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Zurück Architektur und Aufmerksamkeit

»Qualität ist wichtiger als Innovation«

Häuser sollen weniger auffallen als sich eingliedern, fordert der Architekturlehrer Georg Franck. Leise Töne wirken nachhaltiger als Spektakel

30.08.201011 Min. Kommentar schreiben
Peter Zumthors Therme in Vals: „Auch mit leisen Tönen kann man weit kommen.“

Roland Stimpel

Als Architekt kann man viel Aufmerksamkeit erregen, aber eher wenig Geld verdienen. Das klingt nicht auf der Höhe einer Zeit, in der Geld so wichtig ist.

Es ist sehr zeitgemäß. Bei allem Gerede über Geld gilt das Bemühen von Menschen, Firmen und anderen Institutionen immer mehr der Aufmerksamkeit anderer – für kommerzielle Zwecke, für persönliche Zuwendung, für Eitelkeit und Prestige. Die Gewichtsverschiebung von der materiellen Ökonomie zur Aufmerksamkeits-Ökonomie ist ein Großtrend der nachindustriellen Gesellschaft.

Auffallen ist die Hauptsache, egal bei wem?

Nein. Im Gegensatz zum Geld hängt der Wert eingenommener Aufmerksamkeit davon ab, wer sie gewährt. Für Architekten ist das eigene soziale und mentale Umfeld die wichtigste Gruppe – Kollegen, Fachkritiker und gleichgesinnte Architekturliebhaber. Deren Beachtung wird immer wichtiger. Im Feuilleton oder im Fachblatt besprochen zu werden, war früher einmal eine schöne Dreingabe. Inzwischen ist es für ehrgeizige Architekten wichtiger, wo die Abbildung erscheint, als wo das Haus steht.

Als Architekt kann man viel Aufmerksamkeit erregen, aber eher wenig Geld verdienen. Das klingt nicht auf der Höhe einer Zeit, in der Geld so wichtig ist.

Es ist sehr zeitgemäß. Bei allem Gerede über Geld gilt das Bemühen von Menschen, Firmen und anderen Institutionen immer mehr der Aufmerksamkeit anderer – für kommerzielle Zwecke, für persönliche Zuwendung, für Eitelkeit und Prestige. Die Gewichtsverschiebung von der materiellen Ökonomie zur Aufmerksamkeits-Ökonomie ist ein Großtrend der nachindustriellen Gesellschaft.

Schön fürs Prestige – aber von Kollegen bekommt man eher selten Aufträge.

Wer die Aufmerksamkeit potenzieller Bauherren erregen will, geht eher zur Lokalzeitung, in den Rotary Club oder zum Wirtschaftsmagazin. Und wer auf einen Massenmarkt zielt und seine Person in den Vordergrund stellen will, geht zu Massenmedien – große Zeitungen und Zeitschriften, Fernsehen, populäre Internetseiten. Hier folgt die Architektur einem Generalnenner der nachmodernen Tendenzen: Sie wird selbst zum Medium, das wie andere Medien Spektakel, Unterhaltung, Information und Sensation bietet, um Aufmerksamkeit einzunehmen.

Und wenn solche Eitelkeit die Bauherren stört?

Manche stört sie gar nicht, sondern sie wollen die Architektur als Medium, mit dem ihr Unternehmen, ihre Person oder ihr Standort breite Aufmerksamkeit erfährt. Dafür spannen sie Architekturstars und ihre mediale Sprache gern ein. Für Architekten ist es unglaublich verlockend, da mitzumachen. Sie verdienen bei der Aufmerksamkeit immer mit.

Auch auf Dauer?

Nein, die Architektur, die sich aufs Spektakel konzentriert, veraltet schnell. Das Geschäft der Attraktion setzt vor allem auf Neuigkeit – manchmal auf echte, häufig aber nur scheinbare Innovation. Aber was neu und erfolgreich ist, wird rasch modisch. Und alles Modische neigt zur Inflation, die den Neuigkeitswert schnell wieder verbraucht und auffrisst. Nach der Mode der Spektakel-Architektur herrscht inzwischen Überdruss daran. Man hat genug Eier, Blobs und Scherbenhaufen gesehen, das meiste wirkt peinlich gestrig und seine Untauglichkeit für andere als mediale Zwecke tritt schmerzhaft zutage. Nehmen Sie nur die Museen mit den schiefen oder gebogenen Wänden, an denen man kein Bild gerade aufhängen kann.

Dann hängt es eben woanders.

Das ist nicht nur schade ums Geld, denn es bleibt der schwerste Mangel dieser Bauten für die Stadt. Sie sind beziehungslos und unfähig, in einem gebauten Zusammenhang städtebaulich zu kooperieren. Ein ziemlich entsetzliches Beispiel ist das Musée du Quai Branly in Paris von Jean Nouvel, das wie verstört in seiner Umgebung herumsteht. Dabei hat es noch nicht einmal diese autistische, pseudo-organische Form wie viele andere. Aber all diese Gebäude sind unfähig zum Wichtigsten, was Architektur in unserer verbauten Welt leisten muss: mit ihrer Umwelt zu korrespondieren, sie zu verbessern, die Leistung des gebauten Teams zu steigern statt gegen die anderen in den Einzelkampf zu ziehen.

Turm von Hans Kollhoff am Potsdamer Platz: „Kontext stärken und wo nötig schaffen, aber nicht dagegen anschreien.“

Ein Plädoyer für blasse Anpassung?

Unser Problem ist das Gegenteil: Architektur, die sich von allem abheben und vor allem auffallen soll. Die macht sich gemein mit der Werbung. Beide zusammen verkleistern gnadenlos unsere Welt und betreiben ästhetische Umweltzerstörung. In unserer Zeit, in der Gebautes die Erde wie mit einer neuen geologischen Schicht überzieht, ist das ein informations-ökologisches Problem erster Ordnung geworden. Architektur sollte stattdessen den vorhandenen Kontext stärken und wo nötig schaffen, aber nicht auch noch dagegen anschreien. Sie darf dann sogar auffallen, sich selbst ins Zentrum stellen. Nehmen Sie die beiden Hochhäuser von Hans Kollhoff am Potsdamer Platz in Berlin. Sie zeigen Einfügung und Dominanz zugleich; sie binden das Ensemble zusammen und heben sich daraus hervor.

Aber wenn es vor allem um den Kontext geht, kommen dann nicht Weiterentwicklung und Innovation zu kurz?

Eine Innovation, die dringend ansteht, betrifft unser Verständnis, was Architektur ist. Architektur ist nie nur Umhüllung von Innenräumen, sondern immer auch Definition von Außenräumen. Der Unterschied ist nur, dass der Architekt bei der Definition von Außenräumen nicht allein ist, sondern im Team spielt. Architekten müssen Abschied nehmen vom Selbstbild als Einzelkämpfer und lernen, Teamsport zu betreiben. Mit der Kombination aus kollektivem Einzelkampf und monotoner Innovation sind wir nicht gerade weitergekommen Unser Städtebau ist sogar deutlich schlechter geworden. Qualität ist wichtiger als Innovation.

Neues ist verboten?

Der Gegensatz, auf den wir achten sollten, ist viel weniger der von Neu und Alt als der von motiviert und beliebig. Neues ist nicht verboten, um Gottes willen! Es darf sich nur nicht darauf beschränken, neu zu sein. Ob es dem Alten überlegen ist, hängt davon ab, ob es besser motiviert ist und besser geeignet, den Eindruck der Beliebigkeit zu tilgen. Besser für eine neue Aufgabe eine herkömmliche Lösung, wenn sie sich bewährt hat, als für eine konventionelle Aufgabe eine neue Lösung, nur weil sie neu ist.

Lohn in Form von Aufmerksamkeit erhält man mit Konventionellem eher nicht.

Mit rücksichtsvollen Teamspielern ist es in der Architektur wie sonst auch: Sie ernten keinen schnellen Ruhm, aber sie gewinnen Achtung und solide Reputation. Und man kann auch die eigene Zurücknahme buchstäblich kultivieren. Das machen zum Beispiel Schweizer Architekten wie Peter Zumthor oder, um jüngere zu nennen, Valerio Olgiati und Christian Kerez. Die Schweizer Reduktion, Einfachheit und Archaik beweist, dass man auch mit Sensibilität und Sinnlichkeit, also mit leisen Tönen, weit kommen kann. Nicht zuletzt dem Überdruss an der Spektakel-Architektur verdankt sie ihre Popularität.

Ist das ein neuer Urstein der Weisen?

Nein, auch für die Reduktion gilt, dass sie nur gut ist, wenn sie ausgesprochen motiviert ist. Die Schweizer Kiste an und für sich ist nicht besser als eine x-beliebige moderne Schachtel.

Sie nannten die neue Schweizer Schule eben populär. Aber gibt es nicht einen chronischen Gegensatz zwischen dem Populären und dem, was bei Kollegen und Fachkritikern angesehen ist?

Das ist ein Problem seit der frühen Moderne. Die hat diesen Gegensatz in Kauf genommen oder gar gewollt. Wer sich als Avantgardist versteht, will sich ja gerade von der breiten Masse absetzen und weiß, dass sie nicht gleich folgt.

Inzwischen folgen viele. Nicht nur Dessau ist ein beliebtes Ziel von Architekturtouristen.

Es sind ja gerade in der heroischen Frühzeit der Moderne unglaublich schöne Dinge entstanden, mit einer Ursprünglichkeit und Frische, wie sie in der Kulturgeschichte nur Zeugnisse bedeutender Frühstile haben. Das große Problem der Moderne ist ihr atemberaubender Erfolg. Sie wurde zu einer unumstritten herrschenden Mode und bis zum Überdruss inflationär. Nur ganz wenige ihrer Werke sind dem Säurebad der Inflationierung wieder entstiegen. Das ist der Prozess, in dem Werke gleich welcher Epoche klassisch werden: Sie gewinnen nach Abklingen der Inflation irgendwann neue Aufmerksamkeit, sie erfahren Wohlgefallen. Und wenn dieses Interesse breit und dauerhaft wird, dann werden sie zum Bestandteil unseres kulturellen Kanons.

Wie passt das zum verbreiteten Unbehagen an der Moderne?

Wie gesagt: Das Problem mit der Moderne ist ihr phänomenaler Erfolg. Vor allem nach dem Zweiten Weltkrieg explodierte die Massenproduktion umbauten Raums. Für diese Massenproduktion war die abstrakte Architektur zwar technisch gedacht, aber als Formensprache ungeeignet. Denn es fehlte ihr ein entscheidendes Moment: eine Sprache, die es auch durchschnittlich begabten Architekten erlaubt, „anständige“ Architektur zu machen. Die vorangehenden Epochen hatten dies noch gehabt. Mit den Mitteln des Klassizismus und des Eklektizismus war es in der ersten Phase der Industrialisierung gelungen, die neuartige Massenproduktion an umbautem Raum architektonisch auf beachtlichem Niveau zu bewältigen. Die gründerzeitlichen Quartiere funktionieren heute noch und sind nach wie vor beliebt, weil es sich um eine Epoche guten Durchschnitts handelte, in der sogar einfache Baumeister ordentliche Architektur machen konnten.

Mit oft willkürlichen Stilrückgriffen und viel Dekor.

In Epochen der Massenproduktion kommt es nicht so sehr auf die Spitzenleistungen als auf das Niveau des Durchschnitts an. Und das war vergleichsweise hoch, eben weil es dafür eine Formensprache gab, die man lehren und erlernen konnte. Aber in der Massenproduktion des 20. Jahrhunderts gab es solche Hilfestellungen nicht mehr. Die traditionellen Sprachen waren diskreditiert; die bisherige Evolution von Stilen und das Bedienen aus den reichhaltigen Erfahrungsspeichern sollten durch rein rationale Planung abgelöst werden.

Auch und gerade so entstand Großes.

Ja, bei den Originalgenies und Naturtalenten selbstverständlich. Aber sie sind eine winzige Minderheit. Die Moderne war anfangs eine kleine, elitäre Veranstaltung mit entsprechendem Niveau, wurde dann aber durch überwältigende Massenproduktion ad absurdum geführt. Diese war in ihrer Sprache nicht mit Anstand zu bewältigen, weil die Sprache kein Qualitätsniveau vorgab und garantierte. So steht jetzt wenigen guten Einzelstücken eine breite Masse belanglosen Durcheinanders gegenüber. Bauen wurde in seiner Masse zum Zerstörungswerk an Stadt und Landschaft.

Oft gegen den Willen der Architekten.

Bauherren setzten sich gegen sie auch durch, weil Architekten ihnen keine verbindliche Formensprache, keinen ästhetischen Qualitätskonsens entgegensetzen konnten. Da wurden Architekten mit ihren eigenen Waffen geschlagen, wenn Bauherren ihnen sagten: Du bist doch Funktionalist – also baue, was meiner Funktion entspricht.

Oder baue, was meinem Laiengeschmack entspricht.

Auch das ging paradoxerweise nur, weil die Moderne jeden früheren Konsens über Formensprachen und Minimalqualitäten zerstörte. So entsteht seit 100 Jahren sehr viel mehr architektonischer Ausschuss als in den Epochen davor.

Wollen Sie die große Mehrzahl heutiger Architekten für unfähig erklären, mit ihrer Freiheit umzugehen?

Das Thema ist nicht Freiheit, sondern Orientierungslosigkeit, das Fehlen von Wegmarken. Im dichten Nebel überallhin tappen zu können, ist keine Freiheit. Und es ist keine Unfähigkeit, wenn man sich dabei verirrt. Wer in einem so schwierigen Metier immer wieder von vorn beginnt, kommt nicht weit. Man muss auf Erfahrungsspeicher zurückgreifen, in denen mehr Erfahrung gespeichert ist, als eine Person, ein Team, ja eine Generation machen kann.

Sollen Regeln für heute von vorgestern kommen?

So einfach geht das natürlich nicht. Wenn vorgestern Entwurfsaufgaben mithilfe bestimmter Typologien und Formensprachen anständig gelöst wurden, dann heißt das nicht, dass man einfach so weitermachen kann. Aber man kann Konventionen früherer Zeiten daraufhin abklopfen, ob sie für das eine oder andere Problem heute eine angemessene Lösung bieten. Entscheidend ist, ob eine Lösung als stimmig zu einem erkannten Problem, am besten sogar als zwingend dafür erscheint – und nicht, ob eine Aufgabe für ein gewünschtes Stilmittel passend gemacht worden ist.

Stilistisch kann das sehr vieles sein.

Kann es auch, aber entscheidend ist nicht die Stilwahl, sondern die Rücksicht auf die Wahrnehmungspraxis von Architektur-Benutzern. Walter Benjamin schilderte einmal, wie Architektur im Alltag viel weniger in einem gespannten Aufmerken als einem beiläufigen Bemerken zur Kenntnis genommen und beurteilt wird. Das geschieht erstens, wenn der alltägliche Gebrauch des Hauses nicht zu viel Aufmerksamkeit in Beschlag nimmt. Dann kann dem Gebäude selbst wache Aufmerksamkeit gelten. Diese darf aber weder unterfordert werden, etwa durch großformatige Monotonie, noch überfordert werden, etwa durch Überreizung und Verunsicherung. Größte Schönheit ist also verschenkt, wenn sie kaum wahrgenommen wird, weil man all seine Kraft der Benutzung des Hauses widmen muss. Und höchste Funktionalität macht doch unzufrieden, wenn die ästhetische Wahrnehmung unterfordert ist.

Denker, Architekt und Ökonom

Professor Dr. Georg Franck studierte Philosophie, Architektur und Volkswirtschaft und lehrt an der TU Wien EDV-gestützte Methoden in Architektur und Raumplanung. Viel diskutiert wurde und wird die Kernthese seines Buchs „Ökonomie der Aufmerksamkeit“. Danach richtet sich das Streben der Menschen anstelle von Macht und Geld immer stärker darauf, bei anderen Aufmerksamkeit zu gewinnen. Das Buch „Architektonische Qualität“ schrieb er mit seiner Schwester, der Linguistin Dorothea Franck. Themen sind unter anderem Einfachheit und Komplexität, die Schlüssigkeit von Entwürfen und die Bedeutung von Formen-Regeln für das Niveau der Baukultur.

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