Text: Philipp Meuser
Die Schutzfunktion ist ein Wesensmerkmal der Architektur. Das galt schon für die Urhütte, die Schutz vor wilden Tieren, Naturgewalten und Bedrohungen von Feinden bot, und zieht sich durch die gesamte Baugeschichte, in der sich der Wandel der Bedrohungsszenarien der menschlichen Zivilisation widerspiegelt. Ohne Berücksichtigung von Schutz und Sicherheit als immanente funktionale Eigenschaften eines Gebäudes hat ein Architekt in der Regel seine Aufgabe verfehlt.
Heute geht das größte Sicherheitsrisiko vom Menschen selbst aus – direkt oder indirekt. Ein Teilbereich einer Gebäudeplanung, der sich mit baulicher Ertüchtigung gegen nicht alltägliche, gewaltsame Angriffe befasst, wird in diesem Text mit dem Begriff „materielle Sicherheit“ umschrieben, was dem englischen Begriff „Safety“ wohl am nächsten kommt. Hier steht die bauliche Verteidigung gegen gezielte Aggressionen von Menschen im Vordergrund, also der Einbruch- und Terrorschutz. Dies beginnt bei einer zusätzlichen Verriegelung einer Terrassentür und geht über die Installation einer Videoanlage bis hin zum Einbau eines Fensters, das beispielsweise der Druckwelle einer Autobombe standhalten kann. In diesem Sinne wird die „materielle Sicherheit“ zu einem Planungsparameter aller Bauaufgaben, bei der ähnlich wie bei der Barrierefreiheit gilt: Je früher die Anforderungen in die Planung integriert werden können, umso mehr Kosten können gespart werden. Denn wer seinen Neubau erst nach Fertigstellung gegen Einbruch, Beschuss oder gar Explosionen schützen möchte, muss tief in die Tasche greifen. Wichtig für die Planung ist die Verständigung der Verteidiger auf ein Angriffsszenario oder eine Einschätzung, gegen welche Gefahren ein Haus gehärtet werden muss. Auch wenn ein Gebäude nicht das Ziel eines Anschlags ist, kann es zum Beispiel durch die Druckwelle einer Explosion, die einem Nachbargebäude gilt, selbst schwer getroffen werden.
Abschotten oder einladen?
Seit dem Al-Qaida-Anschlag vom 11. September 2001 hat das Thema eine völlig neue Bedeutung erhalten. Seitdem wird Sicherheit fast reflexartig mit dem Begriff des Terrorismus in Verbindung gebracht. Terror ist der unerklärte Krieg im Alltag, sein Schlachtfeld sind die Straßen und Gebäude. Dieser Krieg mit Verkehrsflugzeugen hat im Jahr 2001 die zivile Technik selbst zur Waffe gemacht. Das ist, wie auch die mediale Massenwirkung, eine neue, gesellschaftlich erfahrbare Dimension von Gewalt. Doch wie kann Architektur darauf reagieren, dass ein Risiko theoretisch allzeit und überall lauert? Rechtfertigt die latente Unsicherheit des öffentlichen Raums eine Abkehr von den demokratischen Grundwerten, die in der Architektur durch die Begriffe Offenheit, Transparenz und Zugänglichkeit gewürdigt werden?
Gerade mit dem Bewusstsein eines permanenten Risikos kann es unangemessen sein, wenn Architektur als Antwort darauf Bauten hervorbringt, die wie ein Hochsicherheitstrakt oder ein Gefängnis aussehen. Denn es geht nicht nur um die Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit eines Sicherheitskonzepts, sondern auch um Praktikabilität und Akzeptanz. Es geht um das Wechselspiel aus Sicherheit und Gefahrenvorbeugung einerseits und Atmosphäre andererseits. Wenn ein Haus schon aussieht wie ein Gefängnis, kann das nicht nur abschreckend auf Passanten und Nutzer wirken; es führt möglicherweise auch zu einem Verlust an Glaubwürdigkeit und Akzeptanz für die Institution selbst.
Ein Positivbeispiel gibt in diesem Kontext die zu Unrecht viel gescholtene Berliner US-Botschaft am Pariser Platz. Trotz extremer Sicherheitsvorkehrungen, bestehend aus versenkbaren Pollern und einem zweieinhalb Meter hohen Stabwerk, vermeidet sie den Eindruck eines Festungsbaus. Dennoch funktioniert ihr gebautes Sicherheitssystem – schlicht und ergreifend, weil es hier nicht exzessiv, sondern für das geschulte Auge nur in Form der massiven Fensterprofile hervortritt. Gerade in der für den flüchtigen Passanten geringen Sichtbarkeit ihrer Wirkmacht funktionieren Sicherheitsvorkehrungen in der Architektur. Tarnen oder Täuschen sind die Tricks, die sich Sicherheitsdesign auch heute erfolgreich zu eigen macht. Architektur als zweckmäßige Kunst hat viele optische Gestaltungsvarianten, die bei der Konstruktion eines Baus beginnen und sich nicht allein in der Wahl natürlicher massiver Materialien oder in Details der Fenster- und Türentechnik erschöpfen. Das macht auch die Planung von Bauten für sicherheitsempfindliche Institutionen mitten in der Stadt möglich.
Wenn es um Schutz und Sicherheit geht, dann diskutieren wir über Normalität und Respekt. Das Ziel von terroristischen Aggressionen besteht darin, genau diese Rahmenbedingungen einer friedlichen Gesellschaft zu zerstören. Sofern die Architektur diesen Schutz nicht mehr leisten kann, führt eine oftmals hysterische Reaktion darauf zu permanenter technischer Überwachung, Kontrolle und für den Einzelnen zu gefühlter oder realer Bevormundung. Könnte es sein, dass genau damit das Ziel der Terroristen erreicht ist? Ihnen geht es nicht nur um möglichst viele Opfer und zertrümmerte Gebäude, auch um die Zermürbung ganzer Gesellschaften. Wer dieser Atmosphäre der Angst wirksam begegnen will, muss nach neuen Möglichkeiten suchen, den Menschen auf verlässliche und so wenig wie möglich hysterische Art Schutz zu bieten. Auf diese Bedürfnisse reagierende Gebäude gehören dazu. Mit Sicherheit.
Der Berliner Architekt Philipp Meuser berät internationale Auftraggeber in Fragen der materiellen Sicherheit.
Geplanter Schutz: Zehn Parameter
1. Strategische Lage
Eine Sicherheitsplanung beginnt bereits bei der Standortwahl. Hier sind die planerischen Konflikte schon vorgegeben: An einem hochfrequentierten Ort, der zwar repräsentativ und zentral gelegen ist, kann eine sensible Nutzung, wie im Fall der Botschaften der USA, Großbritanniens und Frankreichs in Berlin, mit den touristischen Routinen am Brandenburger Tor kollidieren. An anderen Orten können große Menschenansammlungen zur Bedrohung schutzbedürftiger Einrichtungen werden – aber, umgekehrt betrachtet, die Möglichkeit bieten, gegen verbunkerte Herrscher zu protestieren. Die Demonstrationen des Arabischen Frühlings oder in Kiew haben erst kürzlich deutlich gemacht, welches Risiko für Diktatoren von prominenten Stadtplätzen oder breiten Boulevards ausgehen kann.
2. Lage auf dem Grundstück
Ideale Planungen sehen ein frei stehendes Gebäude mit einem Abstand von mindestens 20 Metern zur Grundstücksgrenze vor. Je städtischer jedoch der Kontext ist, umso weniger können diese Anforderungen erfüllt werden. Durch (bei Bedarf versenkbare) Poller im öffentlichen Raum können zumindest einige Meter Abstand gewonnen werden. Gleichwohl kann eine Gefahr von unmittelbar angrenzenden Gebäuden ausgehen.
3. Lage im Gebäude
Bei Unterbringung in einem Gebäude mit weiteren Mietern bieten zusammenhängende Flächen auf ganzen Etagen einen Vorteil gegenüber der Nutzung beispielsweise eines Erdgeschosses für Kundengeschäfte und einem Backoffice in einer weiter oben liegenden Etage. Ähnliche Überlegungen gelten auch für die Nutzung eines halben Geschosses, bei dem der Zugang zur Etage mit weiteren Mietern geteilt werden muss. Dies erhöht den Bedarf an baulichen Maßnahmen und Personal für den Objektschutz.
4. Grundstücksgrenze
In der Regel bietet eine 2,5 Meter hohe Mauer mit Metallabweisern zur Angriffsseite ausreichenden Schutz vor unerwünschtem Besuch. Diese Höhe kann jedoch problemlos überwunden werden, wenn parkende Fahrzeuge oder Bäume leicht zu erklimmende Kletterhilfen darstellen. Es gilt dabei der Grundsatz: Eine Außeneinfriedung kann nur so robust wie ihr schwächster Punkt sein. Daher sollte bei der Gestaltung der Grundstücksbegrenzung auch auf Übersichtlichkeit der Freifläche vor dem Zaun oder der Mauer geachtet werden.
5. Schleuse und Vereinzelungsanlage
Alle notwendigen Öffnungen der Außenhaut eines Grundstücks oder eines Gebäudes stellen grundsätzlich ein Risiko für unkontrollierte Zugänge oder gar Angriffe dar. Schleusen, die sowohl für Personen und Waren als auch für Fahrzeuge und Mülltonnen eingerichtet werden, ermöglichen eine lückenlose Überwachung des Verkehrs. Vereinzelungsanlagen, häufig an Flughäfen oder in Stadien installiert, ermöglichen die Regelung von Massenanstürmen – und einer damit verbundenen unkomplizierten Kontrolle der Querenden. Drehkreuze und mit hohem Personalaufwand verbundene Metallsonden sind die häufigsten Formen von Vereinzelungsanlagen.
6. Videoüberwachung
Die Videoüberwachung des Grundstücks und des Gebäudes zielt auf eine möglichst frühzeitige Erkennung von Eindringversuchen oder sonstigen sicherheitsrelevanten Vorfällen. Sie dient deshalb vor allem der Überwachung und Dokumentation. Ein Übergriff oder Einbruch lässt sich damit nicht verhindern – potenzielle Eindringlinge werden durch eine Videoüberwachung im besten Fall abgeschreckt. Eine Überwachungsanlage ist vor allem dann leistungsfähig, wenn die gelieferten Bilder ununterbrochen ausgewertet werden.
7. Ver- und Entsorgungsleitungen
Die Medien- und Leitungsdurchführung zwischen dem öffentlichen Netz und dem individuellen Verbraucher bedarf ebenfalls einer besonderen Planung. Dabei gilt es, nicht nur Belange des Brandschutzes zu erfüllen, sondern auch zu verhindern, dass über Öffnungen in Einfriedung oder Fassade Gegenstände eingebracht werden, die von einem sicherheitsüberprüften Besucher entgegengenommen werden können. Bei hochsensiblen Bauten hat sich durchgesetzt, dass Brennstofflieferungen über außen liegende Stutzen eingebracht und Abfälle über eine Müllschleuse entsorgt werden können.
8. Decken und Wände
Wand, Decke und Boden sollen vor Einbruch, Explosion, Beschuss, Feuer und Rauchgasentwicklung schützen und etwaige Abhörversuche erschweren. Besonderes Augenmerk zieht die Härtung von Decken und Wänden auf sich. In den Raumabschlüssen kumulieren womöglich widersprüchliche Anforderungen an das Gebäude: Repräsentation einerseits, Schutz gegen das wahrscheinliche Angriffsszenario andererseits. Im Innenraum gilt es zu beachten, dass nicht tragende Raumtrennungen von Geschossdecke zu Geschossdecke geführt werden – zum Schutz vor Brand, Schall, Einbruch und Durchschuss.
9. Türen und Fenster
Grundsätzlich muss die je nach Gefährdung zu wählende Widerstandsklasse (RC = Resistance Class) für Fenster und Türen identisch mit der für Wand, Decke und Boden sein. Die Festlegung der Widerstandsklasse erfordert jedoch eine Priorisierung von Schutzzielen: So erfüllt ein durchschusshemmendes Fenster aufgrund der produktionsbedingt erforderlichen Folien nicht unbedingt die Anforderungen des Brandschutzes.
Auch die Auswahl der Schließsysteme erfolgt nach Risikoabwägung. Türen, Tore und Fenster können mit zusätzlichen Vorkehrungen versehen werden. Dazu zählen einbruchhemmende Gitter und die immer innen anzubringende Splitterschutzfolie an Fenstern, die den Schutz vor Einbruch, Beschuss und Explosionen verstärkt.
10. Panik- und Schutzräume
Die Ausbildung eines Gebäudeteils als Panik- oder Schutzraum erfordert zunächst eine entsprechende Härtung der Raumabschlüsse und -öffnungen. Über den physischen Schutz hinaus sollen sie eine Mindestversorgung mit Frischluft und Wasser gewährleisten. Eine Notfallalarmierung oder sonstige Kommunikationsmöglichkeiten sind ebenso vorzusehen wie – sofern baulich umsetzbar – eine versteckte Fluchtmöglichkeit, die freilich in derselben Widerstandsklasse ausgeführt sein muss wie der gesamte Schutzraum. Um einen zeitlich unabhängigen Schutz gewährleisten zu können, werden Schlafzimmer und räumlich angeschlossenes WC häufig als nächtliches Refugium ausgebildet. Planerisch und gestalterisch besteht die Herausforderung darin, den Schutzraum gerade nicht als phobischen „Panik-Raum“ wirken zu lassen.
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