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Neuer Landschaftsvertrag

Naturschutz hier, Erholung dort, Äcker und Forsten woanders: Veralteter Funktionalismus prägt die Planung im Grünen, meint der Landschaftsarchitekt Sören Schöbel. In der Energiewende sieht er die Chance, wieder ganzheitliche Räume zu schaffen

27.04.20147 Min. 1 Kommentar schreiben
Foto: privat
Integrativ: Professor Sören Schöbel lehrt Landschaftsarchitektur regionaler Freiräume an der TU München in Freising-Weihenstephan. (Foto: privat)

Interview: Roland Stimpel

Deutschlands Landschaftsplanung ist offenbar auf der Höhe der Zeit: für Naturschutz und gegen Flächenfraß, neuerdings zunehmend auf das Thema Energie fokussiert.

In zentralen Aspekten ist sie Jahrzehnte zurück. Die Stadtplanung hat sich seit den 1970er-Jahren allmählich von der Charta von Athen und ihrem Prinzip der Funktionstrennung verabschiedet. Aber draußen vor der Stadt wird planerisch immer noch so gedacht. Da gibt es die Agrarlandschaft und den Forst, das Gebiet für die Erholung und das für den Naturschutz. Und es gibt die stark belasteten Landschaften, meist in der Nähe der Städte und in Flusstälern. Dieser Funktionalismus hat sich in der Landschaftsplanung seit den 1970er-Jahren sogar noch verfestigt. Da wurden auf der einen Seite Schutzräume definiert – landschaftliche Äquivalente zu den denkmalgeschützten Altstädten. Auf der anderen Seite galten und gelten belastete Räume als nicht rettbar und beplanbar – Äquivalente zu dem, was Stadtplaner als Peripherie, Sprawl oder Suburbia bezeichnen.

Warum sollte man Landschaft nicht so behandeln?

Aus ähnlichen Gründen wie bei den Städten. Monofunktionalität bedeutet Verödung, bedeutet den Ausschluss von allzu vielem aus jedem Teil der Landschaft. Und sie führt auch dazu, dass Räume vernachlässigt und diskriminiert werden – ausgerechnet diejenigen, in oder an denen die meisten Menschen leben. Das widerspricht unserem Verfassungsprinzip von der Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse.

Aber jetzt gibt es noch eine weitere Kategorie, die Energielandschaft.

Die gibt es schon lange. Holz wurde verfeuert; auf einem Großteil aller Felder wurde einst Hafer für die Pferde angebaut. Dann kam die industrielle Energielandschaft mit großen Bergwerken über und unter Tage und mit Kraftwerken. Die waren aber sehr konzentriert und für die meisten Menschen nicht sichtbar. Die Produktion erneuerbarer Energien rückt dagegen wieder buchstäblich ins Blickfeld.

Da wollen viele sie nicht haben.

Nach dem Energiekonzept der Bundesregierung soll der Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromproduktion von heute 25 auf 80 Prozent steigen. Selbst wenn der Verbrauch deutlich sinkt, bedeutet es doppelt so viel Strom aus Windenergie und Photovoltaik. Das kann man nicht irgendwo konzentrieren, wo es niemand sieht, sondern das wird Teil unserer Landschaft sein. Und da kommt es entweder über uns oder wir gestalten es aktiv.

Landschaftsarchitekten als Designer für Windparks und Solarfelder?

Die Chance ist viel umfassender. Das funktionalistische Landschaftskonzept ist nicht mehr haltbar. Was die Stadtplaner längst tun, müssen auch wir jetzt anstreben: gemischte, integrierte Landschaftsräume mit hoher Artenvielfalt, mit Agrar- und Energienutzung, geeignet für die Erholung und ästhetisch von hohem Wert.

Ist das nicht zu viel auf einmal?

Natürlich wird nicht alles überall in Höchstqualität möglich sein. Aber es ist grundsätzlich integrierbar, wenn wir als Gesellschaft es nur wollen. Auch da gibt es eine Analogie zur Stadtplanung: Wir sollten die kritische Rekonstruktion der europäischen Kulturlandschaft anstreben, die mit der Funktionstrennung verloren gegangen ist. Kritische Rekonstruktion heißt auch in der Landschaft, zu den Prinzipien der Kleinteiligkeit, der Mischung und Mehrfachnutzung zurückzukehren. Das sind die identitätsstiftenden Strukturen, Texturen und räumlichen Qualitäten der europäischen Landschaft. Dieser Ansatz ist offensiver als die übliche Verteidigung gegen Schäden, die die Umweltplanung betreibt. Für Landschaftsarchitekten wachsen dabei die Potenziale ganz gewaltig.

Wie geht man diese kritische Rekonstruktion an?

Es mag zunächst pathetisch und abstrakt klingen, aber wir brauchen einen neuen Landschaftsvertrag – durchaus in Anlehnung an den Stadtvertrag, den Dieter Hoffmann-Axthelm vorgeschlagen hat. Das wäre ein gesellschaftlicher Konsens, dass wir Vielfalt wollen, dass Energieerzeugung dazugehört und dass auch in der Landschaft Rücksichtnahme und Toleranz gegenüber dem Anderen angebracht sind, statt es aus weiten Räumen auszuschließen.

Und wie läuft das konkret?

Konkret werden die regionale und die lokale Ebene wieder wichtiger. Wegen des gewaltigen Umfangs der Energieproduktion und -infrastruktur sind die Landkreise in vielen Bundesländern zu klein, um das Thema zu regeln. Hier braucht es stärkere regionale Instanzen und Prozesse – nicht nur als herkömmlichen Planungsverbund, in dem sich Verwaltungen zusammenfinden, sondern mit demokratischen Strukturen und einer auch medialen regionalen Öffentlichkeit. Und auf der lokalen Ebene bedeutet es Landschaftsplanung und -gestaltung als gemeinschaftliches Projekt. Was draußen auf dem Acker passiert, gehört ebenso in die lokale Öffentlichkeit wie die Gestaltung des Marktplatzes.

Foto: Wikimedia
Wieskirche: Die oberbayerische Wallfahrtskirche ist kein Windrad-Standort, aber Inspirationsquelle für die landschaftsgerechte Windpark-Planung. (Foto: Wikimedia)

Windräder und Solarparks will jeder auf dem eigenen Grund, keiner will damit vom Nachbarn behelligt werden. In Dörfern tobt der Streit.

Nicht zwingend und nicht überall. Ich begleite gerade ein genossenschaftliches Windpark-Projekt im Pfaffenwinkel, dem kostbaren, weit über Bayern hinaus geliebten Landstrich im Voralpenraum südwestlich von München, in dem auch das Unesco-Weltkulturerbe Wieskirche steht.

Moment mal: Windräder über der Wieskirche? Unglaublich.

Natürlich nicht in deren Blickfeld, sondern sieben Kilometer entfernt und hinter dem nächsten Hügel. Es gibt für alles Grenzen und Tabus. Ich erwähne die Wieskirche aus einem anderen Grund: Sie ist ja nicht nur ein großartiges Stück Barockarchitektur, sondern bezieht ihre Wirkung zum Großteil aus ihrer Stellung im Landschaftsraum, der geprägt ist durch einen kleinräumigen Wechsel von Wald und offenem Land und vom Fernblick auf das Alpenpanorama. Die Wieskirche negiert diesen Landschaftsraum nicht, sondern sie nimmt seine Struktur und seine Morphologie auf und bereichert sie mit einem ganz neuen Element.

Windräder werden nie so empfunden werden wie die Wieskirche.

Natürlich nicht in dieser Qualität und erst recht nicht als Solitäre. Aber es geht ums planerische Prinzip: Auch Windparks können die Landschaft entweder negieren oder ignorieren – das tun sie heute allzu oft – oder sie können natürliche Elemente aufnehmen und betonen, zum Beispiel Hangkanten, Höhenzüge oder weite offene Flächen. Wenn das geschieht, werden sie nicht anfangs, aber nach einer gewissen Zeit als etwas Selbstverständliches wahrgenommen und nicht mehr als Fremdkörper.

Theoretisch eine schöne Idee – praktisch ist sie oft unvereinbar mit Flächenausweisungen und -tabus, etwa bei Schutzgebieten.

Da sind wir wieder beim Problem der monofunktionalen Landschaften. Davon müssen wir wirklich weg. Und wir müssen die heute übliche faktische Zweistufigkeit abschaffen, in der erst die großräumige Funktionsplanung kommt und dann die lokale Gestaltung. Die Gestaltung muss in dem großen Maßstab, den Energieanlagen nun einmal haben, von Anfang an mitgedacht werden. Auch da sind Landschaftsarchitekten viel eher und stärker gefragt als bisher.

Aber bedeutet das nicht: Windräder fast überall, außer um die Wieskirche?

So wichtig wie das „Wo“ ist das „Wie“. Das Projekt im Pfaffenwinkel, das ich begleite, wird von einer lokalen Bürgergenossenschaft und allen benachbarten Gemeinden betrieben. Sie wollen eine Weiterentwicklung der räumlichen Strukturen durch die Windfarm – weil man der Landschaft künftig ablesen soll, dass sie kein Partikularinteresse bedient, sondern ein Gemeinschaftsprojekt ist, auch im Hinblick auf den Umgang mit dem Landschaftsbild. Die künftigen Energielandschaften können so eine Ästhetik des Guten, der zivilisatorisch gelungenen Energieproduktion abbilden.

Foto: Simone Schuldis
Foto: Simone Schuldis

Haben Sie auch Ideen für Solarfelder, Maisfelder und Leitungen?

Die Zäune und Videokameras an Solarfeldern kann man mit wenig Aufwand überflüssig machen. Und man kann Landschaftsformen aufnehmen, beispielsweise traditionelle Ackerschläge. Energie-Äcker sollten ebenfalls die überkommenen Größenverhältnisse respektieren. Auch der Verlauf von Freileitungen sollte Landschaftsformen eher aufnehmen als negieren. Da geht mehr, als Elektroingenieure und lokale Opponenten sich vorstellen können und mögen.


LESETIPP

Sören Schöbel
Windenergie & Landschafts­ästhetik.
Zur landschaftsgerechten ­Anordnung von Windfarmen.
Jovis Verlag 2012, 160 S., 24,80 Euro

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1 Gedanke zu „Neuer Landschaftsvertrag

  1. Danke für diesen Beitrag!
    „Die Schönheit liegt im Auge des Betrachters“ – dieser Satz trifft auch in der Debatte um Energiewende und Landschaftsbild auf den Punkt.
    Landschaftsästhetik ist geprägt von unserer Vorerfahrung, unserem Weltbild und von der Beurteilung des Gesehenen durch unser Wertesystem. Wir glauben „Natur pur“ zu sehen, wenn unser Fernblick über bewaldete Mittelgebirgslandschaften streift – doch selbst dieser Wald ist menschengemacht und hat ein anderes Erscheinungsbild als beispielsweise Waldlandschaften in anderen geschichtlichen Epochen.
    Letztlich hängt aber die Ästhetik bespielsweise von Windrädern aber davon ab, ob ich in diesen Dingern eine Lösung unserer Zukunftprobleme sehe oder Symbole eines politischen Irrwegs. Als Alternative zur Atomkraft finde ich persönlich Windräder großartig, wo immer mir sie begegnen…..

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