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Zurück Welterbe und Praxis

Verfall am Harz

Kleinstadt Ost: Quedlinburg ist von seinem Fachwerk-Reichtum überfordert – und redet trotz des Welterbe-Status wieder über Abriss

31.10.20126 Min. Kommentar schreiben

Text: Günter Kowa

An viel gutem Willen und noch mehr Förderung hat es nach der Wende wahrlich nicht gefehlt, um Quedlinburgs über 2.000 Fachwerkhäuser aus sechs Jahrhunderten vor dem Untergang zu retten – der zu DDR-Zeiten für einen Großteil der Altstadt geplant war. Noch heute sind in einigen Altstadtvierteln die Brachen der Flächenabrisse zu sehen – und Häuser im Quedlinburg-eigenen Plattenbautyp, aufgenageltes Fachwerk und wiederverwendete Holztüren inklusive. 1989 war der Protest besonders heftig: Auf Quedlinburgs größter Demonstration waren mehr Menschen, als die Stadt Einwohner hatte. Mit dem Mauerfall kam die Kehrtwende, erhielt die Altstadt vom Bund Modellstatus und 1994 die Weihen des UNESCO-Welterbes. Bis 2010 setzte das Land noch das „IBA“-Siegel obendrauf und ermutigte zur Aktivierung der „Ressource Altstadt“ – „nicht als Kulisse, sondern als Lebensraum“.

Foto: Wikipedia/T. Wozniak
Leerstand mit Unesco-Prädikat: Quedlinburg mit seinen Fachwerkbauten hat Welterbe-Status, doch die arme Stadt ächzt unter ihrem bauhistorischen Reichtum. Es fehlt an Geld und städtischem Leben, um den wertvollen Bestand zu erhalten. Foto: Wikipedia/Thomas Wozniak

Aber selbst die Internationale Bauausstellung mit dem Thema „Schrumpfende Städte“ unterschätzte, wie dramatisch es weiterhin um die Stadt steht. Deren Einwohnerzahl ist seit der Wende von 29.000 auf 21.000 gefallen, der einst blühende Wirtschaftszweig der Saat- und Pflanzenzucht ist nur noch in Form verlassener Speicherbauten zu besichtigen, und 2007 ging gar der Status als Kreisstadt verloren. Von den erfassten Fachwerkgebäuden, heißt es in den Broschüren, steht jedes fünfte leer. Das war eine bestenfalls vage Schätzung, wie die ersten Ergebnisse des „Welterbe-Managementplans“ zeigen, den Quedlinburg erstellt und in die Hände des Erfurter Büros Rittmannsperger gelegt hat. Bestandteil dieses Werks ist auch ein „Denkmalpflegeplan“, und in diesem breiten die Bearbeiter ein Zahlenwerk aus, dem eine parzellengenaue Erfassung zugrunde liegt.

Dieses Zahlenwerk muss man mit einiger Unerschrockenheit Revue passieren lassen, um die Bedeutung des Begriffs Denkmalschutz für eine Stadt wie Quedlinburg zu ermessen. Ermittelt wurden 2.119 Fachwerkbauten. Das sind 60 Prozent des Bestands an Einzelgebäuden im Welterbegebiet. Die Zahl der Baudenkmale beläuft sich auf 1.689 (48 Prozent des Bestands). Als „ortsbildprägend“ gelten 2.050 Häuser. Nimmt man nur diese, so stehen von den Wohnhäusern 20 Prozent ganz oder teilweise leer, von den historischen Gewerbebauten sogar 27 Prozent: insgesamt mehr als 500 Gebäude. Auf den Gesamtbestand bezogen, sind es mehr als 700.

Verwaist, verfallen, gefährdet

Der Leerstand geht Hand in Hand mit dem Bauzustand. 71 Prozent der betroffenen Wohnungen weisen „erhebliche“ Schäden auf; bei den Gewerbebauten sieht es ähnlich aus. Im „Bestand gefährdet“ sind fast 100 Bauten, davon rund 60 wiederum „ortsbildprägend“. Obwohl das Planwerk durchgehend bebildert ist, gibt es von solchen Untergangskandidaten nur ein einziges Foto, auf dem meist gut zu sehen ist, dass mit dem Leerstand die Verwahrlosung auch auf die Nachbarschaft übergreift. Und dass sich der Verfall schleichend vollzieht, zeigt die Rubrik „unterlassene Instandhaltung“, unter die neun Prozent der Wohnhäuser und acht Prozent der Gewerbebauten fallen. Freilich, Quedlinburg hat auch Grund zur Freude. Schließlich zeigen die Prozentzahlen in der Umkehr, dass fast zwei Drittel des urbanen Baubestandes in keine Schadenskategorie mehr fallen. Doch diese Leistung fußt auf Fördergeldern, und um deren Zukunft steht es schlecht. Von 1991 bis 2006 beliefen sich die Mittel aus den Programmen „Städtebaulicher Denkmalschutz“, „Städtebauliche Sanierung“, „Urban 21“ und „Aktive Stadt- und Ortsteilzentren“ auf rund sechs Millionen pro Jahr. Doch seit 2007 weist die Kurve steil nach unten; sie ist mittlerweile im zweiten Jahr in Folge bei null angelangt. Denn die Stadt ist pleite, allen Bemühungen um Gewerbeansiedlung und Tourismusförderung zum Trotz. Auch deshalb griff Oberbürgermeister Eduard Brecht zu einer Notmaßnahme, die Städte anderswo vermeiden, so lange es geht: Er hat die städtischen Eigenmittel auf „null“ gesetzt. Damit sind in den meisten Förderprogrammen die Mittel von Bund, Land und EU blockiert.

Was dieser Einschnitt für die Sanierung bedeutet, ist in keinem Planwerk, sondern nur am Alltag der Bürger abzulesen, die sich für ihre Stadt engagieren. Zwar ist die Nachfrage von Privatleuten und Familien ungebrochen, die es wegen der Altstadt, der Individualität der Häuser, des milden Klimas, der reizvollen Landschaft und des Kulturerbes der ganzen Region nach Quedlinburg zieht. Aber ein auf Bauherren-orientierte Sanierungskonzepte setzendes Architekturbüro wie „Q-Batur“, das in den letzten zwölf Jahren 60 Projekte umgesetzt hat, möchte derzeit „niemandem mehr zuraten“, Wagnisse einzugehen, wie Geschäftsführer Rudolph Koehler sagt. Ob Fördergelder bewilligt werden, kann niemand garantieren. Koehler selbst hat Kapital in leer stehenden Objekten gebunden, die er gewissermaßen auf Vorrat gekauft hat und bauwilligen Interessenten anbietet.

Guter Wille allein reicht nicht

In der schmalen Gasse, die nach der Kirche an ihrem Kopfende Ägidienhof heißt, ist der Ernst der Lage für die Quedlinburger Problemfälle in nuce zu studieren. Die Gasse wird von einer gestalterisch homogenen Reihe von Fachwerkfassaden beherrscht, die unbelebt wirken, deren wahre Bedrohung aber erst von der verfallenen Hofseite ersichtlich wird. Zwei der Häuser sind im Besitz der noch staatlichen TLG, bei der Kohler vor einigen Jahren einen Kaufantrag gestellt hat, von dem er nun jedoch zurücktreten will. Ihm gehört bereits ein Haus in der Gruppe, das er aber guten Gewissens niemandem anbietet, weil es dem ungebremsten Verfall der Nachbarhäuser ausgesetzt wäre, für die im jetzigen Förder-Szenario keine Rettung in Sicht ist.

Koehler ist sich mit Klaus-Dieter Plate, dem Geschäftsführer des örtlichen Sanierungsträgers BauBeCon, darüber einig, dass sich für die Häuser jenseits der Einfamilienkategorie die Lage zuspitzt. Für die in aller Regel „ortsbildprägenden“ Hofanlagen, etwa an einstigen Patrizierstraßen wie dem Steinweg und der Ballstraße, „braucht man geschätzt 800.000 Euro bis zu einer Million pro Gebäude“, so Plate. Koehler sieht auf das Welterbe-Areal gar eine „Abrisswelle“ zurollen, die nach seiner Ansicht etwa 30 einsturzgefährdete Wohnhäuser erfassen wird.

Beim Bau- und Sanierungsamt der Stadt will Dezernent Thomas Malnati allerdings nicht in die Klage einstimmen. „Das ist völlig überzogen“, sagt der Stadtplaner, der voher beim Rostocker Sanierungsträger unter anderem für die mit Leipzig geteilte Olympiabewerbung zuständig war, Quedlinburg dagegen erst ein halbes Jahr kennt. Das mag zum Teil die Zuversicht seiner Rezepte erklären, die er angesichts von Quedlinburgs Malaise anbietet: Liebhaber für die alten Bauten finden, Umfeld in Ordnung bringen, mit Denkmal-Eigentümern über ihre Erhaltungspflicht ins Gespräch kommen, überforderte Eigentümer zum Verkauf ihrer Häuser bewegen, für Problemquartiere Interessenten nach dem Schneeballprinzip zusammenbringen. Doch wie er dem Geldmangel begegnen will, bleibt unklar: „Wir müssen nach Wegen suchen, den Eigenanteil aufzubringen.“ Da war der Bürgermeister schon mal weiter, der das Welterbe zur nationalen Aufgabe erklärt. Denn die Frage, was der Gesellschaft die Baudenkmale wert sind, wird umso dringlicher, wenn es um das „Welterbe“ geht, mit dem sie sich so gern schmückt.

Günter Kowa ist freier Journalist in Berlin.

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