Von Isabell Kiefer
Fassadenbegrünung ist traditionell kein Thema für hochverdichtete Innenstädte. Mit Efeu, Wein oder Rosenspalier begrünte Hauswände finden sich eher in dörflichen Strukturen. Hohe Baudichte, fehlende Grünflächen und der Wunsch, Grün sichtbar, erlebbar sowie klimatisch und energetisch wirksam zu machen, lassen begrünte Fassaden aber gerade für Städte immer interessanter werden. Für die Fassadenbegrünung spricht ökologisch, klimatisch und visuell vieles:
- Verschönerung des Lebens- und Arbeitsumfelds
- Verdunstungskühlung und Temperaturpufferung
- Verschattung reduziert das Aufheizen der Oberfläche, was Kühlkosten spart
- Polstereffekt, der den Wärmeverlust mindert
- Luftreinigung durch Umwandlung von CO2 und durch Staubbindung
- Schutz vertikaler Flächen gegen Verwitterung, gegen chemische und physikalische Beanspruchung
- Lärmminderung um bis zu zehn Dezibel – schluckt Schall, reduziert die Schallreflexion
- Regenwasserretention
- Förderung von Biodiversität
Einige dieser Vorteile lassen sich in konkrete Werte ummünzen. Andere wurden bislang nur für bestimmte Bepflanzungen untersucht oder sind nur für einige Klimaregionen interessant. Zum Beispiel fallen die positiven Effekte der Verdunstungskühlung in Schanghai mehr als hierzulande ins Gewicht. Zu der Frage, was Begrünungen bewirken können, hat unter anderem Thomas Nehls, TU Berlin, nach Rastern gesucht, die Grundlagen einer Begrünungsstrategie sein können. Daraus entstand zum Beispiel der Stadtraumtypen-Katalog „Solare Flächenpotenziale Berlin“, Ecofys GmbH, 2008.
Teil der Gebäudeplanung
Das Thema ist hochkomplex und reicht von der Eignung der Pflanzen und ihrer Wüchsigkeit über Modellrechnungen zur Verdunstungskühlung bis zum Schallschutz. Neben den ökologischen und gestalterischen Aspekten sind baukonstruktive Voraussetzungen, wie Statik, Wärmeschutz oder Brandschutz, zu beachten — ebenso der Standort und die daraus resultierende Windexposition. Unter anderem erfordern die erhöhte Windangriffsfläche durch den Bewuchs und die größere Auflagefläche für Schnee und Eis statische Nachweise. Daher gehört die Fassadenbegrünung konzeptionell in die Gebäudeplanung. Nur in Verbindung mit ihr kann eine Begrünung ihr Potenzial voll entfalten.
Begrünungsvarianten
Bodengebunden
Die „Urform“ der Fassadenbegrünung – der bodengebundene Dirketbewuchs, wie Efeu – hat überall dort, wo preiswertes und wartungsarmes Grün gewünscht wird, ihre Berechtigung. Durch die Auswahl starkwüchsiger oder weniger wüchsiger Pflanzen kann der Bewuchs ebenso wie durch Rückschnitt und Formschnitt in einem gewissen Rahmen gesteuert werden. Bei vorgehängten und hinterlüfteten Fassaden, wärmegedämmten Vorsatzfassaden, holzbekleideten Fassaden und Trapezblechwänden sind grundsätzlich nur Gerüstkletterpflanzen bzw. fassadengebundene Begrünungen zu empfehlen. Die Triebe von Selbstklimmern wachsen in Fugen und Spalten hinein und verursachen durch Dickenwachstum Schäden an der Fassade. Die Nachteile einer Direktbegrünung – vor allem unerwünschte Ausbreitung und statische Beanspruchung der Wetterschutzschicht – können durch die Verwendung von Gerüstkletterpflanzen an Kletterhilfen weitestgehend vermieden werden. Dabei entwickeln einige Schling- und Rankpflanzen solche Wuchspotenziale, dass sie auch zur Begrünung höherer Bauwerke eingesetzt werden können, sofern eine entsprechende Kletterhilfe vorhanden ist.
Zahlreiche starkwüchsige Kletterpflanzen zeichnen sich außerdem durch Ausbildung dickerer Haupttriebe aus, die größere Wandabstände der Kletterhilfen erforderlich machen. Größere Auskragung von Befestigungsmitteln bedeutet größere Hebellängen und entsprechend höhere Anforderungen an ihre Steifigkeit und die Festigkeit ihrer Verankerungen im Tragwerk. Dickenwuchs geht – insbesondere bei Schlingpflanzen – fast unvermeidlich mit dem Auftreten pflanzenverursachter Druck- oder Zugspannungen einher, die als unkalkulierbare zusätzliche Belastung auf Kletterhilfen und Befestigungen einwirken. Dieser Lasteinfluss muss durch „Erziehung“ weitgehend ausgeschlossen und/oder durch regelmäßige Verjüngung bei Bedarf gemindert werden. Seine Relevanz als Ursprung für Mängel oder gar Schäden ist mit der Bauweise von Kletterhilfen und deren Befestigung verknüpft.
Optimale Anpassung der Wüchsigkeit an die Dimensionen der zu begrünenden Flächen kann sich auch vorteilhaft („entlastend“) auf die erforderliche Dimensionierung von Kletterhilfen und deren Befestigung am Bauwerk auswirken. Abgesehen vom Holzgewicht der Arten besteht eine gewisse Relation zwischen Wüchsigkeit und Eigengewicht (trocken und nass) da hierfür die Gesamtfläche des Laubes eine wesentliche Größe darstellt. Wind- und ggf. Schnee- und Eislasten müssen am selben Standort (Windexposition/ggf. Schneelastzonen) ebenfalls vorrangig nach Wüchsigkeit der Bepflanzung angesetzt werden, da daraus größere Überhänge nach vorn resultieren. Damit erhöhen sich die relevanten Windangriffsflächen parallel zur Wand oder an Gebäudeecken und ggf. die Auflageflächen für Schnee und Eis.
Eine umfassende Information und ein Plädoyer für bodengebundene Fassadenbegrünungen befinden sich auf der Website von Thorwand Brandwein. Er hat auch ein unkompliziertes und übersichtliches „Lastklassenmodell“ für gepflegte Fassadenbegrünungen mit Gerüstkletterpflanzen ergänzt. Damit lassen sich die statischen Anforderungen an Kletterhilfen und Befestigungsmittel festlegen und für VOB-konforme Ausschreibungen nutzen. Siehe auch www.biotekt.de
Vorgehängte Grünfassaden
Fassadenbegrünung, vertikale Gärten, Living Walls – das sind nicht nur Marketing-Begriffe, sondern Anzeichen für die Entwicklung zu komplexeren Systemen. Neben den traditionellen bodengebundenen Begrünungen (siehe Online-Hinweis auf Seite 50) sind seit einigen Jahren fassadengebundene Lösungen auf dem Markt. Sie sind als modulare oder flächige Systeme verfügbar und bieten eine weitgehende gestalterische Freiheit. Die fassadengebundenen Systeme sind nach dem Prinzip der vorgehängten, hinterlüfteten Fassade konstruiert und werden als Vorsatzschale direkt auf die Außenwand montiert. Sie ersetzen damit die Bekleidung der Fassade — entweder vollständig oder, bei den modular aufgebauten Systemen, teilweise. Da die Pflanzen während der Bauzeit schon vorgezogen werden können, ist bereits mit der Baufertigstellung eine flächendeckende Begrünung möglich. Da die Pflanzen eine relativ aufwändige Bewässerung und Nährstoffversorgung benötigen, werden die Begrünungssysteme mit und ohne integrierte Bewässerungstechnik angeboten. Für Planung, Bau, Steuerung und Wartung von Bewässerungssystemen sind spezielle Fachkenntnisse nötig.
Dazu eine Checkliste:
- Abstimmen von Bewässerungszeit/-dauer auf den Standort (Exposition, Wind, Strahlung), Bepflanzung, Substrat/Trägermaterial
- Abstimmung der Bewässerungsdauer auf Füllzeit der Zuleitungsrohre und der Bewässerungskreisläufe
- Abstimmung der Wasserkreisläufe auf den Standort – Fassadenteile mit gleicher Exposition, Wind- und Strahlungsbelastung in einem Wasserkreislauf
- Winterbewässerung – selbstentleerende Bewässerungssysteme einsetzen
- Bedarfsgerechte Bewässerungen – gezielter, repräsentativer Einsatz von Bodenfeuchtesensoren, Klimastation
- Wasserspeicherndes Substrat/Trägermaterial einsetzen, regelmäßiges Durchfeuchten von Substrat, auf Trägermaterial achten
- Abstände der Tropfer und Lage der Pflanze zu Tropfer auf Wasserbedarf der Pflanze abstimmen
- Kombination von Bewässerung und Düngung
- Wasserquelle – öffentliche Wasserversorgung, Hausbrunnen, Dachwasser, Zisterne
- Filterung und Reinigung von Wasser bei Kreislaufbewässerung – Verstopfung/Verlegung der Bewässerungsanlage
- Kosten-Nutzen-Abschätzung bei Wasserwiederverwendung – Aufwand für Reinigung/Filterung von Wasser und Hochpumpen von Wasser in Verteilerleitungen
Basis der Begrünung bildet ein Pflanzsubstrat, das, je nach System, in Kassetten (modular) oder flächendeckend eingebaut wird. Kassetten können in verschiedenen Farben und fertig bepflanzt in vorbereitete Schienen an der Fassade eingehängt werden. Flächige Begrünungssysteme basieren in der Regel auf Vlies als Pflanzenträger. Beide System-Varianten wiegen je nach Ausführung zwischen 30 und 300 kg/m² und sind damit relativ schwer. Verschiedene Formen der Bewässerung (Unterflur-, Tropfbewässerung oder Benebelung) versorgen die Pflanzen mit Feuchtigkeit und Nährstoffen. Das ermöglicht eine große Artenvielfalt an bewährten Pflanzen, die vor Ort eingesetzt und leicht ersetzt werden können, sodass eine kreative Wechselbepflanzung je nach Blütezeit möglich ist. Grundsätzlich empfiehlt es sich, bei der Planung eine fertige flächendeckende Begrünung vorzusehen und dies mit dem Bauzeitenplan abzustimmen. Die am besten geeigneten Monate für die Pflanzung sind April bis Juni und September bis Anfang November.
Muster-Leistungsverzeichnisse
Mit Muster-Leistungsverzeichnissen zur Fassadenbegrünung wollen der Fachverband Baustoffe und Bauteile für vorgehängte hinterlüftete Fassaden e.V. (FVHF) und die Fachvereinigung Bauwerksbegrünung (FBB) die gärtnerischen und konstruktiven Kompetenzen zusammenfassen und allgemein brauchbare Texte als exakte Beschreibung der zu erbringenden Leistungen bieten. Diese Texte sollen dem Ausschreibenden bei einer vollständigen Leistungsermittlung Unterstützung geben. Eine inhaltliche VOB-Angleichung (hier: VOB/C) wurde angestrebt, weil sie ein bewährtes Bindeglied zwischen dem Auftraggeber, dem Bauherrn, dem Planer und dem Ausführenden darstellt.
Die Bemessung von Kletterhilfen, deren Verankerung beziehungsweise die Verankerung von fassadengebundenen Begrünungen sind konstruktive Aufgaben, die normativen und bauaufsichtlichen Anforderungen genügen müssen. Das Gleiche gilt für die Werkstoffauswahl der Kletterhilfen. Die gärtnerische Leistung wird damit unterstützt und fortgesetzt. Die Beschreibung von Teilleistungen gibt allen Beteiligten die gebotene Preissicherheit, auch für spätere Wartungs- und Unterhaltsarbeiten.
Kostenfaktor Wand-Gärtnern
Die Investition in eine Fassadenbegrünung kommt nicht allein dem Bauherrn zugute; auch das Umfeld profitiert. Am langlebigsten sind sicherlich bodengebundene Bepflanzungen. Fassadengebundene Lösungen müssen in Abhängigkeit vom Wurzelwachstum in Abständen neu bepflanzt werden. Neben den Herstellungskosten (Bepflanzung und Fertigstellungspflege) sind Unterhaltskosten für Schnitt, Bewässerung, Düngung und den Austausch von abgestorbenen Pflanzen zu kalkulieren. Bei den Baukosten kann man die Kosten einer üblichen hochwertigen Fassadengestaltung mit Naturstein oder Glas dagegenrechnen. Die beginnen etwa ab 400 Euro pro Quadratmeter.
Isabell Kiefer ist freiberufliche Baufachjournalistin in Mainz.
Übersicht der fassadengebundenen Begrünungs-Systeme
Hochhäuser als vertikaler Wald
Eine besonders ausgeprägte Form begrünter Fassaden entsteht derzeit in Mailand: Der „Bosco Verticale“ des italienischen Architekturbüros Boeri Studio erinnert an üppig bepflanzte Terrassen. Die beiden Türme — je 76 und 110 Meter hoch — werden mit Hunderten von Bäumen und Tausenden von Sträuchern bepflanzt. Noch in diesem Jahr sollen die Wohn- und Geschäftsgebäude bezugsfertig sein. Für das Grün werden für jedes Gebäude 900 Bäume, 5.000 Sträucher und Büsche sowie 11.000 weitere Bodenpflanzen eingesetzt. Insgesamt soll die begrünte Fläche 10.000 Quadratmeter betragen. Damit die Pflanzen mit dem Klima zurechtkommen, hat das Architekturbüro mit der Landwirtschaftlichen Fakultät der Universität Mailand zusammengearbeitet. Es wurden Pflanzen ausgewählt, die etwa den verstärkten Wind auf den Terrassen besonders gut aushalten. Um den „vertikalen Wald“ mit Wasser zu versorgen, haben die Planer ein Schlauchsystem installiert, über das Brauchwasser zu den Pflanzen geführt wird. Die Pumpe wird mit regenerativer Energie betrieben. Berechnungen zufolge sollen die Mehrkosten dieser Bauten im Vergleich zu einem traditionellen Hochhaus nur etwa fünf Prozent betragen.
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Ist eine bodengebundene Aussenwandbepflanzung an einer Klinkerfassade ist mit geringem Risiko behaftet ?
Alter des Gebäudes : ± 100 Jahre
Lage: Innenstadt
Zugang zum Erdreich : Nord-ost + Nordwestfassade
Zu begrünende Fassaden: Süd-west; Südost; Nordwestfassade;Nord-ost
Klimadaten : Jahresdurchschnittstemp.3°C ; Winter min temp. – 40°C ; Sommer max temp +38°C
Ziel : Temperaturpuffer im Sommer + gegf. im Winter; Schallschutz
Zu vermeiden:
– Schäden an der Aussenfassade durch eindringen der Pflanze in den Mörtel (Zusammensetzung des Mörtels stammt von 1927 also Kalkverbindung)
– Ansammlung von Feuchtigkeit
Ist eine Kletterhilfe vorteilhafter gegenüber direkter Wandanhaftung da Hinterlüftung und Schallschutzfunktion?
Welche Pflanzenarten sind sinnvoll bei solchem Klima und bei vorhandener oder ohne Kletterhilfe?
Wie hoch soll die Traglast einer Kletterhilfe sein. Risiken : Eis, Wind ; Schnee