Text: Ulrike Meywald
Stahl ist im Bauwesen ein viel verwendeter Werkstoff – nur im mehrgeschossigen Wohnungs- und Verwaltungsbau wird er kaum eingesetzt. Mauerwerk und Beton dominieren hier. Dabei bieten Stahl-Tragwerke eine hohe Flexibilität und kurze Bauzeiten. Stahl verfügt zudem über ein geringes Gewicht in Relation zur statischen Leistungsfähigkeit. Unsere Nachbarländer messen diesen Vorteilen seit Langem mehr Bedeutung bei. In den Niederlanden oder Großbritannien wird Stahl selbst im sozialen Wohnungsbau eingesetzt. Hans-Werner Girkes vom bauforumstahl: „In Deutschland ist das größte Hemmnis der Brandschutz, der wegen seiner hohen und starren Anforderungen oft als zu kompliziert und kostenintensiv angesehen wird.“ Das Problem ließe sich lösen, würde die Brandgefahr mit ingenieurtechnischen Messungsmethoden auf Basis eines realistischen Brandszenarios beurteilt werden, wie im Ausland oft praktiziert.
Doch trotz der brandschutztechnischen Hemmschwelle gibt es immer wieder Protagonisten. Um Architekten für die Verwendung von Stahl zu sensibilisieren, initiierte Professor Jürgen Reichardt von der msa münster school of architecture in Zusammenarbeit mit dem bauforumstahl Ende letzten Jahres ein Symposium zum Thema „private steel – living no limits“. Im April dieses Jahres hatte die Architektenkammer Hessen das Thema unter dem Titel „Stahlbau – einfach vom Feinsten: Wohnwelten“ in einem ihrer Fortbildungsangebote aufgegriffen.
Tragende Strukturen
Die Stahl-Bauweise bietet bei geringem Raumverbrauch schlanke, hoch belastbare Bauteile und ermöglicht einen hohen Vorfertigungsgrad für kurze Bauzeiten. Bedingung ist jedoch eine gründliche und umfassende Planung, die zudem 3-D erfordert. Sie umfasst neben der Architektur, Tragwerksplanung, Konstruktion sowie Haustechnik und erleichtert später das Facility-Management des Gebäudes.
Ein Stahlskelettbau besteht aus im Raster platzierten Stützen mit Riegeln und der aussteifend tragenden Deckenscheibe. Ronald Kocker vom bauforumstahl: „Das Tragwerk wird umso kostengünstiger, je geringer die Anzahl der an der Lastabtragung beteiligten Bauglieder ist.” Beim mehrgeschossigen Wohn- und Verwaltungsbau bietet es sich an, die Außenstützen innerhalb der Gebäudehülle oder in die Fassade integriert anzuordnen. Bei der inneren Anordnung sind Fassade und Tragstruktur getrennt, so dass Korrosion kaum eine Rolle spielt. Außerdem entstehen durch das ausgeglichene Temperaturniveau keine Wärmebrücken. Nachteil ist, dass die Tragstruktur mit F90 gegen Brand zu schützen ist, wodurch Raum verloren geht oder auch Wände nicht an ihren vorgesehenen Ort platziert werden können. Befinden sich die Außenstützen dagegen innerhalb der Fassade, sind nur die Innenflansche brandschutztechnisch zu schützen. Dadurch lässt sich der Innenraum effektiver nutzen. Knackpunkt ist hier aufgrund der exponierten Außenlage die Dichtheit der Anschlüsse zur Fassade. Außerdem ist die Dämmung schwieriger ausführbar. Und die ungleiche Temperaturbeanspruchung des Tragwerks an der Innen- und Außenseite der Fassade führt zu einer höheren Biegebeanspruchung.
Mögliche Wandaussteifungen
Vier Konstruktionsarten sind hier möglich:
1. Biegesteif ausgeführte Verbindungen zwischen Stützen und Riegeln bilden einen Rahmen. Es sind stärkere Stahlprofile und größere Fundamente notwendig. Da die Rahmenstabilisierungen nachgiebig sind, eignet sich diese Aussteifung in Erdbebengebieten.
2. Ausfachungen wie bei einem Fachwerk oder Zugstabsysteme als Verbandskonstruktion erzeugen eine besonders hohe Steifigkeit. Dadurch können Stützen schlanker ausgeführt werden.
3. Scheiben aus vorgefertigten Stahlbetonplatten, bewehrtem Ortbeton oder Mauerwerk werden mit dem Stahlskelett durch Knotenbleche verbunden, die im Beton verankert sind. Ronald Kocker: „Eine stahlbaumäßige Variante der Scheibenstabilisierung ist die Berücksichtigung der Schubfeldwirkung von profilierten Stahlblechen im Dach- und Wandbereich.” Die Bleche müssen an allen vier Rändern auf einer Unterkonstruktion aufliegen, die in der Lage ist, Randkräfte aufzunehmen.
4. Komplette Einheiten aus bewehrtem Ortbeton oder biege- und schubsteif miteinander verbundenen Fertigteilen wirken als Stabilisierungskerne. Das können zum Beispiel Treppenhäuser oder Aufzugsschächte sein.
Nicht brennbare Lösung
Dem Ziel des Brandschutzes, dass die tragende Konstruktion eines Gebäudes dem Feuer möglichst lange widersteht, kommt beim Stahlbau eine besondere Bedeutung zu. Denn bei Temperaturen über 500 Grad Celsius nimmt die Tragfähigkeit von Stahl annähernd linear ab. Daher hat der Schutz der Bauteile oberste Priorität. Die Bemessung der Bekleidung erfolgt meist nach dem Verhältnis U/A, also Umfang zur Querschnittsfläche des Stahlprofils – allerdings laut DIN 4102 erst ab einem U/A-Verhältnis der Profile von über 300-1. Als Bekleidung einsetzbar sind Gipsbauplatten nach DIN 18180, Gipskartonfeuerschutzplatten, Spezialbrandschutzplatten auf Gipsbasis und Kalziumsilikatplatten.
Hans-Werner Girkes: „Bei Stahl in Kombination mit nicht brennbaren Plattenbekleidungen und entsprechendem Dämmstoff ist eine reine A-Bauweise möglich.“ Alle aussteifenden Konstruktionen müssen bei Brandwänden über die gleiche Feuerwiderstandsklasse verfügen wie die Wand selbst. Besonders beachten muss der Planer die vertikalen und horizontalen Stöße der Wandelemente (Fugendichtigkeit!), angrenzende Wand- und Deckenanschlüsse, Bauteildurchdringungen, Verglasungen, Türen und Installationen.
Optisch und energetisch vielseitig
Für einen Stahlskelettbau eignet sich eine Vielzahl von Fassadenmaterialien. Geschlossene Fassaden lassen sich beispielsweise aus Sandwichelementen mit beidseitigen Deckschichten aus Stahl und einem Kern aus Mineralwolle herstellen. Neben komplett vorgefertigten Elementen sind solche erhältlich, die aus einem Sandwichbauteil mit an der äußeren Deckschicht befestigten Systemschienen bestehen. Dann können unterschiedliche Materialien als äußere Hülle eingesetzt werden, etwa Holz, Kupfer, Glaspaneele oder Fliesen. Unmittelbar nach der Montage der Sandwichelemente kann der Innenausbau beginnen.
Je nach gewählter Konstruktion und technischer Ausstattung ist nahezu jeder gewünschte energetische Standard möglich. Dr. Harald Schulz von RP Technik aus Bönen in Nordrhein-Westfalen schreibt: „Der zum Beispiel für ein Passivhaus notwendige U-Wert von ≤ 0,8 W/(m²K) für die Gebäudehülle ist wie folgt zu erreichen:
1. Fassadenprofile mit U-Werten bis 0,7 W/(m²K)
2. Isoliergläser bis 60 mm Füllungsdicke mit Ug von 0,7 bis 0,5 W/(m²K)
3. Paneele auf der Basis von VI-Platten mit Up-Werten bis 0,1 W/(m²K)
4. Fenster- und Türprofile mit U ≤ 1,2 und Elementwerten ≤ 0,8 W/(m²K)
5. Wärmetechnisch optimierte Integration von Glas, Paneel und Ausfachungselement in Fassadensysteme“
Bei einem Gebäude mit einem Tragwerk aus Stahl lassen sich nachträglich Grundrisse ändern. Außerdem kann auch der Rückbau relativ problemlos erfolgen, da Stahltragwerke in der Regel nur verschraubt werden. Planerische Flexibilität und die mögliche Wiederverwendung der Konstruktion oder des Materials sprechen für die besondere Nachhaltigkeit dieser Bauweise.
Ulrike Meywald ist freie Baufachjournalistin in Münster.