Regionale Baukultur – das mag für den einen oder anderen zunächst rückständig und provinziell klingen. Kann es sie im Zeitalter der Globalisierung auch in der Architektur, der Bauwirtschaft und bei Baumaterialien überhaupt noch geben? Die Antwort lautet: Gerade unter diesen Umständen ist sie sinnvoll und nötig. Gerade die weltweite Mobilität und das Internet als immer stärker prägendes Kultur-Medium brauchen lokale Gegenpole; gerade der immer raschere Wandel in Gesellschaft und Alltag braucht Konstanten und sichtbare Bezüge über die Gegenwart hinaus. Fortschrittliche Intellektuelle haben das schon im Industriezeitalter erkannt. Der russische Avantgardist El Lissitzky sprach über „das eigentümliche Gefühl, sich an einem Ort zu Hause zu fühlen, ohne genau beschreiben zu können warum“. Berühmt ist die Definition des Philosophen Ernst Bloch, der Bauen als „Produktionsversuch menschlicher Heimat“ bezeichnete. Und heute fordert Peter Sloterdijk, dass jeder Mensch an seinem Ort eine Art „Weltinsel“ erleben kann, die er Heimat nennt.
Regionale Baukultur will solchen Bedürfnissen entsprechen. Sie greift Haustypen und Baukörperformen, Baustoffe und Gliederungsprinzipien auf, die für einen Landstrich oder auch eine Stadt typisch sind. Sie hat nichts mit dem Kitsch zu tun, der leider auch als Regionalismus verkauft wird – mit abgekupferter Lüftlmalerei am bayerischen Fertighaus oder mit Plastiktrauben und Furnierwänden an einem Pfälzer Pseudo-Weingut. Regionalismus beschwört auch keine scheinbar idyllische Vergangenheit, sondern vereint örtliche Eigenheiten mit einem zeitgenössischen Ausdruck. Wie gut das geht, zeigen nicht zuletzt Architekturpreise mit regionalem Bezug, etwa der „artouro“ für Tourismusprojekte in Bayern oder der Architekturpreis Wein, den unsere Kammer zusammen mit dem Deutscher Weinbauverband und dem Fachministerium des Landes Rheinland-Pfalz auslobt.
Regionale Baukultur ist weit mehr als eine Stilfrage: Sie ist eine wirtschaftliche, kulturelle und soziale Frage. Sie nutzt und stärkt Netze vor Ort in Architektur und Handwerk, im Baugewerbe und bei den Zulieferern. Sie bindet seit Langem Ansässige freundlich ein und lädt Zugezogene ebenso freundlich dazu. Es ist erfreulich, dass auch das Bundesministerium für Verkehr, Bau und Stadtentwicklung ihren Wert schätzt. Es hat in einem Forschungsprojekt das baukulturelle Potenzial in Deutschlands ländlichen Regionen untersuchen lassen (mehr dazu hier). Und es hat jetzt die Schirmherrschaft für eine Veranstaltungsreihe der Architektenkammern von Mecklenburg-Vorpommern, Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz übernommen, die den Dialog zwischen Kommunen, Planern, Nutzern und Politik auf regionaler Ebene strukturieren und stärken will. Das Thema spielt vor Ort, aber es hat weit mehr als örtliche Bedeutung. „Global denken – lokal handeln“ heißt ein Slogan der Öko-Bewegung. Gerade die globalisierte Welt braucht erkennbare Orte, die von regionaler Baukultur geprägt sind.
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