Text: Cordula Rau
Der Architekturhistoriker Julius Posener stellte 1974 fest: „Nicht Stadträume schaffen das städtische Leben, sondern das städtische Leben schafft sich Stadträume.“ Das zitierte Dietmar Steiner, Direktor des Wiener Architekturzentrums, zum Start der dortigen Ausstellung mit dem modisch-englischen Titel „Hands-On Urbanism“. Deren Thema ist der Gegensatz von baulicher Verwertung und Verdichtung auf der einen und den Eigeninitiativen von Bürgern mit und auf Stadtgrün auf der anderen Seite. Jede der 18 Fallstudien steht für eine andere Krisensituation: die Dynamik der Industrialisierung und des städtischen Wachstums im 19. Jahrhundert, die Nöte nach den Weltkriegen, die Industrialisierungswellen ab etwa 1950 – und heute das explosionsartige Stadtwachstum im Süden der Erde und weltweit den Druck auf die Flächen durch die ökonomisch getriebene Stadtentwicklung.
Von den Anden bis zur Weser
Frühestes Beispiel sind die Leipziger Gärten des Dr. Daniel Gottlob Moritz Schreber. Der erste wurde 1865 von einem Elternbildungsverein mit dem Anspruch initiiert, diesen Ort aus der Spekulationslogik der Stadt zu ziehen. Das klingt sehr aktuell. Damals wurden zunächst Beete rund um einen Platz angelegt. Etwas später entstand aus diesen die Parzellenform als Grundeinheit des Schrebergartens.
Zeitlich und örtlich weit weg, doch inhaltlich verwandt ist das Dorf Ma Shi Po in Hongkong. Die Stadt gilt als Labor der Dichte, jedoch wurden fast 87 Prozent der „new territories“ von Hongkong vorher landwirtschaftlich genutzt. Das Dorf widersetzt sich den Plänen eines Investors, der einen Großteil der Flächen aufgekauft hat. Die Bewohner haben sich organisiert und leisten seit 2010 Widerstand. Sie agieren aber nicht außerhalb des Systems, sondern halten Bürgerforen ab und laden die Vertreter der Gemeinden ein.
Klassische Parks und Grünanlagen können eine kritische Rolle spielen, wie ein Beispiel aus Quito in Ecuador zeigt. Die derzeitige Formalisierung der Siedlungen und Wasserwege in den Schluchten durch die städtischen Behörden und das Schaffen von städtischer Infrastruktur haben auch negative Folgen: Das fragile und dynamische System der Besiedlung von Schluchten und ihrer Ökosysteme wird somit von einem sehr fixierten und starren abgelöst. Ein alternativer Weg könnte darin bestehen, für die natürlichen Wege des Wassers ein Infrastrukturkonzept zu entwickeln, das diese gleichzeitig mit den offenen grünen Räumen als dynamisches Ökosystem erhält.
Das „Gecekondu“, was ursprünglich so viel bedeutet wie „über Nacht gelandet“, liegt in Istanbul im Brennpunkt urbaner Krisen. Die spontanen Siedlungen, ein Massenphänomen in den türkischen Städten, haben ihren Ursprung in den 1950er-Jahren, als sehr viele Arbeitsmigranten vom Land in die Stadt zogen. Um ihre Bedürfnisse zu befriedigen, errichteten sie über Nacht Dächer und blieben. Oft leben große Familienverbände in zwei Zimmern, haben aber Zugang zu Außenräumen, in denen sie Nahrungsmittel anbauen und kleine Nutztiere halten können. Nach der geplanten Umsiedlung in Etagenwohnungen wäre das nur noch selten möglich.
Wiederum ein historisches deutsches Beispiel sind die „Kaisen-Häuser“, die in der Nachkriegsnot in Bremen entstanden. 1945 genehmigte der damalige Bürgermeister Wilhelm Kaisen das bis dahin verbotene Wohnen auf Kleingartenparzellen. 1952 verteilten sich bereits an die 50.000 Menschen auf 40.000 bewohnte Parzellen mit zugehöriger Infrastruktur. Wie ein grüner Gürtel umschlossen sie das gesamte Stadtgebiet.
Ein aktuelles Beispiel aus Mitteleuropa ist der „Community Garden Amsterdam“. Hier hat die Künstlerin Marjetica Potrč gemeinsam mit der Gruppe „Wilde Westen“ ein zweijähriges Kunstprojekt im als schwierig geltenden Amsterdamer Stadtteil New West verwirklicht. Das Viertel war nach dem Zweiten Weltkrieg als Gartenstadt geplant worden. Für Potrč bedeutet ein „Community Garden“ weitaus mehr als nur eine Fläche, wo gemeinsam Gemüse angebaut wird. Für sie ist das Projekt auch ein politischer Prozess. Gemeinschaftsgarten und Gemeinschaftsküche sind ihrer Meinung nach Katalysatoren für die Veränderung der Gesellschaft. Nicht alle Projekte haben ein Happy End – so auch das zuletzt genannte: Hier droht die Vertreibung einkommensschwächerer Bewohner, die vielfach einen Migrationshintergrund aufweisen.
Mehr über die Ausstellung unter www.azw.at
War dieser Artikel hilfreich?
Weitere Artikel zu: