Text: Roland Stimpel
Die Gewalt des Deutschen Reiches würden Nachgeborene noch in tausend Jahren an seinen Trümmern ablesen, drohte Albert Speer in seiner „Ruinenwert-Theorie“. Als nach nicht ganz tausend Jahren die gröbsten Trümmer abgeräumt waren, war das Gegenteil gefragt: Die neue Architektur wollte die Nazi-Zeit vergessen machen. Dazu musste sie selbst bescheiden und blass auftreten – „harmonisch und gepflegt, einsichtig und durchsichtig“, wie der Architekturkritiker Wolfgang Pehnt schreibt. Vor allem international durfte sie sich nicht ins Gedächtnis einhämmern. Dann schon lieber dem Vergessen anheimfallen.
Besonders gut ist das Sep Rufs schlichtem Bonner Kanzlerbungalow von 1964 gelungen, für inländische Fachkreise eine Nachkriegs-Ikone. Auf der laufenden Architektur-Biennale in Venedig finden sich von ihm echte und nachgebaute Teile im deutschen Pavillon, der seinerseits aus der Nazi-Zeit stammt. Zweck ist die Demonstration politischer Kontraste. Aber das funktioniert nicht ganz, denn ins Weltgedächtnis hat sich Ruf nicht eingeprägt. Der Londoner „Guardian“ zeigt auf seiner Biennale-Website den puren Nazi-Bau und schreibt drunter: „Reconstruction of the 1964 Chancellorʼs Bungalow“.
Super-Sep! Dank der Einprägungsschwäche seines eigenen Baus lesen die Briten sogar einen dubiosen Nazi-Bau als friedliche Nachkriegsmoderne. Für uns daheim arbeitet Rufs Bau mit einem anderen Vergessens-Effekt. Sein Bauherr war Ludwig Erhard. Der war als Kanzler ein ziemlich rückständiger Knochen: Er propagierte eine autoritäre „formierte Gesellschaft“, nannte kritische Intellektuelle „ganz kleine Pinscher“ und fand es in Ordnung, dass man für Homosexualität, Gotteslästerung und „Erregung öffentlichen Ärgernisses“ Gefängnis bekam. Aber weil Rufs Bau so anders aussieht, suggeriert er als Merkmale Erhards Bescheidenheit, Fortschritt und Liberalität.
Ein genialer Dreifach-Langzeit-Effekt: Vor 50 Jahren sorgte Ruf fürs Vergessen der Nazi-Mentalität oder jedenfalls ihres baulichen Ausdrucks. Heute verschwindet dank ihm der Nachkriegsmuff aus unserer Erinnerung, und ein Nazi-Bau verschwindet als solcher aus dem internationalen Gedächtnis. Dezent bauen – Demenz fördern: So macht man das!
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