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Zurück Würdigung für Alfred Przybylski

„Unser liebster Freund“

Helmut Morlok erinnert sich an seinen Freund

20.11.20114 Min. Kommentar schreiben
Helmut Morlok (links) und Alfred Przybylski

„Um über das Konzentrationslager zu siegen – auch dann nur mit geringen Überlebenschancen –  war es unabdingbar, das Lager als Realität anzunehmen“, schrieb Maria Anna Potocka in ihrem Vorwort zum Buch über das Leben von Wilhelm Brasse, Häftling 3444, Fotograf von Auschwitz.

Wenn Alfred Przybylski zu mir sagte: „Im Lager ging es darum, den heutigen Tag zu überleben“, dann bestätigt er damit diese Grundregel, „das Lager als Realität anzunehmen“ auch für sein Überleben.

Wahrscheinlich hätte er unsere Frage nach dem Sinn seiner Arbeit als lebensfremd, besser überlebensfremd, empfunden. Zum Überleben in Auschwitz gehörte eine „gute“, relativ schonende Arbeit. Die Arbeit im „Kommando Bauleitung“ war für ihn eine gute Arbeit. Seine technischen Kenntnisse waren gefragt, er sprach deutsch, er arbeitete in einer Gruppe von Berufskollegen, die sich solidarisch gegenseitig stützten; Leute von großer Menschlichkeit. Wenn sie als Vermesser außerhalb des Lagers beschäftigt waren, nutzten sie jede Gelegenheit, durch das „Ins-Lager-schmuggeln“ von Medikamenten und Nahrungsmitteln, ihren Kollegen zu helfen – ein Akt der Nächstenliebe, des Widerstandes, den viele mit ihrem Leben bezahlten.

Die Arbeit im „Kommando Bauleitung“ bedeutete jedoch nur eine scheinbare Sicherheit. Zum System des Lagerterrors gehörte es, die Häftlinge willkürlich aus ihrem Kommando zu reißen. Alfred Przybylski schildert in seinem Interview, wie er zu medizinischen Versuchen ausgesucht wurde, in welchen anderen, körperlich kaum auszuhaltenden Kommandos er arbeiten musste. Seine Kenntnisse im Bauberuf waren jedoch gefragt; Zurückberufungen in das „Kommando Bauleitung“ retteten sein Leben.

Ich durfte Alfred Przybylski vom Jahre 1986 bis zu seinem Tod im Jahre 1994 als Kollege erleben, als Freund begleiten. Für ihn war seine Zeit im Lager nur ein Kapitel seines Lebens, ein Kapitel unter seinen vielen anderen. Wenn er aus dieser Zeit erzählte, dann klagte er nicht. Ruhig – manchmal blitzte sein Humor auf – erzählte er, ohne sich in ein besonderes Licht zu rücken. Er konnte über sich selbst lachen. So, als er einmal erzählte, wie ihm die Knie vor Angst schlotterten, als der Hund des Kommandanten Höss an seinen Füßen schnupperte. Höss hoch zu Ross, begleitet von seinem Hund, war auf seinem täglichen Ausritt. Ein ins Lager zurückkehrender Vermessungstrupp begegnete ihm. Der bewachende SS-Mann erstattete Meldung. Alfred Przybylski hatte in seinen zugebundenen Unterhosen Kartoffel versteckt. Das war sein Glück. Denn manchmal bekamen er und seine Kollegen von den polnischen Bauern auch ein Stück Fleisch oder Wurst geschenkt. Aber an diesem Tag waren es glücklicherweise nur Kartoffel. Der Hund blieb bei den versteckten Kartoffeln ruhig. Alfred Przybylskis Leben war gerettet.

Wir gingen oft gemeinsam durch das Stammlager. Jedesmal hatte er Blumen dabei, die er an der Hinrichtungsstätte seiner Kollegen vom Vermessungstrupp, neben dem zentralen Appellplatz, niederlegte. Er wollte dabei immer allein sein. Wenn wir wieder beisammen waren, versuchte er seine Tränen zu verbergen. Er wollte trotz seiner Zeit in den Lagern ein „normales“ Leben führen. Sein Beruf, seine Arbeit als Architekt, hatte einen hohen Stellenwert in seinem Leben. Bescheiden zeigt er mir, bei meinen Besuchen in Warschau, nur einen kleinen Ausschnitt seines architektonischen Werkes. Durch die jüngst von meinem Sohn gemachten Fotos habe ich jetzt erst den Umfang und die hohe Qualität seiner Bauten respektvoll erkannt.

Seine Familie war ihm wichtig. Mit seiner früh verstorbenen Frau verband ihn eine innige Liebe. Er trauerte sehr um sie. Leben wollte er nur in Warschau. Wenn er bei uns in Isny zu Besuch war, packte ihn schon nach wenigen Tagen das Heimweh. Er müsse dringend eine liegengebliebene Bauaufgabe abschließen, so seine Begründung.

Neben der Familie war es sein Freundeskreis, seine ehemaligen Kollegen aus den Lagern, in dem er sich wohl fühlte. Mehrfach durfte ich ihn in Warschau und Oświęcim im Kreise seiner Freunde erleben. Ich konnte verfolgen, welch hohes Ansehen er dort bei in Polen hochangesehenen Persönlichkeiten genoss. August Kowalczyk und Kasimierz Albin gehörten zu den Wenigen, denen die Flucht aus Auschwitz  gelungen war. Anschließend im Untergrund kämpfend, sagten beide von Alfred Przybylski: „Er war unser bester Kamerad – unser liebster Freund.“

Alfred Przybylski war ein warmherziger, bescheidener, vornehmer Mensch. Mit ihm befreundet zu sein, war für mich eine Auszeichnung.

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