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Kleiner, aber feiner

Masse, Subventionen, Stilkonsens – all das ist dem städtischen Wohnungsbau verloren gegangen. Aber ist das wirklich so schlimm?

31.05.20117 Min. Kommentar schreiben
Es war einmal: Der Städtebau des 20. Jahrhunderts an einem Kölner Beispiel.

Von Roland Stimpel
Die Entwicklung des städtischen Wohnungsbaus bietet auf den ersten Blick viel Anlass zur Nostalgie: In den goldenen Zeiten des 20. Jahrhunderts entstanden pro Jahr bis zu viermal so viele Neubauten wie heute. Der Staat gab viel mehr Geld dazu; der Kreis der potenziellen Neubau-Bezieher war viel größer. Und der urbane Wohnungsbau war Teil des Bemühens, eine bessere Welt zu schaffen: im Alltag lebenswerter, sozialer, frei von funktionalen und ästhetischen Lasten der Vergangenheit. Vieles davon gelang. Heute fehlen die großen Aufgaben und es fehlt die große Utopie. Aber der seither geschehene Wandel im städtischen Wohnungsbau hat für Architekten nicht nur Verluste und Verschlechterungen gebracht, sondern auch neue Optionen. Und er erspart uns manches, von dem wir längst genug oder mehr als genug haben.

Weniger Wachstum, mehr Vielfalt

Masse bringt gemeinhin nicht Unterscheidung und Qualitätswachstum, sondern Konformität auf eher mäßigem Niveau. Die Jahre mit den größten Wohnungsbauleistungen waren die mit der größten Einförmigkeit in Architektur und Städtebau – in Westdeutschland die Zeit um 1970, im Osten die zwei Jahrzehnte ab 1970. Heute gibt es bei viel geringerem Volumen eine viel stärkere Vielfalt. Das hat ein ganzes Bündel von Gründen: den Wunsch nach Individualität und Unterscheidbarkeit, die kleineren Dimensionen der Projekte, die buntere Szene der Bauherren und die gewachsenen Nutzeransprüche.

Auch das ökonomische Bild der Städte und Regionen ist viel buntscheckiger. Wachstum war mal eine Parole für das ganze Land. Heute gibt es Wachstum oft in nächster Nähe zur Schrumpfung. Innerhalb einer Region gibt es nicht nur Expansionsprojekte, sondern solche im Neubau und in Nischen, im Modernisieren und im Konservieren, in der Expansion und im Abriss. Architekten können sich auf mehr unterschiedliche Arten profilieren. Natürlich ist es auch anstrengender, sich auf jede Situation ganz neu einzustellen und bei jedem Projekt ein Stück Welt neu zu erfinden. Aber es ist innovativer als der Versuch, den gerade aktuellen großformatigen Neubau mit formalen Schein-Innovationen optisch vom letzten abzusetzen.

Städtebau sieht heute eher so aus: Individuell, kompakt und kleinteilig. So wie hier im Tübinger Lorettoviertel.

Parzellen statt Siedlungen: mehr Optionen für Funk­tion und Gestaltung

Der Siedlungsbau des 20. Jahrhunderts erscheint beim unkritischen Rückblick als Eldorado guter Architektur: Zukunftsoffene, sozial gesonnene Großbauherren vertrauten frei zu gestaltende Vorstadtflächen ihren Architekten an; diese konnten ganzheitliche Werke vom Städtebau bis zum Schlüsselloch realisieren. Aber Glückliche wie Ernst May, Bruno Taut oder Fritz Schumacher gab es in ganz Deutschland höchstens ein paar Dutzend. Die meisten Architekten im Siedlungsbau betreuten nur Teil- und Einzelprojekte und waren ziemlich strengen Vorgaben unterworfen – mal als Angestellte oder Subunternehmer der Großen, mal als Auftragnehmer der Bauherren, unter denen es auch damals nicht nur die Noblen gab.

Jetzt liegt der Schwerpunkt des Wohnungsbaus im Inneren der Städte. Da hieven selbst die letzten kommunalen Großbauherren, etwa die Frankfurter ABG, nicht ganze Quartiere oder Blöcke hin, sondern bauen Häuser auf Einzelgrundstücke. Der Wohnungsbau auf Parzellen ist meist dichter und kompakter, erzeugt nicht Stadtlandschaften, sondern Straßenräume und motiviert zur Mischung ­innerhalb der Quartiere und Häuser. Auch deshalb bietet städtischer Wohnungsbau heute für Architekten mehr Optionen für Funktion und Gestaltung. Paragraf 34 des Baugesetzbuchs ist toleranter als fast jeder Bebauungsplan. Für den Hausentwurf bringt die Re-Parzellierung oft schwierigere, aber reizvolle Aufgaben, ob auf engen Grundstücken oder an Straßenecken. Das Haus als solitärer Baukörper zählt weniger, die Schnittstellen zwischen Öffentlichem und Privatem in der Sockelzone, mit Türen und Fenstern zählen mehr.

Buntes Bild bei den Bauherren

Bauherren waren im 20. Jahrhundert häufig öffentlich, Grundstücke auch, und der Städtebau signalisierte mit Abstandsgrün und Parkplatzwüsten einen unklaren, diffusen Übergang zwischen ganz öffentlicher Straße und ganz privatem Haus. Heute beherrschen Einzelbauherren, Investorengesellschaften sowie mehr und mehr Baugruppen und Genossenschaften das Bild. Es herrscht wieder das Prinzip „Klare Kante“ zwischen öffentlichem und privatem Raum. Für Architekten ist die Abhängigkeit von einzelnen Großbauherren etwas geringer. Die Auftraggeber wechseln öfter. Auch da ist es anstrengend, aber spannend, sich immer wieder auf neue einzustellen. Erst recht, wenn der Bauherr aus einer Gruppe von 30 Individuen bestehtt

Neuer, alter Umgang mit Energie

Was im 20. Jahrhundert scheinbar naturnah mit Licht, Luft und Sonne begann, führte zu Großraum-Smog und Treibhauseffekt. Zwar schallt auch heute noch die Parole, gerade wegen der Erderwärmung sollten Städte kühlungsfreundlich-locker gebaut werden. Aber das wäre der Versuch, ein Problem lokal zu lindern und dafür die globale Misere noch zu vergrößern. Stattdessen wird ein Städtebau wieder zeitgemäß, der in früheren Zeiten mit knapper und teurer Energie dominierte – mit kompakten Häusern, effizienten Heizungen und kurzen Wegen. Ein Großteil der heute noch gefragten Energiemenge muss gar nicht erst erzeugt werden. Eine kompakte Stadt bringt mehr Ersparnis, als ein solaroptimierter Wohnungsbau mit straffen West-Ost-Zeilen an Ertrag bringen kann. Zumal hierfür gerade in Städten viele Grundstücke gar nicht taugen. Von Architekten fordert der neu-alte Städte- und Wohnungsbau eine ganzheitliche Planung, die Funktionalität, Ästhetik und anspruchsvolle Technik für den restlichen Energiebedarf unter einen Hut bringt.

Teuer statt gefördert

In den Wohnungsbau fließt fast nur privates Geld. Staatliche Förderung sowie Subventionen für Wohn-Riester und KfW-Kredite machen nur einen Bruchteil der früheren Sozialbaumittel, Eigentümerabschreibungen und Eigenheimzulagen aus. Weniger Menschen können sich einen Neubau leisten. Die es können, sind umso anspruchsvoller. Die Zahl der gebauten Wohnungen ist geschrumpft. Aber Flächen und Ausstattungen der einzelnen Wohnungen waren noch nie so üppig.


Architekten müssen sich heute weniger mit anonymen Versorgungsbauherren und Fördervorschriften auseinandersetzen. Die Zuschüsse waren zwar verlockend. Aber Geiz, Bürokratie, das Korsett der Sozialbauvorschriften und Nutzerferne waren es weniger. Auch heutige Kleininvestoren mögen geizig sein. Doch die Nutzer sind näher und der Entwurf ist verhandelbarer als im streng genormten Sozialwohnungsbau. Bleibt das moralische Moment: Ist Wohnungsbau für Besserverdiener nicht unsozialer als der für „breite Schichten der Bevölkerung“? Einerseits ja. Andererseits wird viel ­Fördergeld gespart, das früher zum Großteil Angehörigen der Mittel- und Oberschichten zugutekam. Und auch Neubauten für Gutverdiener sind nicht ganz unsozial: Je mehr es gibt, desto weniger von ihnen wohnen in Altbauten, auf die die Nicht-so-gut-Verdiener angewiesen sind.

Stilvielfalt statt Konformität

Das Ideal des Stadtteils aus einem Guss ist stark verblasst. Nicht nur, weil diese Stadtteile selbst oft sehr blass aussehen. Sondern auch, weil niemand mehr da ist, der den eher suburbanen als urbanen Gesamtguss kann und will, und zugleich mehr Individuen nach gebautem Ausdruck streben. Für diesen gibt es nicht die eine zeitgenössische Form, sondern gleich einen bunten Strauß davon, der von Gegenwart und Zukunft erzählen will, aber auf ganz unterschiedliche Weise: mal ökologisch, mal technoid, mal zweit- oder drittmodern.

Andere lassen sich von Vergangenheiten inspirieren. Favorisierte Retro-Looks schöpfen aus 100 beziehungsweise 90 Jahre alten Quellen: Die einen bauen weiße neoklassizistische Villen mit Portikus und Säulen. Andere lassen die Säulen weg, plätten das Dach, machen den Eingang schmal, schieben das Fenster über die Ecke und nennen es „modern“. Wenn Sie gern so bauen würden, Ihr Bauherr aber Säulen bevorzugt, können Sie sich trösten: rückwärtsgewandt ist beides, und auch der Blick zurück ist legitim. All die praktizierten Stile von gestern, heute und morgen drücken die Vielfalt unserer Gesellschaft aus. Die wirkt manchmal chaotisch. Aber all die gebauten Dokumente für Pluralität und Toleranz gehören zu den erfreulichen Botschaften, die städtische Wohnarchitektur überbringen kann.

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