Text: Cornelia Dörries
Der erste Eindruck von Eckhard Feddersen: Die Beschäftigung mit dem Thema Alter und Pflege scheint ein Jungbrunnen zu sein. Denn seine am Vortag vollendeten 67 Lebensjahre sind dem Architekten an diesem Herbstmontag nicht anzusehen, trotz Geburtstagsfeier und etlicher Wochenendtermine. Feddersen zwinkert fröhlich durch seine runde Brille und lässt sich erst mal einen Kakao bringen. Man merkt rasch, dass er es gewohnt ist, sich zu Fragen der Alten- und Pflegeheimplanung zu äußern; er gilt deutschlandweit als einer der wichtigsten Spezialisten in diesem Bereich. Auf dem Tisch liegen Fachbücher zum Thema; an etlichen davon hat er mitgearbeitet. Doch was kann das Leben eines Architekten über soziale Bauaufgaben erzählen? Oder anders gefragt: Spiegelt sich in der Berufsbiografie eines Einzelnen auch der Wandel von Architektur im Dienst der Gesellschaft wider?
Eckhard Feddersen kam 1946 in Husum zur Welt. In der „grauen Stadt am Meer“ unterhielt sein Vater als selbstständiger Architekt ein Büro, das viele Projekte für öffentliche Bauherren plante: Schulen, Krankenhäuser, Heime. „Er hatte ein sehr großes Interesse an Menschen, ihren Bedürfnisse und Nöten“, erinnert sich Feddersen. „Ich habe dieses Ethos vom Bauen mit sozialem Anspruch mit meiner Berufswahl gewissermaßen übernommen.“ Nach dem Abitur schrieb er sich 1966 an der TU Karlsruhe ein. „Das Grundstudium war sehr substanziell und gut, doch diese Eiermann-Vergötterung im Hauptstudium …“ Er zieht die Augenbrauen hoch. Also ging er in die USA, nach Berkeley, wo er begann, neben dem Studium in einem Büro zu arbeiten.
Zum Diplom kehrte er nach Deutschland zurück. Doch anstatt nach Karlsruhe zog es ihn in das von der Studentenbewegung aufgewühlte West-Berlin. „Ich war ein politisch engagierter und sozial sensibilisierter Mensch, sehr links eingestellt; es gab für mich eigentlich keinen anderen Ort“, so Feddersen im Rückblick. Er wurde Mitglied der „Roten Zelle Bau“, arbeitete sich durch die Grundlagentexte des Marxismus-Leninismus und leitete Seminare, in denen es um den Klassenstandpunkt, Revolution sowie Haupt- und Nebenwidersprüche ging. In seinem Läuterungsfuror machte er auch vor der eigenen bürgerlichen Herkunft nicht halt und überwarf sich mit seinem Vater, der ihn daraufhin enterbte.
Doch zum Berufsrevolutionär reichte die umstürzlerische Leidenschaft nicht. Feddersen wollte weiterhin Architekt werden. „Damals bekam man ja ein Architekturdiplom, indem man ein Manifest über die klassenlose Stadt der Zukunft verfasste“, erinnert er sich mit leichtem Kopfschütteln an jene Jahre. Anders als viele seiner linken Kommilitonen, die später entweder im diskursiven Betrieb einer Universität landeten oder in der Ideologie-Schleife hängen blieben, wollte er die Welt mit seiner Arbeit als Architekt ganz praktisch verbessern. Planen und Bauen für eine gerechtere Gesellschaft – das würde er auch heute noch unterschreiben. Damals musste er sich jedoch vor einem studentischen Tribunal verantworten, nachdem er es gewagt hatte, an einem Wettbewerb, also der kapitalistischen Institution schlechthin, teilzunehmen. Heute lacht er darüber: „Die Anklage lautete auf falsches Bewusstsein.“
Als einer der wenigen Architekturabsolventen seines revolutionär bewegten Jahrgangs wurde er mit einer klassischen Entwurfsarbeit diplomiert. Er reichte die Planung für ein Schulgebäude ein, und in einem parallel dazu entstandenen Buch setzte sich Feddersen, dem Zeitgeist entsprechend sozialkritisch, mit bildungspolitischen Fragen auseinander. Nach seinem Abschluss begann er als Assistent am Lehrstuhl von Werner Düttmann und ging 1973 mit Wolfgang von Herder eine Büropartnerschaft ein. „Wir fingen praktisch am Küchentisch an“, erzählt Feddersen. „Ohne nennenswerte Erfahrung gewannen wir recht bald einen Wettbewerb und hatten plötzlich einen 60-Millionen-Auftrag, den Neubau des Oberstufenzentrums ‚Metall‘ in Berlin-Neukölln.“ Dann ging es Schlag auf Schlag. Sein erstes Alten- und Pflegeheim entwarf er 1976 in Westerland auf Sylt. Dass er als Berliner Architekt in seiner norddeutschen Heimat Fuß fassen konnte, hatte er auch den guten Kontakten des Vaters zu verdanken. Dessen Groll über die politischen Umtriebigkeiten seines Sohnes hatte sich längst verzogen; er konnte in ihm nun den ehrgeizigen Nachkommen und ernst zu nehmenden Kollegen erkennen, dem er gern jede Unterstützung zuteilwerden ließ. Die Aufträge in Norddeutschland wurden für das Büro zum zweiten Standbein; von 1980 bis 1988 unterhielten Feddersen und von Herder neben dem Hauptsitz in Berlin eine Filiale in Husum.
Im Jahr 2002, nach 30 gemeinsamen und sehr erfolgreichen Jahren, trennten sich die Büropartner. „Mit 55 musste ich mich praktisch neu erfinden“, so Feddersen. „Die Frage war damals, ob ich noch mal ein großes Büro aufbauen oder mich mit einem kleinen Atelier für spezielle Bauaufgaben profilieren sollte.“ Er entschied sich für die zweite Option. „Eine glückliche Entscheidung“, sagt er heute. „Mir ist es ja nie darum gegangen, reich zu werden. Ich habe in junge Leute investiert.“ Inzwischen hat das Büro feddersenarchitekten 32 Mitarbeiter und gehört zu den etablierten Spezialisten im Bereich Alters- und Pflegeheim. Wie viele Einrichtungen dieser Art Feddersen im Laufe seines Berufslebens geplant hat, weiß er nicht genau. Doch den Wandel dieser Bauaufgabe kann er rückblickend gut beschreiben, schließlich hat er mit seiner Arbeit einen guten Teil dazu beigetragen. „Unter den ganzen Richtlinien, Verordnungen und Normen ging das Recht des Menschen unter, über seine Umgebung selbst zu bestimmen“, sagt er. „Doch Heime sollten eigentlich nicht als Institution der Krankenhausverordnung betrachtet werden, sondern als letztes Zuhause auf Erden.“
Reich an Erfahrung und Wissen
Dafür hat er mit seinen Konzepten und Entwürfen jahrelang gekämpft. „Eine gute Planung für diese Bauten muss von folgenden Fragen ausgehen: Wie wollen Menschen gern leben? Wie lässt sich an ihre Biografie anknüpfen? Aber zu bedenken ist auch, dass hilfsbedürftige Menschen nicht gut gepflegt werden, wenn das Pflegepersonal unzufrieden ist. Diese oft widerstreitenden Ansprüche an ein Heim, das für die einen Zuhause, für die anderen Arbeitsplatz ist, müssen versöhnt werden.“ Er gehörte zu den ersten Planern, die Pflegeheime nicht mehr nach der Formatvorlage Krankenhaus konzipierten, sondern auf das Prinzip kleiner, individualisierter Wohneinheiten setzten und auch bei Umbauten und Modernisierung die Abkehr von sogenannten funktional optimierten Flursystemen hin zu Gruppensystemen praktizierten. Diese Flursysteme mit bis zu 100 Meter langen, anonymen Gängen, von denen rechts und links die Zimmer abgehen, werden heute kaum noch realisiert. Stattdessen entstehen jetzt neue Heime, die wie Wohngemeinschaften organisiert sind und sich in generationenübergreifende Haus- oder Quartierskonzepte integrieren lassen.
Auch wenn Feddersen selbst seinen Ansatz nur selten so nennt, ist es doch das Ideal derm Ganzheitlichkeit, dem er mit seinen Entwürfen folgt. Und da schließt sich für ihn ein berufsbiografischer Kreis: In dem vom Vater übernommenen Credo, eine dem Menschen und seinen Bedürfnissen zugewandte Architektur zu schaffen, hat auch er seine Berufung gefunden. „Ich kann mir als Architekt von Alten- und Pflegeheimen keine ästhetische Rechthaberei leisten“, sagt Eckhard Feddersen. „Die Sehnsucht nach Geborgenheit und Harmonie ist ein archaisches Bedürfnis, das ich ernst nehmen muss, wenn ich Räume und Häuser entwerfe, in denen sich Menschen wohlfühlen sollen.“ Seine Erfahrungen im Alten- und Pflegeheimbau gibt er als Fachreferent, Gutachter, Jury-Mitglied und im Rahmen interdisziplinärer Arbeitsgruppen weiter; er ist außerdem Fachautor, Herausgeber von Grundlagenwerken sowie Mitbegründer verschiedener Initiativen, die sich mit Fragen der Alterung beschäftigen.
Während die schwergewichtigen Planungshandbücher an diesem Vormittag unangerührt auf dem Tisch liegen bleiben, holt Feddersen rasch noch ein Buch, das ihm sehr wichtig ist: Otto Friedrich Bollnows Standardwerk „Mensch und Raum“ von 1963. Darin geht es sehr detailliert um das Verhältnis von gebauter Umwelt zum Individuum und darum, wie Architektur auf das menschliche Befinden wirkt – Pflichtlektüre im Büro Feddersen. Er selbst verfolgt die neuesten wissenschaftlichen Entwicklungen nicht nur in der Architektur, sondern auch in der Verhaltensforschung, in der Neurobiologie und der Soziologie. Diese Art beruflicher Weiterbildung erwartet er einfach von guten Planern: „Man kommt in der Architektur nicht ohne Philosophie aus.“
Kleine Stadt, ganz neu: Dank seiner Angebote heißt das Quartier in Forchheim zwar "Kompetenzzentrum Wohnen - Beraten - Pflegen", doch es ist kein Altenheim, sondern eine ganz normale Wohnadresse für selbstbestimmte, ältere Mitmenschen.