In der Chemnitzer Studie beurteilten 100 Personen in einem umfangreichen Fragebogen Gestaltungsvarianten von Gebäuden. Zur Auswahl erhielten sie stilistisch unterschiedliche Einzelelemente wie Stuckverzierungen, Türklinken, Bodenbeläge, daneben ganze Gebäudeteile wie Erker, Gauben, Flachdächer und schließlich unterschiedliche Gebäudegruppen. Hieraus wählten sie jeweils ihre Favoriten und teilten zudem mit, ob sie in der Praxis für die bevorzugte Gestaltung mehr zahlen würden.
Es stellte sich heraus, dass die Stilvorlieben der Befragten bemerkenswert ähnlich sind. Immer wieder fiel ein Großteil der Stimmen auf bestimmte Varianten. Ging es um Einzelelemente, lag die aufwendigere Gestaltung vorn und die nüchterne hinten. Und im Städtebau dominiert der Wunsch nach Harmonie und Kontext-Orientierung – sei dies ein traditioneller Kontext oder auch ein moderner. Es herrscht ein weitgehender Stilkonsens. Dabei glichen sich die Antworten von Befragten mit unterschiedlichen Einkommen, aus verschiedenen Altersgruppen und aus beiden Geschlechtern. Auch der Bildungsgrad spielte keine Rolle. Selbst die drei befragten Obdachlosen hatten ähnliche Prioritäten wie die anderen, ebenso die fünf Architekten und Bauingenieure, die an der Studie teilnahmen, sowie die zusätzlich befragten fünf Kinder zwischen acht und zwölf Jahren.
Für ein schönes Umfeld zahlt man gern
Deutliche Unterschiede gab es dagegen bei der Zahlungsbereitschaft. Hier ging es nicht um beliebige Summen, sondern um reale Kosten für verschiedene Gestaltungselemente. Es stellte sich heraus, dass für Stilelemente innerhalb von Gebäuden etwa die Hälfte der Befragten die anfallenden Mehrkosten tragen will. Besonders bei Bodenbelägen, Türgestaltungen, Fensteraufteilungen und einzelnen Stuckelementen ist die Zahlungsbereitschaft relativ hoch.
Insgesamt höher ist sie für äußerlich sichtbare Gebäudeelemente. Für aufwendige Fenster und Türen, bestimmte Fassadenelemente, Dachdeckung, Balkone, Erker und Außentreppen würde ein Großteil der Befragten den Marktpreis am Bau entrichten. Auch ein ästhetisch angenehmes Umfeld ist ihnen Geld wert. Hierzu zählen homogene Erscheinungsbilder und Größen von Häusern. Besonders wichtig ist die Freiheit von Störungen – etwa die Verhinderung eines als unschön empfundenen Hochhauses, Gewerbebaus oder verfallenden Hauses in der nahen Umgebung.
Naheliegend ist das Ergebnis, dass die Zahlungsbereitschaft mit dem Einkommen wächst. Überraschend ist dagegen das Resultat, dass Jüngere mehr zahlen würden als Ältere. Das gilt auf allen Ebenen, vom Einrichtungsdetail bis zum Städtebau. Auch besser Gebildete würden mehr zahlen – teils wegen ihrer höheren Einkommen, aber teils auch, weil bei ihnen eine angenehm gestaltete Umwelt in der persönlichen Wertskala weit oben steht. Und das in allen Detaillierungsgraden – vom Einzelteil im Zimmer bis zum Städtebau im Stadtteil. Wer auf Ästhetik viel Wert legt, tut dies auf jeder Ebene.
Nicht jeden Wunsch erfüllen, aber jeden verstehen
Was bedeutet all das für Architekten? Zunächst einmal geht es nicht darum, sich jedem Bauherrenwunsch nach Zierrat, Ornamentik und funktionslosem Hausschmuck zu unterwerfen. Oft gibt es bessere Alternativen, die der Architekt kennt und die auch den Bauherrn schließlich mehr befriedigen. Doch grundsätzlich sollten Architekten offen sein für die weitverbreitete Vorliebe für eine im Detail teils opulente und im Großen harmonische Gestaltung. Auch wer selbst anders denkt und empfindet, kann das nicht aus der Welt schaffen – es ist ein legitimer Bauherrenwunsch. Gerade wer ihn grundsätzlich respektiert, kann ihn oft in baukulturell bessere Bahnen lenken.
Auch wirtschaftlich wichtig für Architekten ist die Kernbotschaft der Studie: Gestaltung ist den Menschen etwas wert! Architekten können bei Bauherren argumentieren, dass sich ihr eigener Mehraufwand an Planung und Bau später mehr als auszahlen wird. Sie können ihre Position im Wettbewerb mit Bauträgern und Fertigbauern für Wohnen und Gewerbe stärken. Diese normieren, standardisieren und simplifizieren ihre Bauten. Sie argumentieren mit dem Preis, doch Bauherren muss klar werden, dass ein ästhetischer Billigbau auf die Dauer auch eine wirtschaftliche Fehlinvestition ist.
Demgegenüber können Architekten den Wert ihrer klassischen Kernkompetenz herausstreichen: den individuellen Entwurf. Damit können sie ihr Betätigungsfeld wieder ausweiten, das sich in den letzten Jahrzehnten mehr und mehr auf die Minderzahl der prominenten Einzelbauten und sehr individuellen Unikate verengt hat. Dazu braucht es allerdings bei einem Teil der Architekten eine andere Entwurfshaltung. Dominieren sollte nicht mehr das Streben nach möglichst einfachen und monolithischen Baukörpern, nach der stetigen Wiederkehr des Gleichen und nach spartanischer Gestaltung von Details. Zudem bedarf es einer stärkeren Rücksichtnahme auf das Umfeld. Baulücken sollten nicht solitär, sondern kontextbezogen gefüllt werden. Abweichende Solitäre mindern den Wert der Gebäude ringsum – und schaden sich so auf die Dauer selbst.
Architekten sollten nicht jedem Gestaltungswunsch von Bauherren und Nutzern eilfertig nachkommen – schon weil diese oft ihr eigentliches Ziel hinter dem konkreten Wunsch gar nicht kennen. Aber es ist die Aufgabe der Architekten, die Wünsche und vor allem die dahinterstehenden Bedürfnisse zu verstehen und ernst zu nehmen – und dann nach Lösungen zu suchen, diese Bedürfnisse besser und auf baukulturell höchstmöglichem Niveau zu befriedigen.
Einzelergebnisse der Studie
1. Fenster und Türrahmen: Löcher reichen nicht
Gestaltungsreiche Stilvarianten werden eindeutig bevorzugt. Die Wünsche konzentrieren sich vor allem bei den Fenstern auf wenige Lösungen. Das zeigt, dass das Stilempfinden viel weniger individuell ist, als oft behauptet wird. Insgesamt zeigen die Bewertungen, wie stark das Bedürfnis nach stilvoller Gestaltung ist. Ein einfaches Loch in der Wand zum Hindurchgehen und eine schlichte Glasscheibe für den Ausblick reichen nicht. Es gibt aber auch keine Mehrheit für die üppigste Ausgestaltungsform. Das Maximum ist für Bauherren und Nutzer nicht unbedingt das Optimum.
2. Fassaden: Verziert statt schlicht
Die Untersuchung ergab einen sehr klaren Wunsch nach aufgelockerter, fein strukturierter Fassadengestaltung. Ähnlich wie bei den Dächern werden ungestaltete, nackte Flächen abgelehnt. Im Regelfall entscheiden sich weniger als fünf Prozent der Nutzer von Immobilien für die einfachen und ungestalteten Baulösungen der Nachkriegszeit, die in vielen deutschen Städten dominieren. Da Fassadengestaltungen keinerlei Funktion aufweisen außer der zu gefallen, wird in dieser Präferenz der tief sitzende Wunsch der Menschen nach differenzierter Gestaltung von Flächen deutlich. Die Zahlungsbereitschaft hierfür ist vergleichsweise hoch. Zu den Beispielsituationen links bekundeten 85 Prozent der Befragten, sie würden einen Mehrpreis für die bevorzugten Lösungen zahlen.
3. Dach: Aufgelocker tund individuell
Bei der Dachgestaltung gibt es eine klare Präferenz für eine aufgelockerte Gestaltung mit architektonischen Einzelelementen wie Erkern und Gauben, die den Dächern und den Gebäuden insgesamt die Strenge nimmt. Eintönige Flächen sowie Flachdächer sind wenig beliebt. Allerdings sind die bevorzugten Lösungen oft teuer; die Zahlungsbereitschaft entspricht dem nicht. Hier bietet sich eine Kooperation zwischen Baufirmen und Architekten an: die Entwicklung von Standardmodulen, die den Aufwand am Bau reduzieren.
4. Kontext: Homogen – und gern auch modern
Beim Gebäudekontext gibt es klare Präferenzen für das äußerlich Stimmige. Hierbei kommt es Bauherren und Nutzern vor allem auf vergleichbare Größen, Kubaturen und Stilelemente der Gebäude an. Die Stimmigkeit von Ensembles ist weit wichtiger als der jeweilige Baustil. Das Beispiel zeigt, dass unter dieser Voraussetzung auch moderne Erscheinungsbilder weithin akzeptiert werden. Wenn sie nur homogen gestaltet sind, sind sie weit beliebter als disharmonische Situationen, auch wenn diese mehr Elemente traditioneller Architektur enthalten.
Dirk Wolfgang Jordan ist Architekt und Wirtschaftsingenieur in Oberrot (Württemberg).
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