Von Christine Mattauch
Neun Jahre studiert der Afrikaner Diébédo Francis Kéré an der TU Berlin Architektur und schickt Geld in sein Heimatdorf Gando. Dort ändert sich nichts. Da beschließt Kéré, etwas anders zu machen. Er baut für Gando eine Schule. Statt vorgefertigten Beton verwendet er das traditionelle Baumaterial von Burkina Faso: Lehmziegel, die vor Ort gepresst werden. Er bezieht die Nutzer ein: Den Boden stampfen Familien, deren Nachwuchs die Schule besuchen wird (mehr darüber hier und www.fuergando.de).
Kéré gehört zu einer Bewegung, die noch keinen Namen hat – und vielleicht auch nie einen bekommen wird, weil ihre Protagonisten lokal und unprätentiös arbeiten. Trotzdem – oder gerade deshalb – hat ihnen das Museum of Modern Art in New York eine Ausstellung gewidmet, „Small Scale, Big Change“. Sie zeigt bis zum 3. Januar elf Projekte in verwahrlosten Umgebungen, Leuchttürme im Kampf gegen die Armut: ein Museum in einem südafrikanischen Township. Ein Kulturzentrum in einem Slum in Los Angeles. Ein Hausprojekt in einer Pariser Vorstadt. Oder eben Kérés Schule, in der heute 700 Kinder lernen.
Keine imagefördernde Benefizarchitektur – anders als viele einmalige Pro-Bono-Projekte sind sie bedarfsgerecht, langfristig und reproduzierbar. Ihre Planer wollen verändern, sind aber, im Gegensatz zu den Reformarchitekten der 70er-Jahre, unideologisch und pragmatisch. „Sie akzeptieren die gesellschaftlichen Bedingungen, die sie vorfinden, und konzentrieren sich auf das Machbare“, sagt MoMA-Kurator Andres Lepik.
Wie Mikrochirurgen versuchen sie, mit minimalen Eingriffen maximale Wirkung zu erzielen. Kérés Projekt transportiert Bildung in einem Land, in dem 80 Prozent der Einwohner Analphabeten sind – in seiner Familie war Kéré das einzige von 20 Kindern, das in der 13 Kilometer entfernten Stadt zur Schule ging. Billighäuser in Chile verwandeln Habenichtse in Immobilienbesitzer, die auf einmal kreditwürdig sind und Kleinunternehmen gründen können.
Urban Think Tank in Caracas verbessert die Lebensbedingungen in einem illegalen Elendsviertel am Berg durch eine Seilbahn, die die Bewohner zu ihren Arbeitsplätzen in der Innenstadt bringt. Zuvor mussten sie zu Fuß gehen. Die konventionelle Alternative – der Bau von Straßen – hätte bis zu 30 Prozent der Favela-Gebiete zerstört. Zudem wird die Gondelstation zur Keimzelle städtischer Organisation – es gibt bereits ein Anschlussprojekt, eine Musikschule.
Für ihre Entwicklungshilfe verzichten die Architekten auf Renommee. Der kalifornische Planer Michael Maltzan verließ gar das Büro von Frank Gehry, um ein Armenprojekt in Los Angeles zu bauen, das die Kreativität von Kindern fördert. Erst ging es nur um den Umbau eines Parkhauses, inzwischen ist es ein kleiner Campus, dessen strahlend weiße Gebäude weithin sichtbar sind in dem heruntergekommenen Viertel.
„Bei unserer Arbeit geht es nicht länger nur um Räume. Wir bauen und organisieren Startchancen in der Komplexität urbaner Bedingungen“, sagt die Französin Anne Lacaton. Sie gehört zu einer Architektengruppe, die in der Pariser Vorortsiedlung Tour Bois-le-Prêtre ein Hochhaus umgestaltet – eine Alternative zum Abriss, die nicht nur preiswerter und ökologischer ist, sondern auch Gemeinschaften intakt hält. Eine Vorhangfassade schafft Balkons und vergrößert die Wohnfläche um 15 Prozent. Die veralteten, standardisierten Grundrisse wurden durch flexible Wohnungstypologien ersetzt, die gemeinsam mit den Bewohnern erarbeitet wurden.
Partizipation ist für die neuen Sozialarchitekten selbstverständlich. „Sie bringen keine fertigen Lösungen von außen“, sagt Lepik. Am radikalsten demonstriert das Alejandro Aravena in Chile: Im Elendsviertel Quinta Monroy Hosing in Iquique baute er „halbe Häuser“, die nach und nach von den Bewohnern fertiggestellt werden. Damit reizte er das knappe Budget für den Umbau – umgerechnet rund 6 000 Euro pro Haus – maximal aus. Nach einigen Jahren sind die Siedlungen so kunterbunt, dass die Handschrift des Architekten kaum noch erkennbar ist. Doch der Verzicht auf Gestaltungshoheit zahlt sich aus: Mit knapp 100 halben Häusern hat Aravena angefangen. Inzwischen sind schon über 1000 gebaut.
Christine Mattauch ist freie Journalistin in New York.
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