Interview: Roland Stimpel
Angenommen, Sie müssten morgen ins Krankenhaus: Gibt es eines, das Sie aus architektonischer Sicht bevorzugen würden?
Es sollte eines sein, in dem ich Licht und Offenheit erleben kann. Auch wenn es unbescheiden klingt, nenne ich das Emil-von-Behring-Krankenhaus hier in Berlin-Zehlendorf, das mein damaliges Büro in den 1990er-Jahren gebaut hat. Alle Zimmer haben Sitzerker und wir konnten glasüberdachte Innenhöfe realisieren, die mit 80jährigen Olivenbäumen aus Sizilien bepflanzt wurden. Diese von uns so genannten Olivenhaine bieten bei jedem Wetter großzügige Aufenthalts- und Bewegungsqualitäten.
Klingt gut – aber was hat es mit dem Thema Krankenhaus zu tun?
Gute Architektur beeinflusst eindeutig die Heilung. Das Behring-Krankenhaus hatte damals eine große Abteilung für Querschnittsgelähmte. Diese Patienten lagen sechs bis acht Monate im Krankenhaus und mussten dort mit ihrer Situation umgehen lernen, zum Beispiel, indem sie sich auf Rollbetten oder in Rollstühlen bewegten. Das war im vorherigen Gebäude nur auf dem Flur möglich – ein nicht aktezptabler Zustand. Jetzt bot sich der Hof als therapeutische Fläche an.
Gibt es umgekehrt ein jüngeres Krankenhaus, das Sie gar nicht mögen?
Ich nenne kein einzelnes Haus, sondern eine besonders schlechte Eigenschaft, die vor allem viele Klinikbauten der 1970er-Jahre haben. Dort wurden sehr viele innenliegende Räume gebaut, es gab die typischen Breitfuß-Konzepte mit ihren tiefen, dunklen Zonen, zum Beispiel Operationstrakte mit bis zu 20 Sälen ohne Tageslicht.
Brauchen OP-Patienten Sonnenschein?
Sie nicht, aber das Personal, das den ganzen Arbeitstag in einem solchen Bunker verbringt. Für das Wohl der Beschäftigten hat die Architektur ebenso zu sorgen wie für das Wohl der Patienten. Und das nicht nur, weil gute Ärzte überall gesucht werden. In der öffentlichen Diskussion über die Qualität von Krankenhäusern kommt das Personal meist zu kurz.
Und wie wichtig sind die Kranken?
Das Motto „Feeling is Healing“ unterstreiche ich zu 100 Prozent; ein gut gestaltetes Krankenzimmer ist wichtig für das Wohlbefinden der Patienten. Allerdings sind bei den immer kürzer werdenden Verweildauern viele Patienten nur kurz im Krankenhaus, anders als die Beschäftigten.
Sie erwähnten große 70er-Jahre-Krankenhäuser. Das umstrittenste ist das Universitätsklinikum in Aachen – bei den einen Ikone für die damalige Zeit und inzwischen wegen seiner High-Tech-Architektur unter Denkmalschutz, bei anderen Symbol für anonyme Apparatemedizin.
Diese viel geübte Schelte hat das Projekt nicht verdient. Es ist das perfekte Beispiel einer modularen, erweiterbaren Struktur und trägt eine durchgängig sichtbare Handschrift. Es zeigt offen die viele Technik, die jedes Krankenhaus braucht. Das ist eine Qualität und kein Makel. Es ist nur leider zur optischen Metapher für die Technikfeindlichkeit geworden, die damals Eingang in die Diskussion über die richtige Medizin fand. Der Hauptmangel dieses Komplexes liegt eher in dem riesigen Raumprogramm als in der großen Baumasse, die notwendigerweise damit einher geht. Das Raumprogramm folgt aus den politischen Vorgaben.
Riesige Neubauten gibt es heute nicht mehr, im Gegenteil: Jedes dritte Krankenhaus in Deutschland macht Verluste; es gibt viel zu viel Betten. Was gibt es in der Schrumpfung noch zu bauen?
Eine ganze Menge. Zwar ist der einzelne Patient immer kürzer im Krankenhaus. Als ich studiert habe, betrug die Liegedauer im Schnitt zehn bis 15 Tage, jetzt sind es nur noch drei bis fünf. Aber die Zahl der Patienten steigt, und damit der Bedarf an Räumen für Untersuchungen und Behandlungen. Da ist also vieles umzubauen oder neu zu bauen. Ein anderes Thema ist die Annäherung von stationärer und ambulanter Behandlung. Dafür sind an die Krankenhäuser angegliederte, aber völlig separate Bereiche nötig.
Medizin und Wirtschaftlichkeit erfordern in Krankenhäusern immer wieder Neuerungen. Wie halten da Gebäude mit?
Die einzelnen Gebäudekomponenten haben unterschiedlich lange Lebenszyklen: Medizintechnik rund zehn Jahre, Einrichtungen vielleicht 20 Jahre und die Gebäude selbst mindestens 50 Jahre. Intelligente Entwürfe zeichnen sich durch innere und äußere Flexibilität aus, die notwendige Eingriffe ohne lange Betriebsunterbrechungen ermöglicht. Dazu dienen zum Beispiel leichte Trennwände und vorgehaltene Installations-Knotenpunkte. Die Erfahrung zeigt allerdings auch, dass massive bauliche Eingriffe in bestehende Strukturen eines Krankenhauses eher lang- als kurzfristig zu erwarten sind.
Müssen Krankenhaus-Architekten Medizin-Kenner sein
Sie sollten viel von Technik verstehen, von der Lüftung bis zum Hygiene-Management. Sie müssen bis zu 15 Fachbüros planerisch koordinieren. Und sie müssen medizinische Betriebsabläufe kennen, müssen bis zu 50 Funktionsbereiche so planen, dass optimale Betriebsabläufe wirtschaftlich möglich sind. Sie müssen wissen, wo Nähe und kurze Wege zwischen bestimmten Bereichen besonders wichtig sind.
Staat und Krankenkassen sparen, der wirtschaftliche Druck auf die Hospitäler wächst. Schränkt das auch die Möglichkeiten für gute Architektur immer mehr ein?
Der Zwang zur Wirtschaftlichkeit erfordert immer mehr gute Architektur.
Funktionell gute?
Das auf jeden Fall, aber auch attraktive, angenehme für Personal und Patienten. Im Übrigen gab es schon immer konsequent wirtschaftlich handelnde Krankenhäuser. Und das waren auch architektonisch oft nicht die schlechtesten. Wir Planer haben da gute Argumente. Auch für sie steht die AKG, der Zusammenschluss der Architekten für Krankenhausbau und Gesundheitswesen im BDA. Wie Form und Funktion zusammenspielen, zeigen zum Beispiel unsere gerade verliehenen Auszeichnungen für herausragende Gesundheitsbauten 2013.
Zusammenschluss der Krankenhaus-Architekten – das klingt nach einer eher kleinen und abgeschotteten Vereinigung.
Wir sehen uns nicht als Closed Shop, sondern als Gruppe mit großer Expertise, deren Kompetenz die Bauherren schätzen und respektieren. Wir haben 160 Mitglieder, alles Einzelpersonen, keine Büros. Die meisten sind auch BDA-Mitglieder, einige sind Innenarchitekten, hinzu kommen weitere Personen mit besonderen Verdiensten im Krankenhausbau.
Empfinden Sie sich als Elite?
Elite klingt zu arrogant, aber wir stellen hohe Anforderungen an die Bewerber, die im AKG Mitglieder werden wollen. Sie müssen den Nachweis der Expertise auf diesem komplexen Gebiet der Architektur erbringen.
Wie verträgt sich das mit der Idealvorstellung, dass jede Bauaufgabe prinzipiell für jeden Architekten offen sein sollte?
Das ist idealistisch, aber weltfremd. Krankenhausbau hat zu viele Eigenheiten: die vielen und komplexen Funktionen und Betriebsabläufe, die entsprechend langen Planungszeiten, die oft noch längeren Prüfzeiten der Förderbehörden und schließlich der technische und medizinische Fortschritt, der oft genug die Planung überholt. Ein Büro ohne spezielles Know-how in diesem Metier könnte nur scheitern.
Und wenn es in einem offenen Wettbewerb den besten Entwurf liefert?
Offene Wettbewerbe für Krankenhäuser gibt es so gut wie gar nicht mehr. Man kann das bedauern, aber die Bauherren wollen gerade hier sichergehen, dass ein kundiges Büro gewinnt. Allerdings finde ich, dass bei VOF-Verfahren für Krankenhäuser die Anforderungen oft übertrieben sind. Da haben manchmal selbst renommierteste Büros keine Chance. Man bekommt gelegentlich den Verdacht, der Sieger sei vorher ausgeguckt und die Ausschreibung auf ihn zugeschnitten worden.
Keine Chance für junge Büros?
Das ist leider so. Aber es gibt Chancen für junge Architekten, die in einem etablierten Büro anfangen. Wir unterstützen den Nachwuchs mit einem Förderpreis, den wir alle drei Jahre verleihen.
Medizintechnik-Firmen bieten Pakete an, die auch Planungsleistungen enthalten. Sind sie eine ernsthafte Konkurrenz für freie Architekten?
Einige Hersteller haben es versucht, arbeiten jedoch zumeist eng mit erfahrenen Krankenhausarchitekten zusammen. Auf Teilgebieten gibt es solche Tendenzen, zum Beispiel bei Herstellern von Fertig-Operationssälen, aber nicht bei ganzen Krankenhausprojekten. Ein großer Prozentsatz der Projekte wird von Architekten als Generalplaner geleitet. Die Bauherren wollen Haftungspartner. Aber sie wollen vor allem ganzheitlich denkende Planer, die medizinische Themen auch räumlich umsetzen können.