Text: Cordula Rau
Das imposante Dachnetz ist das Symbol des Münchener Olympiaparks. Seit den Spielen von 1972 fasst es die Hauptsportstätten Stadion, Olympiahalle und Schwimmhalle zusammen. Sie bilden so mit dem Fernsehturm eine Einheit, die in den Landschaftspark von Günther Grzimek durch das Versenken der Sportstätten harmonisch integriert ist. Der Park ist ein Unikat, hat kaum Vorbilder und besticht vor allem durch die gelungene Synthese aus Landschaftsarchitektur, Architektur und visuellem Erscheinungsbild. Seit 1998 ist der Park in seiner Gesamtheit als schützenswertes Denkmal-Ensemble ausgewiesen.
Auch der Olympiaberg und die Wasserflächen von Olympiasee und Nymphenburg-Biedersteiner-Kanal, Plätze und Wege gehören laut einem Stadtratsbeschluss von 2005 zu den schützenswerten Bereichen, in denen nichts das Erscheinungsbild wesentlich beeinträchtigen darf. Trotz Ensemble- und architektonischem Urheberrechtsschutz hat sich am Rand, aber auch im Kern einiges verändert und dabei vieles verschlechtert. Heute unterliegen die Sportstätten den Gesetzen der Rendite. Über und unter der Erde sind „Erlebniswelten“ hinzugekommen. Was einst Günther Grzimek als „humane Gebrauchslandschaft zum Spielen und Sichwohlfühlen“ bezeichnete, hat sich über weite Strecken zu einer kommerziell unterwanderten Disneylandschaft gewandelt (siehe hier).
Almhütten, Frittenbuden und Cola-Kioske
Der Park ist seit 2005 in einer Krise. Seitdem spielen die Fußballclubs FC Bayern und 1860 München nicht mehr hier, sondern in der für zeitgemäßer erachteten Arena nördlich der Stadt. Der Auszug des Fußballs brachte für die Stadt und ihre kommunale Olympiapark GmbH (OMG) eine ungeahnte Herausforderung. Die OMG hat den Auftrag, den von ihr betreuten Teil des Parks möglichst wirtschaftlich zu betreiben. Der Stadtratsbeschluss von 2005 forderte: „Um den Verlust der Mieteinnahmen nach Auszug der Münchner Fußballvereine auszugleichen, muss die OMG ein Entwicklungs- und Veranstaltungskonzept für einen zeitgemäßen und wirtschaftlichen Betrieb der Anlagen erarbeiten, das den Olympiapark stärker vermarktet als bisher, um ihn auch in Konkurrenz zu anderen Veranstaltungsorten im süddeutschen Raum noch besser zu positionieren.“ Seitdem finden Events aller Art statt, die marktschreierische Werbung und zur Verpflegung der Besucherströme abenteuerliche Container, Almhütten, Frittenbuden und Getränkekioske mit sich bringen. Das originale Erscheinungsbild ist nur noch stellenweise sichtbar. Einen solchen Prozess hält auch die „Klassik-Nike“ nicht auf, die der Bund Deutscher Architekten 2013 den Architekten des Olympiaparks verliehen hat.
Als ehemaliger Partner im Büro Behnisch & Partner und damit als einer der Miturheber ist Fritz Auer nach seinen Worten heute in einer Zwitterposition zwischen dem Erhalt des Ursprünglichen und dessen Weiterentwicklung in die Zukunft. Sein Büro plante schließlich Neues im Park: die Unterwasserwelt Sea-Life, die unterirdische „Kleine Olympiahalle“ und das Restaurant „Coubertin“. „Man kann sicherlich darüber diskutieren, wie man sich als Miturheber einem gemeinsamen Werk gegenüber zu verhalten hat“, sagt Fritz Auer heute nicht unkritisch gegenüber der eigenen Arbeit. „Man hätte vielleicht alles ablehnen müssen. Zum Beispiel sticht das Restaurant aus der Olympiahalle in den Courbertin-Platz hinein und ist ein nicht unerheblicher Eingriff, wenn man den Park von Norden her betritt. Günther Grzimek inszenierte diese Stelle bewusst mit freiem Blick auf Park, See und Berg.“
Als wesentlich kritikwürdiger betrachtet Auer jedoch den Umgang mit dem visuellen Erscheinungsbild: „Zum vierzigjährigen Jubiläum kreierten die Betreiber 2012 eigenmächtig eine neue Selbstdarstellung via irreführender Typografie, Werbung und Farbgebung, die das von Otl Aicher geprägte Erscheinungsbild karikiert.“ Auf diesen unqualifizierten Umgang mit Aichers Konzept weist auch die Landschaftsarchitektin Regine Keller hin, Professorin der TU München: „Sein Werk ist am stärksten gefährdet.“ Das von ihm eigens entwickelte Leitsystem aus Farbe, Piktogramm, Signet und Schrift war damals eine große Errungenschaft und das Markenzeichen des Olympiaparks. Doch mehr und mehr wird jetzt davon abgewichen – und man sieht, wie schwach die Alternativen sind. Sie können mit der Gestaltqualität des sehr puristischen Systems von Otl Aicher nicht mithalten.
Die Hauptkritik am Umgang mit dem Ort richtet Regine Keller direkt an die Betreiber: Werbung ist massiv in den Park eingezogen aufgrund diverser Sportevents wie Skateboard-, BMX- oder Tourenwagenrennen. Lärmende Sommerfeste oder betriebsame Winteraktivitäten und deren jeweiliger Auf- und Abbau setzen der einstigen Parkidylle zu. „Die heutigen Betreiber sehen das zu locker. Manchmal muss man sich als Münchner Bürger wahrhaft schämen.“ 2012 hat sie an der TU München das Symposium „Demokratisches Grün – 40 Jahre Olympiapark“ veranstaltet; 2013 war sie Mitherausgeberin eines Buchs mit demselben Titel.
Einen gewissen Optimismus zeigt eine Kollegin Kellers, die Landschaftsarchitektin und Stadtplanerin Andrea Gebhard. Sie hat 2010 als Teil der Gruppe „mahl gebhard konzepte“ mit „sauerbruch hutton“ eine Rahmenplanung erarbeitet. „Das Bild des Olympiageländes mit seiner demokratischen, hervorragend gelungenen Gestaltung ist in Grundzügen noch vorhanden. Es muss nur wieder zum Leben erweckt werden. Die vielen Einbauten und Umänderungen sind problematisch.“ Ablehnend reagiert sie im Hinblick auf ein Hotelhochhaus, das nördlich des Kerns in der Nähe der BMW-Welt geplant ist. „Es konterkariert die unprätentiöse Haltung, die der Anlage zugrunde liegt.“ Gebhard befürwortet eine Intendanz für den Olympiapark, die einer zu starken Veränderung des Charakters mutig entgegentreten kann. „Richtig wäre ein Kuratorium, das das Für und Wider abschätzt und sich entsprechende Konzepte überlegt“, sagt sie. Bereits Grzimek hatte direkt nach den Spielen von 1972 zum Olympiapark gefordert: „Wenn seine Attraktion jedoch nicht nachlassen soll, bedarf es einer fantasievollen Intendanz.“
Auch Regine Keller hat viel für den Olympiapark geplant. Die Gruppe „keller damm roser landschaftsarchitekten“ mit „design stauss grillmeier partnerschaft“ hat eine umfängliche Bestandsaufnahme gemacht und 2011 ein „visuelles Gesamterscheinungsbild“ erarbeitet – eine aufwendige Bestandsanalyse nebst Gestaltungsvorschlägen, die der Ursprungsplanung angepasst sind. Auch Münchens Stadtbaurätin Elisabeth Merk stimmt in weiten Teilen der Kritik am äußeren Erscheinungsbild und an vielen Nutzungsüberlagerungen im Park zu. „Glücklicherweise konnte mit der Bewerbung für die Olympischen Winterspiele die Rahmenplanung gemacht werden“, freut sie sich. „Das war ein Erfolg, zu dem sich auch der Stadtrat bekannte.“ Diesem bereits vorgestellt ist das sogenannte Parkpflegewerk, das vom Münchner Baureferat umgesetzt wird. Dieses Werk fokussiert sich in erster Linie auf Grün und Freiflächen. Ein weiterer Baustein ist das Gestaltungshandbuch, das wie eine Art „Vademecum“ für bestimmte Themen des Parks gelten soll. „Auch die Denkmalpfleger sind der Meinung, der Park solle weiterhin viele Sportveranstaltungen bieten. Insgesamt gibt es jedoch unglaubliche Befindlichkeiten“, räumt Elisabeth Merk ein: „Die einen fungieren als Hüter der reinen Form und halten diese Fahne dementsprechend hoch, während die anderen befürchten, sie könnten im Ernstfall keine Veranstaltung machen, ohne größte Interessenkonflikte hervorzurufen.“
Es geht auch um eine neue Beschilderung. So genial das Werk Otl Aichers war, so sehr gibt es doch neue Notwendigkeiten: Damals lag der Park am Stadtrand, heute ist die Umgebung viel dichter genutzt. Die vielen Münchener Besucher, Touristen und Gäste aus aller Welt müssen bedient werden – auf Deutsch und Englisch. Vieles sei nicht in der reduzierten Form Aichers darstellbar, auch wegen der erforderlichen Zweisprachigkeit.
Der Stadtrat hat außerdem eine Markenanalyse beauftragt, die gemeinsam mit den Eigentümern, den Stadtwerken, der OMG, dem Aufsichtsrat und den Münchner Stadträten konzipiert wird. Sie soll ermitteln, welche Stärken, Potenziale und Defizite die Marke Olympiapark aus betriebswirtschaftlicher und werbetechnischer Sicht hat. Elisabeth Merk: „Der Stadtrat ist manchmal frustriert ob der vielen öffentlichen Kritik, steckt er doch Hunderte von Millionen in die Ertüchtigung der Gebäude.“ Auch ihr schwebt ein eigener Fachbeirat für den Olympiapark vor, ein Kuratorium. Die von Lokalpolitikern geäußerte Angst, damit noch mehr Personen einbeziehen zu müssen, bedrückt Merk nicht. Die Substanz des Olympiaparks müsse erhalten bleiben, doch er dürfe kein Museum werden. Eine kompetente Intendanz könnte schneller als bisher nötige Entscheidungen herbeiführen. Daher befürwortet sie auch einen zukünftigen Antrag auf Einstufung des Parks als Weltkulturerbe, der jedoch nur mit einer breiten Mehrheit im Stadtrat zu bewerkstelligen ist. Das tönt im Moment wie Zukunftsmusik – aber die klingt ausgesprochen gut.
Dipl.-Ing. Cordula Rau ist Architektin und Journalistin in München.