Text: Cornelia Dörries
Mit „Primäreffekt“ meint die Wissenschaft den ersten Eindruck, der einen starken Einfluss darauf hat, wie wir einander wahrnehmen und beurteilen. Ganz unabhängig von Faktoren wie Alter, Geschlecht, Größe oder Haarfarbe entscheiden wir innerhalb weniger Augenblicke: sympathisch, vertrauenswürdig, angenehm – oder eben nicht. Ähnlich funktioniert die Wahrnehmung von Räumen: Ihr jeweiliger Primäreffekt wird maßgeblich von der Situation bestimmt, mit der uns das Innere von Gebäuden willkommen heißt. Kein Wunder also, dass Bauherren wie Architekten der Gestaltung von Empfangsbereichen und Foyers eine wachsende Bedeutung beimessen.
Dass es dabei nicht allein um den schönen Schein geht, beweist die Vielfalt an Funktionen, die Rezeptionen heute erfüllen müssen. Empfangstresen dienen als raumbildende und strukturierende Elemente und integrieren außerdem Teile der Büro- und Gebäudetechnik; sie sind kommunikatives Zentrum und Arbeitsplatz zugleich. Doch je nach Raumtypologie und Nutzungsart muss die Empfangssituation auf ganz unterschiedliche Ansprüche reagieren. So gilt es vor allem bei öffentlichen und politischen Bauten, nicht nur infrastrukturelle, technische und architektonische Aspekten in den Entwurf zu integrieren, sondern auch mitunter sehr strenge Sicherheitsanforderungen.
Dennoch sind bei der Planung eines Entrees vor allem gestalterische Gabe und Verständnis für das Ganze gefragt. Denn jeder gelungene Empfang ist eine Ableitung der Architektur des Hauses; er stimmt auf die anschließenden Räumlichkeiten ein und gibt zugleich etwas über diejenigen preis, die hier ihre Besucher, Patienten oder Kunden willkommen heißen. Das gute Gefühl, das sich schon beim Betreten eines Gebäudes oder Raums einstellen soll, ist eine Frage von Großzügigkeit, von Farben, Lichtstimmungen, Gerüchen und Akustik, aber auch von Haptik und Temperatur. Diese sinnlichen Wahrnehmungen verdichten sich hier zu jenem wichtigen ersten Eindruck.
Mimimalismus im Denkmal
Schloss Albrechtsburg, Meißen
Innenarchitekt: Alexander Krippstädt, raum und bau, Dresden
Die Neuordnung des Entrees von Schloss Albrechtsburg im sächsischen Meißen begann für Alexander Krippstädt schon vor dem Gebäude. Das Museum des ältesten deutschen Schlossbaus liegt auf einem steil abfallenden Felsplateau hoch über der Elbe, steht aber auch im übertragenen Sinne im Schatten des berühmten Doms der Stadt und wurde von vielen Besuchern der Stadt übersehen. Daher sollte das Erdgeschoss zu einem repräsentativen Empfangsraum umgebaut und die gesamte Eingangssituation neu gestaltet werden. Eine Veränderung der Denkmalsubstanz verbot sich freilich, Daher versah Krippstädt den Außenbereich über einen minimalistischen Kunstgriff mit einem neuen Portal: Er lagerte dem schmalen Eingang mit seiner schönen spätgotischen Türfassung ein vertikales, hinterleuchtetes Glaselement vor, das den Widerspruch zwischen Blickfang und gebotener Zurückhaltung auf denkbar elegante Art auflöst.
Im Inneren empfängt die Besucher ein großzügiger, heller Bereich mit imposanter Gewölbedecke. Eine Aufgabe des Umbaus bestand darin, diesen Raum zurückzugewinnen, der durch frühere Einbauten völlig entstellt und in seiner Großzügigkeit nicht mehr erlebbar war. Er präsentiert sich nun als lichte Empfangshalle, in der die Funktionen Empfang, Wegeverteilung und Café gebündelt sind. Ein schlicht gehaltenes, zweiteiliges Tresenelement entwickelt sich um den massiven Pfeiler in der Mitte des Raums und weist den einzelnen, eindeutig definierten Bereichen ihre jeweiligen Funktionen zu.
Die Klarheit dieser Gestaltung drohte aber durch das nachträgliche Aufstellen von Informationstafeln, Displays, technischen Geräten oder Postkartenständern beeinträchtigt zu werden. Damit das nicht passiert, sind nun all diese Funktionen in das Möbel integriert. So verbergen sich hinter der weiß verkleideten Front nicht nur die Sicherheits- und Türschließtechnik nebst zentraler Lichtsteuerung für die Ausstellungsräume, sondern auch Schubladen mit eigenem Stromanschluss für die Aufbewahrung und Aufladung der Audio-Guides, Büro- und Kommunikationstechnik, Kassen sowie Fächer für Informationsmaterial, Ausstellungsprospekte und Programmhefte. Weiter hinten im Raum verwandelt sich das L-förmige Tresenelement in die Theke des Museumscafés.
Der Respekt des Entwurfs vor dem historischen Gemäuer zeigt sich auch im Verzicht auf Eingriffe in die bestehenden, jahrhundertealten Strukturen: Die Wände und die wuchtigen Pfeiler sowie der mit robusten Sandsteinplatten ausgelegte Boden blieben unberührt von den zeitgenössischen Ergänzungen.
Biomorph zum Bohren
Zahnarztpraxis, Pirmasens
Innenarchitektin: Anja Welle, Homburg
Dem Wunsch der Bauherren schlossen sich bei der Planung der neuen Gemeinschaftspraxis in Pirmasens alle Beteiligten an: Es dürfe weder so aussehen noch so riechen wie sonst beim Zahnarzt. Stattdessen sollte gerade der Empfang die Patienten mit ruhiger Großzügigkeit, einer angenehmen Akustik und sanften Farben begrüßen. Als es an die Umwandlung der Räume einer ehemaligen Schuhfabrik in Pirmasens in eine moderne Dentalpraxis ging, galt es zunächst, die durchaus widerstreitenden Wünsche der beiden Praxispartner miteinander zu versöhnen: Während der eine die Farben des nahen Pfälzerwaldes in den Räumen wiederfinden wollte, wünschte sich der andere eine dezidiert moderne, sachliche Ausstattung.
Die Synthese von warmer Natur und kühler Nüchternheit wird nun vom Empfangsbereich verkörpert: Der Boden aus dunkelbraunem Linoleum und naturfarben gehaltene Wände bilden einen angenehmen Kontrast zu der biomorph geschwungenen Empfangstheke aus weißem Corian, die das Zentrum des Eingangs- und Wartebereichs bildet. „Wichtig bei der Planung dieses Bereichs sind Klarheit und Übersichtlichkeit. Die Ansprechpartner müssen für die eintretenden Patienten gleich sichtbar sein“, betont Innenarchitektin Anja Welle. Den Bauherren war zugleich wichtig, dass trotz der offenen Platzierung des Tresens ein Mindestmaß an Diskretion gewährleistet ist und die im Wartezimmer sitzenden Patienten in einer gewissen Distanz zu den Vorgängen am Empfang bleiben. Da sich eine völlige Abschottung beider Bereiche schon aus Sicherheitsgründen verbietet, wurde diese Frage mittels einer Glasfront gelöst, die zwar eine Blickbeziehung zwischen Fachpersonal und Patienten erlaubt, aber Bohrgeräusche ebenso abschirmt wie die vertrauliche Kommunikation zwischen Patienten und Praxismitarbeitern.
Die aufwendige Gestaltung des Empfangsbereichs im Gesundheitswesen ist eine verhältnismäßig neue Aufgabe für Innenarchitekten. „Die Wertigkeit der Arbeit der Ärzte soll sich schon am Eingang widerspiegeln“, so Anja Welle. „Hier lässt sich ganz klar feststellen: Der Repräsentationscharakter wird zunehmend wichtiger als pure Zweckmäßigkeit“. Dennoch ist die von fern an einen Zahn erinnernde weiße Tresenskulptur weniger Kunstwerk als Multifunktionsmöbel. Neben Bürotechnik, Telefon, Fax und Computer beherbergt das Element auch die Lichtsteuerung, eine Musikanlage sowie eine Vielzahl von Fächern und Ablageflächen, mit denen vermieden werden soll, dass die ästhetische Aussage dieser Architektur unter einem Wust von buntem Informationsmaterial verschwindet.
Klarer Rechtsfall
Wirtschaftskanzlei Noerr, Frankfurt am Main
Innenarchitekten: Schmidt Holzinger, Rodgau
Von einer Anwaltskanzlei, die im Geschäftszentrum von Frankfurt gleich neben der Börse residiert, darf man eine großzügige, gleichwohl gediegene Geste erwarten. Doch wer holzgetäfelte, gravitätische Clubzimmer-Atmosphäre erwartet hat, wird in den neuen Räumen der Wirtschaftskanzlei Noerr schon am Entree überrascht. Dynamische Kurven, farbige Raster und glatte Oberflächen – hier waltet Zeitgenossenschaft. Die luftige, helle Anmutung passt gut zum siebten Obergeschoss eines Neubaus, das eigens dem Empfang sowie Konferenzräumlichkeiten, also mithin repräsentativen Nutzungen, vorbehalten ist. Die öffentlich nicht zugänglichen Büros der Mitarbeiter liegen in den drei darunterliegenden Etagen.
Es spricht für den Entwurf des Büros Schmidt Holzinger aus dem hessischen Rodgau, dass er die herkömmlichen Formatvorlagen der Seriosität couragiert unterläuft, um viel Licht und Offenheit einziehen zu lassen. Der Bauaufgabe „Kanzlei“ wird eine Frischzellenkur verpasst. So präsentiert sich schon der ungewöhnlich großzügig geschnittene Empfangsbereich in einer luftigen, fast kühlen Anmutung: Ein weißer, 5,50 Meter langer Tresen, platziert vor einer weiß gehaltenen Wand mit großer Fensterfront, bietet zwei Mitarbeitern viel Platz für administrative und kommunikative Aufgaben und würde auch einer Hightech-Firma gut zu Gesicht stehen. Geschickt wird die Offenheit des Raums durch den herrlichen Ausblick in den Frankfurter Himmel erweitert. Aufgefangen wird diese Geste von einer mit verschiedenfarbigen Akustikpaneelen bespannten Wand, die dem Tresen direkt gegenüberliegt. Das unregelmäßige Raster aus Rechtecken in Sand, Bordeauxrot, Nussbraun und Cremeweiß korrespondiert mit dem Holzboden und stimmt auf die geschützte Atmosphäre der nebenan gelegenen Mandantenlounge ein, in der klassisch moderne Formen, warme Holztöne und behagliche Materialien dominieren. Dass dieser großzügige Empfang keine Sitzmöglichkeiten bietet, ist der gebotenen Diskretion einer Wirtschaftskanzlei geschuldet. Aber auch sonst gilt: Warten soll hier niemand.
Weiß, Gold und Licht
Ellington Hotel, Berlin
Architekten: Reuter Schoger, Berlin
Wenn es so etwas gibt wie die Mutter aller Empfangssituationen, dann die Hotelrezeption. Die perfekte Inszenierung des Willkommen-Heißens dient nicht umsonst als klassisches Vorbild für die Gestaltung und Funktionszuschreibung von Foyers und Eingangsbereichen allgemein: Erstkontakt, Orientierung und Service. Bei der Planung der Rezeption des Ellington Hotels in Berlin allerdings musste Architektin Wenke Katharina Schoger vom ortsansässigen Büro Reuter Schoger Architekten zunächst auf die Architektur eines Bestandsgebäudes Rücksicht nehmen, das 1931 von Rudolf Bielenberg und Josef Moser als Verwaltungs- und Bürohaus mit angeschlossenem Vergnügungstempel errichtet worden war. Ein hoteltypisches Foyer mit Bar und Konzertflügel bietet das denkmalgeschützte Haus nach seinem Umbau zum Designhotel im Jahr 2006/2007 nicht, dafür aber einen Empfang, der dem eigentlichen Eingangsbereich nachgelagert ist und bewusst als lichte, atmosphärische Halle inszeniert wurde.
Damit setzt sich dieser Raum in Farben und Formen von der schweren Architektur des Hauses ab, die im Inneren von grünen Wandkacheln, Treppenhandläufen aus Messing, Deckenstuck und vergoldeter Ornamentik geprägt ist. Doch das Entree wirkt nicht als zeitgeistiges Implantat, sondern bildet mit seiner auf Weiß reduzierten Farbigkeit und dem gold schimmernden Rezeptionstresen den Auftakt zu den sich anschließenden luftig-hellen Restaurantbereichen im Erdgeschoss und den modernen, zeitgenössisch möblierten Hotelzimmern in den oberen Etagen.
Die relativ kleine für das Foyer zur Verfügung stehende Fläche wird durch die Reduktion auf das Nötige wettgemacht: Auch wenn den Wartenden einige schlichte Sitzgelegenheiten zur Verfügung stehen, dient der Bereich weniger dem kontemplativen Aufenthalt als vielmehr dem raschen Check-in beziehungsweise Check-out. Die Konzentration auf Funktionalität tut dem ersten Eindruck in diesem Fall keinen Abbruch. Für den Primäreffekt wurde hier nämlich auf das Prinzip Überraschung gesetzt.