Von Cornelia Dörries
Zur Präsentation seiner neuen Entwürfe erscheint das junge, zweiköpfige Planerteam aus dem Berliner Szenebezirk Friedrichshain ganz lässig in Sweatshirt und Turnschuhen. Beide haben lange vor dem Bildschirm gesessen, sich gemeinsam über die zukünftigen Bewohner und Nutzer der neuen Häuser Gedanken gemacht, ausprobiert, verworfen, neu gestaltet – doch jetzt ist es so weit: Janek Pantle und Anton Karpe stellen ihre Ideen vor. Sie skizzieren die Wünsche der Bauherren, umreißen kurz die Nachbarschaft des Neubaus und lassen sich auch mit der Frage nach den Baukosten nicht in Verlegenheit bringen. Der Monitor füllt sich in rascher Abfolge mit detailreichen Visualisierungen eines Mehrfamilienhauses in einem kleinteiligen städtischen Kontext sowie einem dreidimensionalen Massemodell von einer großen Veranstaltungs- und Sportarena, erstellt mit modernster Software. Man würde zwar nicht direkt von CAD sprechen; und auch die beiden Kreativen sind mit ihren elf Jahren noch nicht ganz bauvorlageberechtigt. Aber wenn Janek und Anton zeigen, was in Computerspielen wie „Die Sims 3“ oder „Minecraft“ steckt, versteht man gut, dass nicht nur Kinder, sondern auch viele Architektur-interessierte Erwachsene stundenlang begeistert vor dem Rechner sitzen und mit Haustypologien, Straßenführung, Inneneinrichtungen, Gartenanlagen und Badarmaturen spielen.
Im virtuellen Buddelkasten
Auch die beiden Jungs sind über das Lego-Alter längst hinaus und würden mit Empörung reagieren, wenn man sie zum Burgenbauen in den Sandkasten – zu den Babys! – schicken würde. Als Spielplatz für das, was man vielleicht als architektonische Phantasie und Freude am Erschaffen von Räumen und Häusern bezeichnen könnte, bleibt ihnen in diesem Alter eigentlich nur der Rechner.
Nun mögen Bildungsexperten und Lehrer vor isoliertem Bildschirm-Gedaddel warnen, doch viele der oft geschmähten Computerspiele füllen eine Lücke, die das Bildungssystem selbst gerissen hat. Denn gerade im Unterricht hat die kindliche Freude am Entwerfen und Selbst-Gestalten keinen Platz mehr. Architektur in der Schule – das war für die Sechstklässler Anton Karpe und Janek Pantle ein langweiliger Diavortrag über Baustile. Um was es da ging? Längst vergessen.
Mit ihren farbenfrohen computergenerierten Häusern, Stadtteilen und Landschaften haben sie – unbewusst – jedenfalls eine Möglichkeit gefunden, sich auch jenseits des Sandkastens und ohne Lehrplan auf anregende, spielerische Weise mit dem Thema Architektur zu beschäftigen.
Phantasie im Großeinsatz
Zum Beispiel „Die Sims 3“, eine Weiterentwicklung des beliebten SimCity-Spiels, dessen Urahn erstmals 1989 auf den Markt kam: Für seine virtuelle Bauherrenfamilie, eine alleinstehende Frau mit erwachsener Tochter und deren Freund, hat Anton ein eingeschossiges, schlichtes Wohngebäude realisiert. „Für den Anfang lieber ein billiges Haus“, sagt er. „Die Familie hat nicht viel Geld, weil die Frau in der neuen Stadt noch keine Arbeit gefunden hat.“ Also gibt es zunächst nur die Mindestausstattung, die er sich über das Angebot an verfügbaren Bauelementen und Ausstattungen zusammenklickt. Der sogenannte Baumodus kann sich über Tage und Wochen hinziehen. Selbst Bauschäden schlagen korrekt zu Buche, beispielsweise, wenn Anton rasch mal eben eine neue Wand hochzieht und dabei vorhandene Strukturen beschädigt. Dann hat Frieda, der Haushaltsvorstand seiner Bauherrenfamilie, wieder einen Grund, sich in der Stadt nach einem neuen Nebenjob umzusehen. Es ist ein komplexes Spiel, das sich nicht in dem Herumschieben von Bauelementen erschöpft, sondern dem Spieler auch soziale Phantasie, unternehmerisches Geschick und ein Gefühl für die Umgebung abverlangt.
Bauen in Netzwerken
Während Anton gerade am Anfang seiner Karriere als SimCity-Baulöwe steht, gibt es auch richtige Profis, die das Spiel seit Jahren betreiben und sich über Foren und Webseiten gegenseitig mit teilweise selbst programmierten Downloads versorgen, Tricks für bestimmte Gestaltungsmöglichkeiten austauschen und zu Hause am Computer über die Geschicke einer von ihnen entworfenen, hochkomplexen, modern organisierten Stadt mit kompletter Infrastruktur bestimmen. Andrea Günther, die Pressesprecherin des Spieleherstellers Electronic Arts in Köln, verweist auf beeindruckende Zahlen: Die Sims-Facebook-Seite verzeichnet derzeit mehr als 145.000 Fans und etwa drei Millionen Beitragsaufrufe pro Monat. Viele Sims-Fans sind über das Spiel zum ersten Mal überhaupt mit Fragen von Bauen und Gestalten in Berührung gekommen und gleichen ihre praktischen Erfahrungen als Stadtbewohner und –benutzer mit dem ab, was sie in ihrer Phantasie entstehen lassen. Möglicherweise entwickelt sich ja auch auf diese Weise ein neues Bewusstsein für bauliche Qualitäten und städtische Räume? Das interessiert den 11-jährigen Janek freilich nicht so sehr. Er ist im Moment damit beschäftigt, im Online-Spiel Minecraft eine riesige Veranstaltungshalle für Sportevents und Konzerte zu errichten. „Minecraft ist ein Multi-Player-Game, bei dem man aus einzelnen Blöcken Gebäude errichten kann“, weiß er. „Diese Gebäude sind dann Teil einer Welt, an der ganz viele Mitspieler aus verschiedenen Ländern über längere Zeit bauen.“ Wer bei Minecraft als aktiver Spieler angemeldet ist, kann mit anderen Teilnehmern in Kontakt treten und sich mit ihnen über neue Pläne verständigen.
Und was ist nun besser, die Sims oder Minecraft? Anton und Janek blicken sich an. Was für eine dumme Frage! „Bei Minecraft baut man eine neue Welt, und bei SimCity kann man in einer bestehenden Stadt Häuser errichten, die wie in echt aus Bauteilen zusammengefügt sind. Es sind zwei ganz unterschiedliche Spiele.“ So was muss man nur Erwachsenen erklären.