Bauten für Religionsgemeinschaften gehören zu den spannendsten Architekturprojekten. Bei ihnen ist das Symbolische oft wichtiger als das Nützliche. Die Form folgt weniger einer physischen als einer geistig-symbolischen Funktion. Das erlaubt Großzügigkeit und Originalität, verlangt aber auch Einfühlung in spirituelle, liturgische und rituelle Themen, die die jeweilige Gemeinde bewegen. Und es verlangt den sensiblen Umgang mit mannigfachen Empfindsamkeiten: etwa den Schmerz von Christen, wenn ihre Kirche nicht mehr als Gotteshaus unterhalten werden kann, wenn sie nur mit einer anderen Funktion Überlebenschancen hat. Bei Synagogen ist der Neubau einerseits ein Akt der Heilung, nachdem die meisten im Land 1938 niedergebrannt wurden. Andererseits darf und kann diese Heilung Deutschlands Verbrechen nicht vergessen machen.
Besonders hoch schlagen die Wogen dort, wo auch Muslime ihren Glauben baulich ausdrücken wollen und Skeptiker das als Bedrohung und Überfremdung sehen. Aber gerade die manchmal hitzigen Streitigkeiten um Moscheen in Köln, Berlin und anderswo haben ihr Gutes: Sie fördern gesellschaftliche Integration. Bei Moscheeprojekten geht es nicht um ein kategorisches Ja oder Nein, sondern letztlich um Kompromisse und gegenseitigen Respekt. Muslime müssen sich am Bauprojekt in unsere Leitkultur des Gleichgewichts einfügen, das wir immer wieder neu suchen zwischen der Freiheit von Individuen und Gruppen und den Grenzen, die gesellschaftliche Rücksichtnahme setzt. Moscheegegner lernen in der Diskussion, dass die Lösung nicht in einem kategorischen Nein zur religiösen Ausdrucksweise von Menschen liegen kann, die hier leben und hier bleiben.
Ihr oft geäußerter Einwand lautet: Solange in Mekka keine Kirchen erlaubt sind, sollen in München oder Magdeburg auch keine Moscheen gebaut werden dürfen. Dieser Einwand verkennt zweierlei: Erstens ist die weltliche Architektur und damit der größte Teil alles Gebauten auch in muslimischen Ländern längst westlich geprägt. Und zweitens zeigt sich im hiesigen Moscheebau eine geistige Offenheit und Souveränität Münchens oder Magdeburgs, die auch für viele Muslime reizvoller ist als die intolerante Enge in manchen islamischen Ländern.
Neue religiöse Bauten bringen neue Formen. Bei Synagogen in Deutschland herrscht eine bewundernswerte stilistische Vielfalt. Auch Elemente der Moschee-Architektur können mit der Zeit Teile der hiesigen Baukultur werden. Diese hat unter anderem griechische und römische, französisch-gotische, italienische Renaissance- und technologisch-amerikanische Wurzeln. Warum nicht weitere Inspirationen? Natürlich darf das kein aufgeklebter, sinnfreier Orient-Klimbim sein. Sondern fällig ist eine zeitgenössische Einbindung und Weiterentwicklung, wie sie bei der Integration anderer Baukulturen schon immer praktiziert wurde.
Wegen ihres besonderen Gehalts sind Religionsbauten auch ein wichtiges Thema für die Fachdiskussion. Die Architektenkammer Rheinland-Pfalz hat im Zentrum Baukultur in Mainz, das von unserer Kammer und dem Bauministerium des Landes getragen wird, deshalb seit Jahren Veranstaltungsreihen und Publikationen zu Kirchen und ihrer baulichen Weiterentwicklung, zu Synagogen und Moscheen durchgeführt. Die Diskussionen im Zentrum Baukultur zeigen immer wieder etwas Erstaunliches: Bauten können es schaffen, zugleich der Existenzberechtigung jedes Glaubens Ausdruck zu geben und die Tatsache zu dokumentieren, dass kein Glaube den anderen beherrschen oder unterdrücken darf. Gotteshäuser sind Bauten des geistig Absoluten. Zugleich sind sie in ihrer Vielfalt Zeichen einer bürgerschaftlichen Emanzipation und sehr weltlichen Toleranz.
Stefan Musil ist Präsident der Architektenkammer Rheinland-Pfalz.
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