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Zurück Die Un-Moral von Auschwitz-Architekten

„Der erste Schritt war entscheidend“

Raphael Gross 2010 untersuchte in seinem 2010 erschienenen Buch „Anständig geblieben: Nationalsozialistische Moral“ die ethischen Hintergründe der Täter im Dritten Reich. Der Buchtitel spielt auf einen berüchtigten Satz des SS-Führers Heinrich Himmler über Massenerschießungen an: „Dies durchgehalten zu haben, und dabei … anständig geblieben zu sein, das hat uns hart gemacht.“

29.11.20114 Min. Kommentar schreiben
Der Historiker Prof. Dr. Raphael Gross ist Direktor des Fritz-Bauer-Instituts und des Jüdischen Museums in Frankfurt sowie des Leo-Baeck-Instituts in London.

Die Architekten in Auschwitz fingen mit einem Gefangenenlager an und planten schließlich Gaskammern. Was muss geschehen, damit jemand einen moralischen Grundsatz nach dem anderen fallen lässt?

Zu den einzelnen Personen lässt sich wenig sagen, wenn keine Aussagen aus der damaligen Zeit von ihnen überliefert sind – zum Beispiel Tagebücher. Aber ich denke, hier wurden nicht moralische Grundsätze einer nach dem anderen fallen gelassen, sondern es wurde die ganze Zeit einer Art nationalsozialistischer Moral gefolgt. Deren Grundlage war eine partikulare Ethik, die nur für die eigene Gruppe, die sogenannte arische Volksgemeinschaft, galt, die dagegen andere brutal abwertete, vor allem Juden und sogenannte Gemeinschaftsfremde. Diese Ethik war nicht ohne Bedeutung für alles Folgende bis zum Holocaust. Die Täter gingen den Weg dahin zwar Schritt für Schritt – ohne zu wissen, wie weit sie gehen würden. Aber der erste Schritt war der entscheidende: Wer die eigene Gruppe zu Herrenmenschen erklärt und andere zu Untermenschen, der hat schon eine Grundeinstellung, die mit Auschwitz enden kann.

Wie konnte ein Architekt in Auschwitz planen, der am Bauhaus eine ganz andere Ethik kennengelernt hatte?

Wir wissen ja nicht, ob er sie nur kennengelernt oder ob er sie für sich selbst übernommen hat. Auch die Nazis propagierten gute Wohnverhältnisse – aber eben nicht für alle. Es ist ein fundamentaler Unterschied, ob jemand gute Architektur für einen Anspruch aller Menschen hält oder nur für den Anspruch deutscher Volksgenossen. Wer so denkt, der kann den Abgewerteten, Ausgeschlossenen auch die Architektur der KZs zumuten.

Gab es auf der einen Seite die Fanatiker, auf der anderen Seite die Technokraten, die ohne eigene Überzeugung mitmachten?

Nur aus äußerem Antrieb agiert niemand. Und es kommt darauf letztlich nicht an: Alle Täter verhielten sich, als ob sie überzeugt seien. Für sein Verhalten ist jeder verantwortlich. Die Organisatoren der Verbrechen waren oft intelligente, gebildete Menschen. Viele Täter sahen ihren eigenen Antisemitismus als rational begründet – ganz im Sinne Adolf Hitlers, der schon 1919 einen „Antisemitismus der Vernunft“ propagiert hatte. Diese Täter mochten das NS-Hetzblatt „Stürmer“ wegen seiner Primitivität verachten. Aber das taten sie wesentlich auf der ästhetischen Ebene, nicht auf der ethischen.

Auch unter den Tätern war von massenhafter Tötung fast nie direkt die Rede; sie gebrauchten in der Regel Tarnwörter. War das rein taktisch bedingt oder sprachen sie nicht direkt darüber, weil sie hier irgendwo doch noch Tabus sahen?

Fast niemand sieht sich als Verbrecher, während er seine Tat verübt. Die versuchte Geheimhaltung entsprang vielmehr einem Elitegedanken: Wir, die wir diese schwierigen Taten begehen, wissen mehr als die anderen. Und sie wollten natürlich Widerstand und Protest vermeiden. Sie sahen sich sogar selbst als besonders human an – gegenüber denen, die das nach ihrer Ansicht verdienten, nämlich ihren eigenen Leuten. Und gerade das führte zur schlimmsten Inhumanität. So war ein wesentliches Motiv für die Konstruktion der Gaskammern, sich und den eigenen Kameraden die Arbeit des Tötens zu erleichtern, physisch und psychisch.

Konnte ein Architekt in Auschwitz den Befehl verweigern?

Von dort ist kein Fall bekannt, in dem es jemand versucht hat. Aber es gab solche Fälle in den sogenannten Einsatzgruppen, die in Polen und Russland Hunderttausende Juden erschossen haben. Hier haben Männer das Mittun verweigert. Und es gibt keine Belege, dass dafür irgendjemand hart bestraft worden wäre. Auch der eine Architekt in Auschwitz wurde ja nicht verfolgt, der nach Ihren Unterlagen offenbar aus eigenem Antrieb von dort weggegangen ist.

Auch Architekten in Auschwitz sagten später: Hätte ich es nicht getan, dann hätte es ein anderer getan. Und das Ergebnis wäre das gleiche gewesen.

Letzteres mag sogar stimmen. Aber Leute sind schwer erträglich, die sich damit entschuldigen wollen, dass sie nur Teil einer großen Gruppe waren. Denn sie haben es doch selbst getan, und dafür sind sie auch selbst verantwortlich. Diese Entschuldigung ist wirklich zu durchschaubar.

Wie sollten Deutsche, und speziell deutsche Architekten, heute mit Auschwitz umgehen?

Sie sollten die Gedenkstätte unterstützen. Oder was meinen Sie?

Politisch-moralisch unterstützen oder ästhetisch?

Materiell und praktisch.

Die Fragen stellte Roland Stimpel.

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