Interview: Roland Stimpel
Was verbindet Sie mit Russland?
Ich habe von 1968 bis 1974 ein Architekturstudium am Moskauer Architekturinstitut absolviert und dort nach einem Fernstudium 1982 über die Sanierung historischer Stadtzentren promoviert. Seitdem bin ich regelmäßig in Russland unterwegs.
Wie sieht es aktuell dort aus?
Die Situation der russischen Baubranche und der Architekten ähnelt in mancher Beziehung der ostdeutschen nach 1990. Den Markt dominieren einige große Bau- und Immobilienunternehmen, die in der Regel alles selbst machen und damit Bauqualität und Preise diktieren. Nur in Ansätzen gibt es einen leistungsfähigen Mittelstand, der Bauleistungen selbständig ausführen oder den Großen zuverlässig zuliefern könnte. Gesetze und Standards sind unvollständig und zum Teil veraltet. Offene Eigentumsfragen behindern die Stadtentwicklung, zumal öffentliche Verwaltungen oft nur an der Erhaltung des Status Quo interessiert sind, nicht aber an der städtebaulichen Weiterentwicklung ihrer Kommunen.
Welche Chancen haben dann Architekten?
Sie werden unter diesen Bedingungen zu Zulieferern von Planungsentwürfen degradiert; auf das Endprodukt haben sie oft keinen Einfluss. Sie haben nur wenige Freiräume im Interesse der Baukultur. Was Wunder also, wenn die russische Architektenschaft für ihre Tätigkeit nach gesetzlichen Regularien strebt, die den deutschen ähnlich sind. Sie will ihren Einfluss in allen Leistungsphasen sichern und sich in der Realisierungsphase von den Einflüssen der staatlichen Bauverwaltungen unabhängig machen.
Was tun die russischen Architekten dafür?
Im Oktober haben sie auf dem Kongress des russischen Architektenverbandes eine Kammer gegründet, die „Palata Architektorov“. Diese hat natürlich mit der Gründung noch nicht den Status einer deutschen Kammer mit ihren gesetzlichen Rechten und Pflichten. Gesetzliche Grundlagen streben die russischen Kollegen jetzt an.
Können wir sie aus Deutschland unterstützen?
Bundesarchitektenkammer-Präsident Sigurd Trommer hat bereits den Aufbau einer Arbeitsbeziehung vorgeschlagen und sich dafür an Michail Posochin gewandt, den Präsidenten der russischen Nationalen Vereinigung der Projektanten (NOP). Wenn die russischen Kollegen es wünschen, sollten wir ihnen mit unseren Erfahrungen zur Seite stehen. Wir ostdeutschen Architekten standen vor 20 Jahren vor ähnlichen Herausforderungen. Ich sehe hier eine Chance auch für unser Land, denn die deutsche Exportwirtschaft könnte von realistischen Ausschreibungen und transparenten Vergabeverfahren profitieren.
Sind russische Architekten auf größere Aufgaben vorbereitet?
Russland hat hervorragend ausgebildete Architekten mit großem künstlerisch-gestalterischem Potenzial. Allerdings war Kostenplanung bisher kein Bestandteil russischer Architektenleistungen. Hier wäre es sicher hilfreich, Erfahrungen auszutauschen und Fortbildungskurse zu initiieren. Nötig ist aber auch Aufklärung bei russischen Auftraggebern. Sie wissen oft nicht, dass zum Beispiel ein Architekt aus Deutschland in der Regel über das gesamte Know-how verfügt, um Komplettleistungen zu erbringen.
Wie wird das Thema bei den russischen Kollegen
Kurz vor der Kammergründung war ich als Vertreter der Bundesarchitektenkammer auf einer Moskauer Konferenz mit dem Titel „Beruf Architekt. Zeit des Wandels“. Veranstalter waren das Unternehmen Saint Gobain und der Verband der Architekten Russlands. Etwa 700 russische Architekten haben teilgenommen, außerdem Kollegen aus Westeuropa und den USA. Im Wesentlichen ging es auf der Konferenz um gesetzliche Grundlagen für die Zulassung, die Tätigkeit und für Vereinigungen von Architekten – also um das, was bei uns die Architektengesetze regeln. Weitere Themen waren Aus- und Weiterbildung sowie Regeln und Standards für Planung und Baudurchführung.
Welches deutsche Know-how wurde von Ihnen abgefragt?
Eine ganze Menge. Planungsregularien und Bürgerbeteiligung, Berufsstandards, Stellung und Aufgaben der Architektenkammern, Honorarermittlung mit der HOAI und ihre Leistungsbilder, insbesondere die Aufgaben der Architekten bei der Bauüberwachung. Zur Tätigkeit unserer Kammern und zur HOAI gab es danach viele Fragen – auch dazu, wie wir uns damals in Ostdeutschland in der Zeit des Wandels verhalten haben.
Der freie Architekt Dr. Frieder Hofmann aus Leipzig begleitet mit seinem Unternehmen P.A.R.U.S. Projektconsult mittelständische deutsche Unternehmen, die auf dem russischen Markt Fuß fassen wollen.
Russland-Infos für Architekten
Russland ist auch für deutsche Architekten ein chancenreicher Markt
Ausführliche und aktuelle Informationen enthält die neue Online-Broschüre des Architekturexportwerks NAX der Bundesarchitektenkammer und der Bundesgesellschaft „Germany Trade & Invest“.
Zu den Themen gehören Stand und Entwicklung der Bauwirtschaft, die Rolle der Architekten in Russland, wirtschaftliche Chancen und rechtliche Bedingungen, die russische Ausschreibungs- und Planungspraxis sowie Tipps für die Markterschließung.
Die Broschüre „Russland – Markt für Architekturleistungen“ gibt es kostenlos unter www.architekturexport.de.
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