Im Studium der Restaurierung in Köln beschäftigte sich Margrit Bormann zunächst mit Wandmalerei und Steinobjekten. Über ihren Professor Adrian Heritage kam sie zu Praktika in das Staatliche Museum Auschwitz-Birkenau. „Danach konnte ich mir nicht mehr vorstellen, woanders zu arbeiten“. Jetzt teilt sie sich mit einer Kollegin eine ofenbeheizte Wohnung in einer einstigen SS-Kaserne in Oświęcim und bezieht ein bescheidenes polnisches Gehalt. Im Labor des Museums widmet sie sich zusammen mit sechs Kollegen nun den Alltagsgegenständen, die die zur Vernichtung Hertransportierten ahnungslos mitbrachten. Zum Beispiel verfallenden Zahnbürsten: „Die wurden damals oft aus Nitrocellulose hergestellt. Jetzt diffundiert das Bindemittel des Stiels in Form eines Gases und greift den Kunststoff an.“
Bormann widmet sich auch den 109.200 zu erhaltenden Schuhen, mit denen die zum Tod „Selektierten“ ihren letzten Weg gingen – und sogar der an ihnen klebenden Erde. Oder den Flicken auf Gebetsschals ermordeter Rabbiner: „Wir bewahren sie wenn wir vermuten, dass sie aus der Zeit bis 1945 sind. Wenn wir u. a. an der Naht erkennen, dass sie jünger sind, nehmen wir sie ab.“ Oder sie arbeitet am welt-berüchtigten Schriftband „Arbeit macht frei“ mit, das vor zwei Jahren gestohlen wurde. Überm Lagertor hängt jetzt eine Kopie; das Original ging durch die Werkstatt der Restauratoren. „Irgendwann zwischen 1981 und 1996 hat man daran ein Scharnier montiert, damit es im Notfall für die Feuerwehr weggeklappt werden konnte. Das haben wir jetzt entfernt. Per Wolfram-Inert- und Laserverfahren haben wir den Schriftzug wieder zusammengeschweißt.
Und fällt Ihnen an dem B im Wort Arbeit etwas auf?“ Tatsächlich: Die kleine Rundung ist unten, die große oben. „Das ist vielleicht ein Versehen. Vielleicht aber auch ein kleiner subversiver Akt des Häftlings Jan Liwacz, der das damals schweißen musste.“ Wie die Bedeutung der Gebäude nicht in ihnen selbst liegt, sondern im Geschehen, so haben auch die von ihr gepflegten Gegenstände Zeugnischarakter durch die Verbrechen, die ihre Eigentümern angetan wurden: „Jedes Objekt hat einem Menschen gehört, den man anonym und spurlos vernichten wollte.“ Die meisten bleiben anonym, und die meisten Spuren sind nicht individuell. Aber ab und zu erlebt Bormann eine sie tief bewegende Sensation. „Wenn man ein Etikett an einem Koffer entziffern kann oder einen Namen in einem Schuh entdeckt, dann ist das ein ganz großer Glücksmoment.
So etwas zieht jemanden aus dem Nebel der Anonymität heraus, es gibt einem Opfer seine Identität zurück.“ Von allem anderen unterscheidet sich die 1945 in Papiersäcken gefundene, heute in einer saalgroßen Vitrine gezeigte unvorstellbare Menge von 3.000 Kilo Haaren. Man schätzt 50 Gramm pro Person, also die körperlichen Überreste von 60.000 Menschen, mit deutlichen Spuren von Blausäuregas. Mit der Zeit verfallen sie. „Aber wir werden sie nicht unter Verwendung von Konservierungsmitteln bewahren, zum Beispiel durch das Einbringen von Kunstharzen in poröse Haare. Technisch ginge das. Aber so etwas verbietet der Respekt vor den Opfern.“
Liebe Margrit Bormann,
habe Sie heute bei 3Sat bewundert. Außerordentlich sympathisch, erfreulich glaubhaft vermittelten Sie Ihr Anliegen, Aufarbeitung direkt vor Ort, im Detail, sehr sorgfältig zu betreiben. Ich bewundere Sie sehr. Vor allem ein Satz hat mir gefallen, ich habe ihn sofort ins Tagebuch geschrieben: „Solange mich das Gewicht dieses Ortes nicht erdrückt, möchte ich hier weiter an der Aufarbeitung teilhaben.“
Sie sind Teil der neuen, ernsthaften Generation der „Verarbeiter“, die sich jedoch trotz aller Gräuel vergangener Zeiten nicht die Freude am Leben im Hier und Jetzt vergällen lässt. Mir gefällt, wofür Sie stehen, ich mag Ihre Ideologie, ich habe großen Respekt vor Ihrer sicherlich schweren Arbeit. Ganz nebenbei bemerkt, Sie sind, wie sagt man so schön Neudeutsch, „äußerst sympathisch rüber gekommen“. Danke.
Herzliche Grüße, G. Cremer