Interview: Cornelia Dörries
Urlaubsarchitektur ist für Jan Hamer eine Freitags-Angelegenheit. Denn die Woche über arbeitet der Architekt in einem Büro für Laborplanung in Kassel. Zum Gespräch über Baukultur und Berghütten, touristische Nischen und die Sorgen der Vermieter lädt er an einem sonnigen Vormittag in sein Wohnhaus im grünen Süden Hannovers ein, das sich dank Lage und Architektur vermutlich auch für seine Website qualifizieren würde. Man kann hier jedenfalls gut nachvollziehen, dass jemand, der Wert auf eine angenehme, gut gestaltete Wohnumgebung legt, auch in den Ferien nicht darauf verzichten will.
Wie sind Sie eigentlich auf die Idee gekommen, eine Website für schöne Ferienhäuser einzurichten?
Angefangen habe ich 2007, ohne konkrete Vorstellung darüber, was das mal werden soll. Ich hatte damals nicht die geringste Ahnung, dass dieses Projekt irgendwann so groß werden könnte. Im Grunde war es meine eigene Unzufriedenheit mit Ferienhäusern, die ich selbst mal gemietet hatte. Man kennt das ja: Räume, vollgestellt mit Omas ausrangierten Möbeln und den ganzen Staubfängern, die man erst mal einsammeln muss, wenn man ankommt. Jedes Jahr gab es die gleiche Diskussion unter Freunden: „Kennt ihr nicht was Schönes, wo man hinfahren kann?“ Irgendwann dachte ich, wenn man solche Gespräch immer wieder führt, sollte man mal anfangen, gute Häuser zu sammeln.
Also ganz schlicht Eigenbedarf.
Nicht nur. Ein Freund, Architekt wie ich, war damals nach Dänemark ausgewandert und hatte ein Ferienhaus gebaut, ein ambitioniertes Projekt, bei dem ich auch mithalf. Er musste dann feststellen, dass es total schwierig ist, Gäste zu finden, zu denen ein solches Haus passt – also Leute, die eine bestimmte Qualität suchen und zu schätzen wissen. In Dänemark lässt sich im Sommer und über Weihnachten eigentlich jedes Haus vermieten, da ist alles ausgebucht. Das Problem ist jedoch, wie man in der Zeit dazwischen Gäste findet, die mit so einem besonderen Angebot etwas anfangen können. Ich habe einfach beide Seiten gesehen – den eigenen Bedarf und die Vermieter, die nicht die passenden Gäste finden – und dachte, dass sich diese beiden Enden gut verknüpfen lassen.
Besondere Ferienhäuser für besondere Gäste – kann man das so sagen?
In vielen der „Urlaubsarchitektur“-Häuser steckt enorm viel von den Eigentümern. Es sind eigentlich private Ferienhäuser, also sehr persönliche Refugien, die fremden Gästen zur Verfügung gestellt werden. Da wünscht man sich natürlich Leute, die das auch gut finden und schätzen.
Mit welchen Projekten ist „urlaubsarchitektur.de“ an den Start gegangen?
Die ganze Seite war anfangs wie ein Blog angelegt. Die ersten Projekte waren einzelne Häuser, die ich zufällig kannte. Dann kamen unregelmäßig weitere Häuser dazu, die ich noch selbst in Zeitschriften recherchierte. Irgendwann bekam das Ganze eine Eigendynamik. Jetzt veröffenlichen wir jeden Freitag ein neues Haus.
Wie wählen Sie die Projekte aus?
Inzwischen ist es so, dass ich ausschließlich mit Empfehlungen arbeite. Es gibt auf der Webseite aber auch ein Formular für Eigentümer, die sich für einen Eintrag bewerben wollen. 80 Prozent sage ich sofort ab, weil sie nicht zu uns passen. Von den 20 Prozent, die dann noch übrig sind, veröffentlichen wir etwa die Hälfte innerhalb weniger Wochen. Die andere Hälfte kommt auf eine Warteliste. Bei diesen Projekten bin ich nicht sicher, ob sie passen oder ob das Interesse der Anbieter wirklich verlässlich ist. Das ist auch so eine Gefühlssache. Manchmal ist es schwer zu sagen, ob das Haus nicht vielleicht toll ist, auch wenn die Homepage katastrophal aussieht. Man müsste da eigentlich hinfahren.
Werden Sie von den Interessenten eingeladen, um sich einen eigenen Eindruck zu verschaffen?
Von allen.
Herrlich! Sie könnten also hauptberuflich Feriengast sein?
(Lacht.) Ja, klar. Viele der Hausbesitzer oder Betreiber melden sich und sagen: „Kommen Sie doch mal vorbei, gucken Sie sich um.“ Doch die Zeit habe ich ja gar nicht. Am Anfang war es noch so, dass ich die Häuser alle persönlich kannte. Aber das schaffe ich nicht mehr. Ich betreibe das als Hobby.
Aber das Hobby hat sich nicht nur verselbstständigt, sondern macht auch einen professionellen Eindruck.
Die Medienresonanz war enorm, das stimmt. So etwas wie urlaubsarchitektur.de gab es vorher eben nicht. Mir wurde bestätigt, dass es weltweit wohl keine so gute Auswahl gibt. Wenn man sich die Projekte ansieht, merkt man schnell, dass es Häuser mit einer außergewöhnlichen Architektur sind, und auch, dass es keine kommerzielle Seite ist. Jedes Unternehmen, das auf diese Weise Geld verdienen wollte, würde so eine Auswahl nicht zusammenbekommen.
Sie haben also nicht die Absicht, Ihr erfolgreiches Hobby mit einem wirtschaftlichen Interesse zu verknüpfen? Denn möglich wäre das doch bestimmt?
Bis 2010 war alles kostenlos. Seither sind alle Häuser, die neu aufgenommen werden, ein halbes Jahr lang für umsonst dabei. Das ist eine Testphase, nach der sich die Bewerber entscheiden müssen, ob sie für einen festen Jahresbeitrag mitmachen oder aussteigen. Manche sagen dann: „Wir sind so gut gebucht, dass wir das nicht nötig haben.’“ und scheiden aus. Die Beitragsmodalitäten sind ganz transparent: Jeder Interessent kann sie auf der Website nachlesen. Die Jahresbeiträge berechnen sich in Abhängigkeit von der Größe des jeweiligen Objekts und reichen von 240 Euro für kleinere Unterkünfte bis maximal 480 Euro für Hotels oder große Ferienhäuser. Dieses Geld hilft, die Kosten zu decken.
Was für Kosten fallen an?
Schon die Homepage selbst kostet ja etwas. Und wir sind mittlerweile ein Team von sieben Leuten. Bisher ist urlaubsarchitektur.de knapp kostendeckend.
Wie sind die Aufgaben unter Ihren Mitarbeitern verteilt?
2010 habe ich gemerkt, dass ich die ganze Pressearbeit, die Bilderanfragen und PR-Aufgaben nicht mehr allein schaffe. Daher habe ich zwei Leute für diese Arbeit geholt. Und weil ich durch meine hauptberufliche Arbeit als Architekt relativ stark eingebunden bin, habe ich auch die zeitaufwendige Pflege des Webservers abgegeben. Nach der Entscheidung, welches Haus reinkommt, bereite ich die Einträge vor. Die Feinarbeit an den Texten und der Seite wird dann vom Team übernommen.
Fällt die Entscheidung, welches Haus auf die Seite kommt, im Kollektiv?
Die Entscheidung treffe ich im Allgemeinen allein, berate mich aber oft mit Kollegen und Freunden.
Haben Sie für die Aufnahme eines Projekts bestimmte Kriterien entwickelt?
Das Thema Kriterien ist relativ schwierig. Ich achte grundsätzlich auf Aspekte wie Architekt, Auszeichnungen oder Veröffentlichungen. Wir würden gerne hierzu in einem wissenschaftlich begleiteten Forschungsprojekt einen Kriterienkatalog entwickeln. Denn es geht bei der Entwicklung von Maßstäben ja auch um die Bewertung von Gestaltung, was bekanntlich ein extrem schwieriges Feld ist, da sich solche Urteile nur begrenzt objektivieren lassen.
In Großbritannien hat der Philosoph Alain de Botton ja ein eigenes Projekt in Sachen Urlaubsarchitektur ins Leben gerufen. Er beauftragte verschiedene, teilweise sehr berühmte internationale Architekten mit dem Entwurf eines Ferienhauses.
Er hat für unser zweites Buch einen eigenen Beitrag gestiftet, und ein paar seiner Häuser sind auch bei uns verzeichnet. Mir gefällt sein Ansatz, den ich als „ästhetische Erziehung“ bezeichnen würde. De Botton sagt, dass es einen Effekt hat, wenn man mal in so einem architektonisch herausragenden Haus gewohnt hat. Es verändert den Zugang zur Architektur. Da kann auch Urlaubsarchitektur viel bewirken: Natürlich gibt es viele ohnehin architektur- und designinteressierte Urlauber, die sich über ein Angebot wie urlaubsarchitektur.de freuen. Doch es gibt auch die Leute, die man damit zum Staunen bringt. Für die ist das eine völlig neue Erfahrung.
Das Schöne ist auch, dass es sich bei Ihren Projekten nicht um unbezahlbare Luxushäuser handelt, sondern um durchaus erschwingliche Unterkünfte.
Es sind natürlich ein paar Häuser dabei, die ihren Preis haben. Aber in der Regel sind die Preise nicht höher als in der jeweiligen Region üblich. Warum also die schlechteren Angebote nehmen, wenn die besseren nicht mehr kosten? Ich ziele ja auch gar nicht auf Luxushäuser. Ich finde die gelungene Berghütte, die nur eine Ofenheizung hat, genauso spannend. Es soll eine Bandbreite geben, in der jeder etwas Gutes findet. Es geht auch nicht um die „merkwürdigen“ Bewertungen von Tourismusverbänden. Da würden viele unserer Häuser ohnehin glatt durchfallen. Wenn die Tür zwischen Küche und Wohnraum fehlt, gibt’s vom Touristiker halt einen Stern weniger. Diese Logik mag manchmal ihre Berechtigung haben; für die Architektur und die Qualität des Hauses ist sie ohne Belang.
Gibt es einen Austausch zwischen den Eigentümern, die ihre Häuser über urlaubsarchitektur.de anbieten?
Wir haben im letzten Jahr zwei Treffen veranstaltet, das nächste ist für kommenden Herbst geplant. Unser erstes Treffen fand im Kavaliershaus am Finckener See zwischen Schwerin und Berlin statt, einem Projekt vom Büro Nalbach + Nalbach aus Berlin. Ein tolles Haus! Ach, das ist auch so eine spannende Geschichte, wie so oft bei den Häusern. Frau Nalbach hat mir erzählt, dass sie dieses Gebäude blind gekauft hat, ohne es vorher zu sehen. Sie blättert vor dem Einschlafen wohl oft in diesen Zwangsversteigerungs-Katalogen, und da hat sie dieses Haus gefunden. Sie wollte das Haus retten. Weil die Versteigerung schon einen Tag später stattfand, hat sie das Objekt noch bei Google angeguckt und dann telefonisch ersteigert. Dort haben wir uns im letzten Frühjahr getroffen. Es kamen etwa 30 Leute. Obwohl sie sich nicht kannten, hatten sie sich viel zu erzählen.
Über welche gemeinsamen Probleme wurde da gesprochen?
Über viele praktische Fragen. Wie macht ihr das mit der Reinigung? Vermietet ihr nur von Samstag zu Samstag oder dürfen die Leute frei buchen? Wie findet man die „richtigen Gäste“, also Leute, die das Haus wertschätzen? Und natürlich gibt es große Pläne. Die wollen alle noch mindestens ein weiteres Haus bauen.
Ferienhausbesitzer zu sein, ist also auch ganz schön?
(Lacht.) Ja, das ist wohl eine Sucht.
Viele der Eigentümer sind gar keine hauptberuflichen Hoteliers oder Pensionswirte, sondern betreiben diese Objekte nebenbei.
Viele sind tatsächlich Architekten, die etwas für sich planen uns bauen wollten. Es gibt auch Laien, die quasi zu Architekten geworden sind, weil sie eine alte Hütte kauften und sich als Gestalter ausprobiert haben, mit teilweise sehr guten Ergebnissen. Dann sind da jene Bauherren, die haben ein großes Interesse für Architektur oder einfach viel Glück mit ihren Architekten. Es gibt auch ein paar, die Gestaltung sehr strategisch einsetzen und als Marketinginstrument verstehen, einfach, weil Design „gut geht“. Bei ihnen handelt es sich manchmal auch um eher schwierige Partner. Sie haben einen anderen Zugang zum Thema Architektur und gehen das sehr ökonomisch an. Aber sie sind eine kleine Minderheit. Die meisten wollen bei urlaubsarchitektur.de dabei sein, weil sie sich hier angemessen repräsentiert sehen und das Gefühl haben, unter Gleichgesinnten zu sein.
Jetzt mal zu den Nutzern dieses Angebots, den Feriengästen. Lässt sich die Gruppe derjenigen, die urlaubsarchitektur.de nutzen, soziologisch eingrenzen? Anders gefragt: Gibt es eine identifizierbare Zielgruppe?
Von einigen Häusern weiß ich relativ gut, wer bucht: Die Eigentümer berichten oft, dass die Gäste von urlaubsarchitektur.de meist sehr angenehm sind. Da kriege ich schon mal eine E-Mail der Betreiber, die mir schreiben, dass Gäste über unsere Website zu ihnen gefunden haben, die so nett waren, dass man gleich zusammen gekocht hat. Ich denke, es handelt sich um eine Zielgruppe, die Wert auf gute Gestaltung und Atmosphäre legt, also sicher viele Architekten, Designer oder Medienleute. Aber wir erheben da keine Daten.
Jeder Marketingexperte würde jetzt die Hände über dem Kopf zusammenschlagen.
Das mag sein. Aber ich verfolge keine strategischen Ziele in diese Richtung.
Es scheint so, als hätten Sie, gewissermaßen nebenbei, als Architekt eine Nische entdeckt, die von Tourismusexperten bislang übersehen wurde. Vielleicht ja auch, weil Sie die Bedürfnisse Ihrer Berufsgruppe und anverwandter Disziplinen besonders gut kennen. Der Erfolg Ihrer Seite scheint Ihnen jedenfalls recht zu geben.
Ich glaube, die Touristiker verstehen das Thema Architektur noch nicht. Urlaubsarchitektur.de hat ja gezeigt, dass unser Ansatz funktioniert, und ich glaube auch, dass dies einen Effekt auf die Baukultur haben wird. Aber es wird dauern.
Das komplette Angebot finden Sie unter www.urlaubsarchitektur.de.
Im Berliner Verlag archimappublishers sind außerdem bereits zwei Bücher zu Urlaubsarchitektur erschienen, die neben einer Auswahl von Projekten auch Essays zum Thema, u. a. von Alain de Botton und Gerhard Matzig, enthalten. www.archi-maps.com.
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Sehr geehrter Herr Kollege Hamer,
in der Juli-Ausgabe des Architektenblattes habe ich mit Interesse Ihren Beitrag
„Der Traumhaus-Sammler“ gelesen. Dies ist eine tolle Idee von Ihnen.
Werde die Angebote nun im einzelnen studieren.
Wünsche Ihnen viel Erfolg für weitere gute Objekte.
Mit freundlichem kollegialem Gruß
Walter Gerhard Geiger, Architekt, Filderstadt