Text: Cornelia Dörries
Deutschland fährt Fahrrad, und das längst nicht mehr nur in der Freizeit. Auch zur Arbeit, zum Einkaufen und für die vielen kürzeren – und gern auch längeren – Wege im Alltag treten immer mehr Menschen in die Pedale. Schätzungen des Bundesverkehrsministeriums zufolge gibt es hierzulande mehr als 70 Millionen Fahrräder – eine Zahl, die ausnahmsweise einmal alle freut. Denn dass der Fahrradverkehr als umwelt- und städtefreundliche, ressourcenschonende und gesunde Art der Fortbewegung gestärkt werden muss, ist breiter gesellschaftlicher Konsens. Es gibt neben zahlreichen regionalen und lokalen Verkehrskonzepten zur Förderung der Fahrradmobilität auch den „Nationalen Radverkehrsplan 2020“, der einen weiteren Ausbau der entsprechenden Infrastrukturen zum Ziel hat, doch einem unübersehbaren Aspekt des Radverkehrs nur ein paar magere Sätze widmet: dem ruhenden Radverkehr, also den Abstell- und Parkmöglichkeiten für die wachsende Drahtesel-Flotte. Dass es sich dabei um ein quantitatives wie auch gestalterisches Problem handelt, lässt sich nicht nur im Umfeld von Bahnhöfen besichtigen, sondern ebenso vor Freizeit- und Bildungseinrichtungen oder in dicht besiedelten innerstädtischen Wohnquartieren. Dort zeigt sich die begrüßenswerte Zunahme des Radverkehrs vor allem in der informellen Nutzung von Schildermasten, Zäunen, Baugerüsten oder Geländern als Abstellmöglichkeit. Gerade in hoch frequentierten Bereichen des öffentlichen Raums sind sichere, gut zugängliche Fahrradstellplätze in ausreichender Zahl vielerorts Mangelware.
Doch gute Parkmöglichkeiten sind unverzichtbarer Bestandteil einer attraktiven Radverkehrsinfrastruktur – und eine Voraussetzung für das im Nationalen Radverkehrsplan formulierte ehrgeizige Ziel, den Fahrrad-Anteil am gesamten Verkehrsaufkommen weiter zu steigern. Derzeit liegt er bei etwa zehn Prozent, freilich mit großen Differenzen zwischen einzelnen Regionen sowie im Stadt-Land-Vergleich. Doch insgesamt nahm der Radverkehr, bezogen auf die zurückgelegten Wege, allein im Zeitraum von 2002 bis 2008 um 17 Prozent zu – solche Zuwächse sind für kein anderes Fortbewegungsmittel zu vermelden. Natürlich begrüßt auch der Allgemeine Deutsche Fahrradclub (ADFC) diese gedeihliche Entwicklung, doch bei der Frage nach angemessenen Konzepten für das Fahrradparken kann Markus Hübner, der sich beim ADFC mit diesem Thema beschäftigt, eine gewisse Kritik nicht verhehlen: „Die meisten Städte sind jetzt in der Bredouille, da sie nur noch nachträglich handeln können.“ Sprich: Erst der augenfällige Mangel an vernünftigen Fahrradparkanlagen veranlasst die Kommunen, nach tragfähigen Lösungen für die vom ruhenden Radverkehr stark beanspruchten Orte zu suchen.
Für Abstellflächen im Wohnumfeld oder für das punktuelle, kurzzeitige Abschließen des Fahrrads im städtischen Raum gibt es eine Vielfalt von erhältlichen Parksystemen. Das erlaubt individuelle, standortspezifische Lösungen für eine überschaubare Zahl an Stellplätzen. Für Architekten und Planer, die sich über geeignete Konzepte informieren wollen, bietet der ADFC neben einer Liste der empfohlenen, von Experten zertifizierten Modelle und Hersteller auch eine umfassende Beratung zur Planung von Fahrradabstellanlagen an. „Die häufigsten Fragen von Architekten betreffen den Abstand der Einschubstellen“, so Markus Hübner. „Meist sollen auf Wunsch des Bauherrn so viele Stellplätze wie möglich geschaffen werden. Dies würde jedoch vielfach dazu führen, dass die Anlage zu eng ausfällt und die Nutzer sie nicht annehmen.“
Parkhäuser als Gewinn für die Stadt
Wo aber täglich mehrere Hundert Fahrräder abgestellt werden, sind komplexere Konzepte notwendig. An Verkehrs- und Umsteige-Knotenpunkten, in stark frequentierten Innenstadtlagen oder rund um einen Universitätscampus empfehlen sich sogenannte Radstationen – Fahrradparkhäuser, in denen man sein Rad sicher, witterungsgeschützt und auch über Nacht oder längere Zeit gut aufgehoben weiß. Für wenig Geld können Radfahrer hier ihr Fahrrad stunden- oder tageweise abstellen beziehungsweise Dauerstellplätze mieten: Pro Tag und Stellplatz werden im Durchschnitt zwischen 50 und 70 Cent fällig, die Jahreskarte kostet fast überall 70 bis maximal 100 Euro. Dafür steht das Fahrrad geschützt vor Diebstahl, Wind und Wetter an einem sicheren Ort; immer gibt es außerdem eine Service- und Reparaturwerkstatt mit angeschlossenem Fahrradverleih. So viel gutes Gefühl beim Fahrrad-Abstellen leisten sich nicht nur Tagesnutzer, sondern viele Pendler, die morgens von der Bahn aufs Rad umsteigen – oder umgekehrt.
Für das "Radlager" in Münster wurde ein altes Autoparkhaus umgebaut. Ein grünes Parkhaus-Symbol zeigt an, dass es seiner Bestimmung gewissermaßen treu geblieben ist.
Radstationen gibt es mittlerweile in vielen Städten. Dass solche Gebäude ein städtebaulicher wie auch architektonischer Gewinn sein können, beweist das „Radlager“ in Münster. In der westfälischen Universitätsstadt mit einem Radverkehrsanteil von vorbildlichen 37 Prozent war der Bedarf nach Fahrradparkplätzen so groß, dass zusätzlich zu den zwei bereits vorhandenen Radstationen am Hauptbahnhof und in einem Einkaufszentrum ein drittes Parkhaus entstand. Ausgangspunkt war der Stadtumbau im Bereich Stubengasse, wo von 2007 bis 2009 ein neues, autofreies Quartier (Architekten: Prof. Ernst Kasper und Matthias Fritzen) entstand. Anstelle des dort befindlichen, nunmehr überflüssigen Autoparkhauses aus den 1960er-Jahren wünschte die Stadt die Errichtung einer Radstation und beauftragte den Architekten Matthias Fritzen (Büro Fritzen + Müller-Giebeler Architekten, Münster) mit der Planung. Er schlug vor, die Strukturen des Bestandsgebäudes zu erhalten und durch die teilweise Entfernung von Rampen und Decken alle nötigen Voraussetzungen für ein Gebäude zu schaffen, das neben 360 Fahrradstellplätzen auch Laden- und Werkstattflächen sowie – in einer doppelgeschossigen Aufstockung – sogar Wohnungen beherbergt. Große Glasfronten, lichte Räume und Durchblicke lassen vergessen, dass dieser Bau einst ein beklemmendes, düsteres Auto-Parkhaus war. „Es war uns wichtig, keine Angsträume zu schaffen, sondern einen hellen, freundlichen Ort, der sich zur Stadt öffnet“, betont Architekt Fritzen. Die gelungene Umwandlung eines Un-Orts des Autozeitalters in eine belebte innerstädtische Adresse der deutschen Fahrradhauptstadt wurde bereits mit zahlreichen Auszeichnungen bedacht, darunter mit dem „Deutschen Städtebaupreis 2010“ (für das Gesamtprojekt Stubengasse) und dem Architekturpreis Beton 2011.
Vorne Geschäftsadresse, hinten Parkhaus: Für die Bremer Radstation war eine Lösung nötig, die auf die prominente Lage zwischen Bahnhofsgebäude und Überseemuseum reagiert.
Etliche Radstationen der jüngeren Generation verbinden ähnlich wie das Münsteraner Projekt gestalterische Ambition mit einer differenzierten städtebaulichen Lösung. So auch die Anlage am Bremer Hauptbahnhof (Architekt: Ulrich Ruwe, Bremen), bei der das Fahrradparkhaus mit einem markanten, zum Bahnhofsvorplatz orientierten Geschäftsgebäude zusammengeschaltet wurde. Das Parkhaus selbst ist eine lang gestreckte Glas-Stahl-Halle im rückwärtigen Bereich des Grundstücks. Dank der Planung wurde an diesem städtebaulich prominenten Standort, der aufgrund seiner begrenzten Fläche nur ein kleines Raumprogramm zuließ, eine funktionale Kopplung von Fahrradparkhaus und gewerblichen Nutzungen auf sehr ansehnliche Weise möglich.
Gerade die Nutzer hochwertiger Räder sind auf sichere Abstellmöglichkeiten, wie hier im Bamberger "Radhaus" am Bahnhof, angewiesen.
Auch Bamberg verfügt mit seinem „Radhaus“ am Bahnhof seit April 2012 über eine gestalterisch hochwertige Fahrradparkstation. Bei diesem Projekt wurde nicht bloß eine moderne, vollautomatische Abstellanlage errichtet, sondern zugleich die gesamte städtebauliche Situation am Bahnhof verbessert. Das „Radhaus“ entstand in einem Altbau aus dem Jahr 1844, der aufgrund seiner Lage zwischen einer öffentlichen Straße und der verlängerten Bahnsteigunterführung praktisch im Weg war. Erst angesichts der hoffnungslos überfüllten Fahrradstellplätze vor dem Bahnhof ergab sich für das denkmalgeschützte Sandsteingebäude aus der Erbauungszeit des Bahnhofs eine neue Verwendung. Es wurde nach den Plänen des Erlanger Büros KJS + Architekten zu einem neuen Eingangsgebäude mit integrierter, 330 Stellplätze umfassenden Fahrradparkanlage umgebaut.
Noch hinkt die Errichtung solcher Radstationen in vielen Städten dem eigentlichen Bedarf hinterher. Fahrradparkhäuser sind nämlich nicht nur eine Frage des Geldes, sondern auch des politischen Willens. Ohne öffentliche Unterstützung lassen sich solche Projekte nicht realisieren – gerade dort, wo Grundstücke ohnehin knapp und teuer sind. Oder wie Matthias Fritzen, der Architekt aus Münster, sagt: „Natürlich lässt sich mit einer H&M-Filiale mehr Geld verdienen als mit einem Fahrradparkhaus. Da muss sich eine Kommune eben entscheiden, was ihr wichtiger ist.“
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