Von Roland Stimpel
Stadträte, Abgeordnete, Minister und ihre abgehobenen Experten haben ja keine Ahnung: Planung und Architektur kann das Volk einfach besser. Das wissen wir schon seit dem ersten Münchener Bürgerentscheid von 1996. Da durften die Bürger gleich auf zwei Zetteln ihre Kreuzchen machen: einmal für oder gegen neue Straßentunnel; da sagten 55 Prozent Ja. Dann für den Ausbau von U-Bahn und Radwegen; da stimmten sogar 59 Prozent zu. Ganz einfach: Wir wollen alles! Anders als die Politiker spricht das Volk immer ein klares, konsequentes Wort.
Und es ließ sich nicht bremsen. Ein paar Jahre später ging es um Hochhäuser in München. Gegen sie stimmten zwar nur elf Prozent der Münchener Bürger, aber weil kaum Hochhausfreunde zur Urne gingen, reichte die Mindermehrheit, und seitdem muss jeder Plan unters Fallbeil, der mehr als 100 Höhenmeter vorsieht. In Aachen waren vier von fünf Volksstimmen gegen den ambitionierten Entwurf fürs „Bauhaus Europa“: zu viel Glas und Stahl zwischen Rathaus und Dom. Volksdemokratisches Vorbild ist die Schweiz. Da mussten in den letzten Jahren Entwürfe von Rafael Moneo und Zaha Hadid dran glauben, zuvor natürlich sorgsam von Jurys ausgesucht. Doch vom ignoranten Volk wurden sie, wie die Schweizer das in gemütlicher Boxersprache nennen, per K.-o.-Abstimmung „gebodigt“. Als Nächstes könnte es David Chipperfields Kunsthaus-Projekt in Zürich treffen.
Wie das Volk in Deutschland entscheiden würde, wenn es immer und überall dürfte, kann man ahnen: in Frankfurt für eine durchweg fachwerkstrotzende City, in Berlin für ein Zuckerguss-Schloss zum Reinbeißen für jedermann, in Köln für die Verkleidung des Wallraf-Richartz-Museums mit einer Fassade à la Gürzenich. Oder für etwas ganz Effizientes, so wie in Dresden, wo 68 Prozent für die Waldschlösschen-Brücke stimmten und damit letztlich gegen ihr Weltkulturerbe. Natürlich sind auch wir für mehr direkte Demokratie, aber bitte nicht überall. Daher stellen wir hiermit einen neuen Artikel fürs Grundgesetz zur Volksabstimmung. Absatz eins: Das Volk entscheidet alles, wofür es schlau genug ist. Absatz zwei: Für Architektur ist es zu doof.