Text: Roland Stimpel
Sie haben Pech, denn Sie sind in einer Leseschleife ohne Ausweg gefangen. Dieser Text hat weder Anfang noch Ende. Alles in ihm dreht sich im Kreis. Das muss hier mal sein, denn es werden heute viel zu wenig Kreise entworfen und gebaut. In unserer nüchternen Eckwelt wirken sie snobistisch: Die Rundform führt nirgendwo dynamisch hin, das Grundstück ist nicht ausgenutzt, die Möbel kann man nicht richtig an die Wand stellen und den Tortenstück-Grundriss schlecht variieren. Nur eine Firma wie Apple leistet es sich, 12.000 Beschäftigte in einen fünf Milliarden Dollar teuren Riesenring von Norman Foster zu packen. Vielleicht schließt sich da der Kreis der Baugeschichte und es entsteht das Stonehenge des iAge. Im Ur-Stonehenge war das Zeitbudget so üppig wie bei Apple das Geld: 1.500 Jahre lang drehten die Vorbriten an ihren Steinringen, Wällen und Runddämmen herum.
Im Zeitkreis genau zwischen Steinzeit und Silicon Valley stand Vitruv, welcher schrieb: „Liegt ein Mensch mit gespreizten Armen und Beinen auf dem Rücken, und setzt man die Zirkelspitze an der Stelle des Nabels ein und schlägt einen Kreis, dann werden von ihm die Finger- und Zehenspitzen berührt.“ Leonardo hat das zeichnerisch getan; jeder kennt seinen nackten „Vitruvianischen Menschen“, der sich in Kreis und Quadrat zugleich streckt. Die Quadratur des angeblich Runden schaffte aber erst Palladio: Der Grundriss seiner Villa Rotonda hat zwar im Zentrum einen recht kleinen Kreis, aber außen rum stolze 16 Rechtecke, die Freitreppen mitgerechnet. Palladio praktizierte, was erst Sepp Herberger aussprach: Das Runde musste ins Eckige!
Damit rotieren wir zur Moderne. In ihr hat vor allem Bruno Taut ziemlich verdrehte Kreisbauten entworfen. Das zu seinem Glück nie gebaute „Runde Wohnhaus“ von 1921 zeigt im Grundriss einen Kreissaal voll schräger Wände, Verschnitt und toten Winkeln. Sein selbst bewohntes Viertelrund in Dahlewitz bekam von Einheimischen den Spitznamen „Käseecke“, sein Vollrund im 400 Kilometer entfernten Worpswede die Bezeichnung „Käseglocke“. Mehr Sinn für den Wunsch nach rechten Winkeln hatte ein Architekt der Kaiserzeit, der zunächst wegen seines Nachnamens zur Rundform verdammt schien: Wilhelm Kreis. Er sprengte seine Namensfessel mit 26 Jahren und entwarf eine Bismarck-Gedenkstätte, laut Wolfgang Pehnt „gedrungene Türme auf quadratischem Grundriss“, die Verehrer des kantigen Reichskanzlers gleich 238mal ins Land klotzten. Aber nicht mal solche Quadratlatschen entlassen Sie aus diesem kreisförmigen Sermon. Warum nicht, erfahren Sie am Anfang des Textes.