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Zurück Bauen in Afrika

Beidseitig nachhaltig

Ein Kongresszentrum in Ruanda, eine Schule in Ghana, Bildungsbauten von Studenten: Wie es deutsche Architekten und ihren Nachwuchs nach Afrika verschlug – und was sie dort für die Heimat lernten

29.11.201210 Min. Kommentar schreiben
Zukunfts-Zeichen: Das Kongresszentrum in Kigali von Spatial Solutions aus München soll als Symbol wirken – kein bescheidener Bau, aber ein aufbruchsfreudiger. Rendering: Formfest | Daniel C. Wolf

Text: Nils Hille

Eigentlich hatte Roland Dieterle nur eine Studie für ein Unterwasserhotel in Dubai durchgeführt und dort die Ergebnisse vorgestellt. Aus dem Projekt ist nie etwas geworden, aber durch Zufall hatte der ruandische Botschafter seinem Vortrag gelauscht und sich einige Tage später bei ihm gemeldet: „Sie sind ein Mann mit Visionen und können diese auch noch mit den harten Fakten der Realität kombinieren“, begründete er seine Anfrage, ob Dieterle nicht einmal Ruanda kennenlernen wolle. Denn dort, in dem durch den Bürgerkrieg gebeutelten Land, das ab Januar im UN-Sicherheitsrat sitzen wird, sind Visionen dringend nötig. Und die liefert Dieterle, der sich zunächst, auch mit den Fernsehbildern des Völkermords von 1994 im Kopf, genau ein Jahrzehnt später auf den Weg in den ostafrikanischen Staat machte. „Ich bin vorher schon 15 Jahre als Siemens-Architekt für deren Industriearchitektur international und an sehr großen Projekten tätig gewesen, sonst hätte ich mich das gar nicht getraut.“

Erster Erfolg: Ein Teil der St. Catherine Senior High School von Henn Architekten aus München ist eröffnet. Weitere Gebäude sollen möglichst bald folgen. Die Nachfrage nach Plätzen ist riesig. Foto: AddYouCation

Sein Mut hat sich gelohnt – und sorgte für eine Überraschung, als er ohne konkrete Aufgabenstellung durch Ruanda geführt wurde: „Ich durfte ein sauberes, gut organisiertes und landschaftlich wunderschönes Land kennenlernen.“ Schließlich stand ein Abendessen mit dem Präsidenten an, der sich sehr über eine Präsentation freuen würde, wie Dieterle kurzfristig erfuhr. Er entschloss sich, einige seiner Fotos von der Reise zu zeigen und seine Ideen zu einem nachhaltigen Tourismus zu schildern. Der Präsident hörte aufmerksam zu und beschrieb schließlich seine eigenen. Danach ging es für Dieterle zunächst ohne konkrete Aufträge nach Hause. Doch dann folgte schon bald die Anfrage für die Planung des Kongresszentrums mit Museum in der Hauptstadt Kigali. Er entwickelte gleich noch ungefragt ein Hotel und einen Masterplan für Büros dazu. Schon nach sechs Wochen flog er mit mehreren Modellen wieder nach Ruanda – und stieß mit seinen realisierbaren Visionen auf Begeisterung. „Dieses Maß an Freiheit in der Gestaltung fasziniert mich, ist aber auch gepaart mit der Verantwortung, die Ideen alle wie vorgestellt umsetzen zu können.“ Er bekam den Auftrag, und sein Münchener Büro Spacial Solutions wuchs kurzerhand in anderthalb Jahren von null auf 50 Mitarbeiter. „In Deutschland hätte ich als Bürogründer nie so einen Großauftrag erhalten, wenn ich nicht schon drei Kongresszentren gebaut hätte“, vergleicht er. In Ruanda stand Dieterle dafür vor ganz anderen Herausforderungen: „Es gibt dort keine Bauindustrie, keine Materialien und keine Fachkräfte.“ Und in ganz Europa konnte er keine Baufirma finden, die bereit war, dort hinzugehen. Viel zu weit weg, viel zu unsicher. Schließlich fand er ein Unternehmen in Peking; seitdem läuft das Projekt über drei Kontinente, mit drei verschiedenen Kulturen und unter der Berücksichtigung deutscher und chinesischer Baunormen, die die Beteiligten mitbrachten.

Hoffnungsvolles Hotelprojekt: Spacial Solutions entwickelte die Idee für eine Edelherberge direkt am Kiwusee in Ruanda. Auch hier könnten Arbeitsplätze entstehen. Rendering: Formfest | Daniel C. Wolf
Der Münchener Architekt Roland Dieterle. Foto: Devin Altobello

Von Anfang an war für Dieterle entscheidend, dass das Kongresszentrum nicht zu einem Prunkbau fernab vom Alltag der Menschen in Ruanda wird. Es soll vielmehr als Zeichen der Zukunft stehen, das durch den Tourismus auch Arbeit und Geld bringen könnte. „Ruanda setzt darauf, seine Entwicklung mit dem Aufbau des Dienstleistungssektors voranzutreiben. Das von uns konzipierte Zentrum wird dazu einen wesentlichen Beitrag leisten“, sagt er. An solchen und vielen weiteren Aussagen merkt der Zuhörer, wie sehr sich Dieterle mit Ruanda identifiziert. Mit großer Achtung erzählt er von dem respektvollen gegenseitigen Umgang, dem höflichen und verbindlichen

Kommunikationsstil und der Vorgehensweise bei Herausforderungen: „Hier stellen wir immer den Lösungsgedanken in den Vordergrund und nicht das Problem – ganz nach der Philosophie der Menschen in Ruanda.“

Wahrscheinlich auch deswegen erhielt sein Büro weitere Projektaufträge. So gewann Spacial Solutions unter anderem in Kooperation mit der Messe München den Wettbewerb für einen Messeneubau. Auf absehbare Zeit werden die Mitarbeiter des Büros weiter zwischen München, Peking und Kigali hin und her pendeln – weitere Projekte sind in Planung.

Bei Bildung beginnen

Visionen für Afrika hat auch das von Spacial Solutions gerade mal drei Gehminuten entfernte Münchener Büro Henn Architekten. Zum 30-jährigen Bestehen des Standorts München im Jahr 2009 wollte Büroinhaber Gunter Henn ein selbst initiiertes Projekt realisieren. Sozial und nachhaltig sollte es sein, zudem ein Bau aus dem Bildungssektor, in dem das Büro zahlreiche Gebäude realisiert hatte, wie Henn erklärt: „Wir kamen schließlich auf Afrika, da das der einzige Kontinent war, auf dem wir noch nichts gebaut hatten. Und allein in den Ländern südlich der Sahara erfahren rund 30 Millionen Kinder keine Bildung.“ Per Zufall hörten sie in dieser Zeit von einer Schulplanung in Ghana, von der nur die Fundamente realisiert worden waren. Henn gründete den Verein AddYouCation; Mitarbeiter des Büros spendeten und sammelten fleißig bei Freunden und Kollegen dafür. Rund 150.000 Euro kamen zusammen. Sie flossen nach Angaben von Henn eins zu eins in den ersten vom Büro selbst realisierten Bauabschnitt der St. Catherine Senior High School in der Region Keta-Akatsi im Süden Ghanas. Dafür war immer mindestens ein Mitarbeiter als Projektleiter ununterbrochen vor Ort – bezahlt von Henn. Vergangenes Jahr konnte dieser Teil der Internatsschule für 600 Mädchen eröffnet werden. Der Verein sammelt nun für die nächsten Bauabschnitte weiter. „Mittlerweile unterstützt auch das Land Ghana selbst das Projekt. Trotzdem sind noch zahlreiche Geld- und Sachspenden für die vollständige Realisierung ­nötig“, erklärt Rainer Sladek, Partner bei Henn Architekten. Ihre Hoffnung, mit einem ersten fertigen Gebäudeabschnitt leichter weitere Spenden sammeln zu können, bewahrheitete sich bisher nicht.

Derzeit entstehen weitere Schulgebäude. Foto: AddYouCation

Doch der Verein bleibt an der Nachhaltigkeit seines Engagements dran, nutzt alle seine Kontakte und ist in Keta-Akatsi seit dem ersten Bau weiter vor Ort. Auch der Chef selbst begibt sich immer wieder auf die Reise nach Ghana. Jeder aus seinem Büro, vom Sekretariat bis zur Oberbauleitung, solle mal eine Zeit lang dort arbeiten, meint Henn: „Wir können nicht nur unser privilegiertes Leben in Deutschland genießen, sondern müssen auch unsere Verantwortung gegenüber der gesamten Welt sehen. Afrika ist nicht die Ausnahme, sondern wir in Europa sind sie.“ Sladek war dieses Jahr erneut vor Ort. Noch Monate später ist er berührt von den Eindrücken: „Die vielen positiven Reaktionen der Menschen, die ich dort traf, machten mir deutlich, wie enorm die Bedeutung dieses Schulprojekts für die Region ist und welch wichtigen Beitrag wir da leisten konnten.“

Mit mehr Demut vor dem Leben und der Entwicklung sind er und Henn von ihren Reisen wieder zurückgekehrt. Das lässt sie auch die Arbeit in Deutschland etwas entspannter betrachten, wie der Chef erklärt: „Nach diesen persönlichen Erfahrungen in Ghana sehe ich auch so manche schwierige Situation unseres Architektenalltags in einem anderen Licht.“

Ein Stück Hoffnung bauen

Eine solche persönliche Erfahrung in Afrika und speziell in der Provinz Westkap steht 20 Architekturstudenten der Universität Stuttgart noch bevor. Sie werden im Februar nach Südafrika ins „Village of Hope“ in Grabouw nahe Kapstadt reisen und dort ein Waisenhaus umbauen. Hier stehen schon „ukuqala 1 und 2“, zwei Gebäude der höheren Semester, die diese in den letzten beiden Jahren errichtet haben – ukuqala heißt „Anfang“ in Xhosa, einer der Sprachen Südafrikas. Gemeinsam mit Arbeitern, die von den gesammelten Spenden bezahlt wurden, konnten die Häuser durch die Hände der ehrenamtlich tätigen Studenten entstehen. Dazu verwendeten sie nachhaltige, traditionelle Techniken sowie Materialien wie Holz, Stroh und Lehm, um den Einheimischen zu vermitteln, dass sie mit den natürlichen vorhandenen Materialien auch mit ganz wenig Geld bauen können.

Hoch engangierte Hochschüler: Die Architektur-Studenten der Universität Stuttgart bauten vergangenes Jahr mit ihren eigenen Händen das selbst geplante Wohngebäude ukuqala 2. Foto: Veronique Pavelec
Foto: Christoph Dörrig

 

Und die Studenten nahmen so hautnah das Leben auf dieser anderen Seite der Welt wahr und erlebten, was Teamarbeit auf einer Baustelle heißt, erklärt Projektleiterin Victoria von Gaudecker von der Universität Stuttgart: „Wer einmal gemeinsam stundenlang in der Hitze knietief im Strohlehm gestanden hat, der lässt jeglichen Egoismus fallen.“ Die Studenten haben erfahren, dassman hier einfacher denken und direkt aus dem Entwurf heraus realisieren muss – und trotzdem ästhetisch anspruchsvoll bauen kann. Für ihren Einsatz erhielten sie viel Dankbarkeit, gerade von den Kindern, die den Bau neugierig begleiteten und sich mit ihrem begeisterten Lächeln und strahlenden Augen revanchierten. Diese sechs Wochen voller Erlebnisse scheinen trotz aller schwierigen Umstände zu begeistern, wie von Gaudecker sagt: „Viele Studenten der ersten beiden Projekte fragen bei meiner Kollegin Leslie Koch und mir an. Sie würden am liebsten dieses Mal wieder mit dabei sein.“

Am Bau von „ukuqala 3“ dürfen aber nur die Studenten teilhaben, die noch nicht vor Ort waren. Seit Beginn des Semesters sind sie mit den Planungen beschäftigt, um durch den Umbau eines bestehenden Farmhauses Platz für 18 Kinder zu schaffen. „Der ist dringend nötig, denn das Village of Hope ist schon jetzt überfüllt“, sagt von Gaudecker. So entwickeln die Studenten am Lehrstuhl von Professor Arno Lederer auch einen Masterplan für das Gelände, der zukünftig für eine bessere Struktur sorgen soll. Durch die anschließende Arbeit vor Ort ab Februar nächsten Jahres kann der Planernachwuchs einmal alle Leistungsphasen praktizieren.

Improvisieren lernen

So ging es auch vielen der 20 Studenten und sieben Hochschulmitarbeiter der RWTH Aachen und der Universität Siegen – selbst wenn sie es am Anfang ihres Projekts wohl nie gedacht hatten. Dank langjähriger Kontakte über ein Forschungsprojekt reisten die angehenden Planer vor zwei Jahren hochmotiviert in die Demokratische Republik Kongo und wollten innerhalb von fünf Wochen ein Wohn- und ein Küchengebäude für Studenten der kongolesischen Universität in Kananga bauen. Doch auf der Baustelle hatten sie keinen Strom und zunächst auch kein Wasser, erinnert sich Professor Rolf Westerheide von der RWTH Aachen: „Schnell hörten wir von den Studenten Aussagen wie: ‚Das schaffen wir ja nie!‘ Doch als Team konnten wir alles irgendwie organisieren.“ Die Ziegel wurden auf dem Campus gebrannt, Türen und Fenster kamen aus einer nahe gelegenen Schreinerei und das Holz für den Bau wurde in einer Sägerei zugeschnitten und sechs Kilometer über Sandpisten zur Baustelle gekarrt. „Die Studenten haben erkannt: Ein Architekt kann noch so sorgfältig planen und sich mit Bildern und Berichten vorbereiten, er muss vor Ort auch improvisieren können, und besonders in einer Gesellschaft des Mangels“, sagt Westerheide.

Unterrichtung in Ursprünglichem: Lernende und Lehrende der RWTH Aachen und der Universität Siegen errichteten gemeinsam mit Kongolesen mit einfachsten Mitteln zwei Hochschulgebäude. Foto: RWTH Aachen
Foto: RWTH Aachen

Und das klappte, sodass sie mithilfe von rund zwanzig Kongolesen in einem Monat die beiden Gebäude fertigstellen konnten. Auch hinter diesem Projekt steht nicht die einmalig gute Aktion, sondern ein langfristiges Ziel. Die Häuser sollen Teil einer ersten Baufakultät im Kongo werden, die in den kommenden Jahren hier nun entstehen könnte. Westerheide: „Wir haben eine Verantwortung gegenüber anderen Ländern und hätten die Chance, unsere eigene Lehre dauerhaft zu reflektieren. Durch den Austausch mit Menschen in anderen Ländern bin ich bisher immer klüger rausgekommen, als ich reingegangen bin.“

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