Text: Roland Stimpel
Strukturalismus ist eine Sache, die uns kleine Geisteslichter überfordert. Schon weil er keine rechte Struktur hat. In den insgesamt schwer verdaulichen Wikipedia-Artikeln über ihn heißt es in hier seltener Klarheit: „Es gibt keinen einheitlichen Strukturalismus.“ Was ihn nicht hindert, seinen ziemlich ätherischen Senf zu allem und jedem zu geben: zu Literaturwissenschaft, Psychoanalyse und Anthropologie, und natürlich auch zur Architektur. Das Ergebnis kann Wikipedia wieder nur ungefähr beschreiben: „In der Architektur entstehen durch die Vielseitigkeit verschiedene Erscheinungsbilder.“ Zum Beispiel die „Ästhetik der Anzahl“, die „Konfigurative Architektur“ sowie „diverse Utopieprojekte mit dem Prinzip Struktur und Zufall“. Den irdischen Rest regelt vielleicht der Polier: „Die Baugestalt ist nicht eindeutig vorbestimmt, Architektur wird als Prozess mit offenem Ausgang begriffen.“
Als einer der wichtigsten Strukturalisten gilt Herman Hertzberger. Stünden seine Bauten unkommentiert da, man würde vor vielen hochachtungsvoll den Bauhelm ziehen. So aber braucht man den Helm als Schutz gegen die Wortbrocken, die vom Dach der betonierten Theorie prasseln. Hertzberger, inzwischen 80 und immer noch weiser werdend, ließ jetzt in einem Interview mit der Deutschen Bauzeitschrift gut strukturalistisch alle Optionen offen, indem er ein Statement mit den Worten einläutete: „Nein, oder ja, vielleicht das auch.“
Er hatte es aber auch nicht leicht, nachdem der Interviewer ihn eingangs gefragt hatte: „Muss man nicht das dem Strukturalismus zugrunde liegende Ordnungsschema, also die definierte Struktur, in Verbindung mit der von Ihnen geforderten Flexibilität von Raum und auch Denken als ein Paradoxon betrachten?“ Hertzberger kontert: „Meine Vorstellung von Strukturalismus gründet auf klaren Strukturen, die allerdings interpretierbar sind.“ Denn er ist nicht nur Architekt, sondern auch Sozio-Linguist: „Gehen wir zurück. Zur Sprache. Hier hat der Strukturalismus ja auch seinen Anfang. Die Idee war, dass Sprache generell etwas Gemeinsames ist. Wir alle sprechen.“ Ja, tun wir. Immer und nach dem Motto: Egal, wie und was – Hauptsache, dass. Auch dieser Text. Kommen wir zum strukturfreien Schluss.