von Rudolf Scherzer. Building Information Modeling, kurz BIM, fasziniert: Alle Planungsdaten werden in einem digitalen Gebäudemodell erfasst. Jede Information ist darin verfügbar; jede Planungsänderung ist mit allen denkbaren Konsequenzen sofort allen bekannt, die zu dem Gebäudemodell Zugang haben. Die Daten einer Planungsphase dienen im Idealfall stets als direkt verwertbare Grundlage für die nächste. BIM soll die Projektwelt integrieren, wenn auch Fachplaner, Bauherren, Ausführende, Genehmigungsbehörden und andere beteiligt sind.
Doch BIM erschreckt auch. Der technologische Sprung und der nötige Aufwand an Hardware, Software, Schulungen und Kenntnissen dürften größer sein als bei der Ablösung des Zeichenbretts durch CAD. Gerade kleinere Büros könnten überfordert sein. Von Beginn an müssen Planungsdaten detailliert ermittelt und aufbereitet werden – das bedeutet mehr Aufwand insbesondere in den frühen Leistungsphasen und in der Projektvorbereitung, dem bisher kein entsprechender Honorar-Ertrag gegenübersteht. Ein gemeinsames BIM-Modell kann nicht nur vom Architekten später verändert werden – wer ist dann eigentlich am Ende Urheber des Gebäudes? Und die Versuchung für Bauherren, Projektsteuerer und Generalübernehmer dürfte wachsen, Teile der Planung und die Ausführung dem Architekten aus der Hand zu nehmen.
Trotz der grundsätzlichen Bedenken gilt es für uns Architekten nun, die Vorzüge von BIM zu nutzen und drohende Nachteile zu vermeiden. BIM muss Hilfsmittel bleiben, statt Prozesse zu beherrschen und nachteilig zu verändern. Die Bundesarchitektenkammer hat 2013 eine Projektgruppe ins Leben gerufen, die die Entwicklung und Einführung von BIM konstruktiv-kritisch begleitet. Aktuell besonders wichtig sind Vorgänge rund um die „Reformkommission Großprojekte“ der Bundesregierung. Dort gab es Versuche, bekannte Probleme von Großprojekten zu bagatellisieren und zugleich zu suggerieren, Planungsmängel seien schuld – und könnten durch BIM geheilt werden.
Das ist natürlich abstrus. Kein BIM kann Hektik, mangelndes Nachdenken, das Vertuschen von Problemen und die dauernde Änderung von Plänen ausgleichen. Dennoch gibt es Ansinnen, BIM zunächst für öffentliche Bauvorhaben verbindlich zu machen. Das wäre geradezu tragikomisch: Auf überstürzt begonnene Großprojekte am Bau würde mit einem überstürzten Großprojekt der Informationstechnik geantwortet. Für dieses gibt es keine einheitliche Basis, in Deutschland keine bekannten, umfassend evaluierten Pilotversuche und Referenzprojekte sowie immense Anwendungsprobleme. Zum Beispiel müssten auch alle Folgeunternehmen und Handwerksbetriebe BIM-fit sein, um erfolgreich im Sinne der Methode an einem Bau mitwirken zu können.
Als Instrument zur raschen, offenbar allzu raschen Einführung von BIM soll nun eine Plattform namens „Bauen Digital GmbH“ dienen. Auch der Bundesarchitektenkammer wurde die Mitgliedschaft angetragen. Nun hat ihr Vorstand beschlossen, sich an dieser Unternehmung nicht zu beteiligen und stattdessen die offene, konstruktive Diskussion zu fördern. Nicht weil wir Fortschrittsfeinde wären. Sondern weil wir einen Fortschritt wollen, in dem BIM bewährte Planungsprinzipien und Arbeitsweisen fördert und nicht infrage stellt.
Rudolf Scherzer ist Vizepräsident der Bayerischen Architektenkammer und leitet die Projektgruppe BIM der Bundesarchitektenkammer.
„Welches BIM brauchen wir?“ – Danke für diese Frage!
Offener Brief an Rudolf Scherzer, von Dr. Ilka May (Arup; buildingSMART e.V.) und Siegfried Wernik (buildingSMART e.V.)
Sehr geehrter Herr Kollege, Lieber Rudolf Scherzer,
das Deutsche Architektenblatt hat in seiner Novemberausgabe Ihren Standpunkt zur Frage „Welches BIM brauchen wir?“ veröffentlicht, der einige hochinteressante und häufig diskutierte Fragen im Zusammenhang mit dem Thema BIM aufgreift. Wir möchten die Chance nutzen, diese wichtige und aufklärende Diskussion weiter zu führen.
Grundsätzlich scheinen wir uns einig zu sein: BIM wird als Chance zur Verbesserung des Planens, Bauens und Betreibens wahrgenommen. Aber die Einführung birgt auch Risiken, über die wir uns bewusst sein müssen. Welches sind aber diese Risiken? Sie haben einige erwähnt: die befürchtete Überforderung der KMUs, das vermeintlich gefährdete Urheberrecht, eine Versionskontrolle, die Verschiebung von Mehrleistungen in frühe Planungsphasen und die nicht dazu passende Struktur der bisherigen Honorierung. Alle diese Punkte sind richtig, wir müssen uns mit diesen Themen befassen, damit alle Beteiligten in der Wertschöpfungskette Bau von den Lösungen profitieren, nicht nur wir in Deutschland. Unsere Nachbarn haben damit schon begonnen!
Das Hauptrisiko steckt jedoch in der Überschrift Ihres Artikels. Es mangelt an dem Verständnis, dass es „ein BIM“ nicht gibt und nicht geklärt ist, wie BIM in Projekten genutzt werden soll. Eine überstürzte Anwendung von „BIM“ in Pilotprojekten, ohne eine Definition und ein gutes Verständnis des Prozesses, ohne klare Zielsetzung, ohne Messbarkeit dieser Zielsetzung, ohne den Versuch die Kompetenz und Fertigkeiten der Bauherren, der Planer bis zu den Bauausführenden und Zulieferern zu steigern, wäre mehr als tragikomisch, es wäre ein Rezept für ein Scheitern.
Prüfen wir aber doch bitte mal, ob wir unter BIM alle das Gleiche verstehen. Was ist BIM oder wel-ches BIM brauchen wir? Das von Ihnen skizzierte digitale Gebäudemodell, in dem alle relevanten Informationen erfasst sind, alle Disziplinen gemeinsam simultan arbeiten und jede Änderung sich automatisch auf alle Gewerke durchschlägt, ist eine Zukunftsvision, von der wir noch sehr weit entfernt sind. Tatsächlich ist eine solche Lösung in der sehr fragmentierten Struktur der Planungs- und Bauwirtschaft und der damit einhergehenden heterogenen Softwareumgebung wahrscheinlich nicht durchführbar. In der Tat wissen wir noch gar nicht, ob die Vision überhaupt erstrebenswert ist! Wir sollten diese Vision eines gemeinsamen Arbeitens im Auge behalten und ihren potentiellen Mehrwert, ihre Umsetzbarkeit aber auch ihre Risiken weiter untersuchen. Im Moment ist es sicherlich nicht das BIM, das wir brauchen und haben können.
Aber was ist es dann? Wir müssen BIM als eine modellbasierte, interdisziplinäre Arbeitsmethode verstehen, für die Erstellung von Informationen und das verlustfreie Arbeiten damit in Bauprojekten, auf der Grundlage klar definierter Arbeitsaufgaben, Datenmodelle und Kommunikationswegen. Digitale Datenmodelle, welche die jeweiligen Planungsstände der verschiedenen Disziplinen zusammenführen, dienen hierbei als ein Hilfsmittel für die Koordination der unterschiedlichen Projektinformationen. BIM ist keine Software, sondern eine Haltung zur gemeinsamen Arbeit mit transparenten und vollständigen Informationen!
BIM ist im Übrigen auch nicht neu, und wir tun gut daran zu schauen, wie andere Länder bei (Groß-) Projekten mit den Chancen und Risiken dieser Methoden umgehen. Wir lernen, dass der entsprechende Prozess dem Bauherren (und uns selbst) bei der Planung eines Projekts hilft, um die wichtigen Entscheidungspunkte und damit zusammenhängend, die erforderlichen Informationen für die Entscheidungsfindung zu identifizieren und zu formulieren. Diese Informationsanforderungen des Bauherrn werden dokumentiert und bilden während der Projektdurchführung das Rückgrat unserer Arbeit. In der weiteren Durchführung des Projekts führt die Verknüpfung von Planungs-, Kosten- und Termininformationen zu einer verstärkten Transparenz und Kontrolle über das Projekt (wenn die Beteiligten sie nutzen), Visualisierungen zu einer verstärkten Akzeptanz bei den Laien. Die Möglichkeit von präzisen, zeitnahen Kalkulationen führen zu Effizienzsteigerungen bei der Bewertung verschiedener Optionen, um nur einige Beispiele zu nennen. Als eine solche Querschnittsdisziplin angewandt, hat BIM in der Tat ein enormes Verbesserungspotenzial für uns alle.
Es ist richtig, dass BIM-Methoden Hektik, mangelndes Nachdenken, Vertuschungen und Planände-rungen nicht ausgleichen können. Wer das behauptet handelt fahrlässig. Interessanterweise be-obachten wir aber international, dass die Anwendung von BIM-Methoden einen Katalysatoreffekt hat. Durch die Stringenz des Prozesses kommen typische Probleme bei der Abwicklung von Bauprojekten früh ans Tageslicht. Die Ursachen liegen oft an fehlender Bauherrenkompetenz, fehlender Risikobetrachtung, unzureichender Koordination und Qualität der Planung und der Ausführung usw. Diese Probleme sind tatsächlich nicht durch BIM zu lösen. Es gilt die Ursachen hierfür zu verändern. Hier hat die Reformkommission Großprojekte einen Anfang gemacht.
Was ist also erforderlich in Deutschland, damit wir die Chancen von BIM nutzen, ohne in die Risiko-falle zu tappen, unkoordiniert etwas zu tun, was nicht ausreichend vorbereitet ist?
Die von Ihnen erwähnte Plattform „Bauen Digital“ soll nicht zu einer allzu raschen, sondern vor allem zu einer besser koordinierten und stufenweisen Einführung von BIM in Deutschland beitragen. Dies dient nicht zuletzt auch dem Schutz der angesprochenen KMUs. Das Ziel ist die Gründung einer nationalen Plattform aller! an der Planung, am Bau und am Betreiben von Bauwerken Beteiligten, um existierende einzelne organisationsspezifische Standards und Methoden zu vereinheitlichen und auszuweiten, Forschungslücken zu schließen, Aufklärungsarbeit und weitergehende Hilfestellungen zur Marktimplementierung zu leisten. Auf der Ebene der Plattform Bauen Digital sollen Kooperationen mit anderen Initiativen, die im Bereich des digitalen Planens, Bauens und Betreibens bereits tätig sind, gesucht werden (soweit diese nicht auch als Mitglieder tätig sein werden).
07. November 2014
Dr. Ilka May
Siegfried Wernik
Die Autoren sind Mitglieder der Arbeitsgruppe BIM der Reformkommission Großprojekte im BMVI.
Sehr geehrte Kollegen,
Herr Scherzer hat mit seinem Kommentar zum BIM sicherlich die gängige Haltung der Mehrheit der Architektenschaft formuliert. Ein Großteil der derzeitigen Gebäudeplanung wird noch immer in 2D erstellt, obwohl sich die Anbieter von 3D Software und der Building Smart e.V. seit Jahren um die Verbreitung von BIM Anwendungen bemühen. Die Produkte sind ausgereift und die Vorteile der 3D-Arbeitsweise hinlänglich bekannt – und doch sind viele Architekten nur schwer davon zu überzeugen. „Was soll ich denn mit 3D – am Ende muss ich einen Papierplan auf der Baustelle haben“ ist ein oft gehörtes Argument. Und so kommt es, dass selbst international aufgestellte Büros in 2D entwerfen, um dann hastig einen 3D Artisten zu beauftragen, wenn der Bauherr nach einer räumlichen Gebäudevisualisierung verlangt.
Nun gibt es die ersten Auftraggeber, die von Ihrem Architekten den Einsatz von BIM-Software verlangen, um ihren Klienten Virtual Reality Rundgänge zu ermöglichen und dem Bauunternehmer eine intelligente bauteilbasierte Planung an die Hand zu geben. Es ist gewiss nur eine Frage von ein paar Jahren, bis die Einführung von einem 3D-BIM-Modell für die Baueingabe auch in Deutschland zum Standard werden wird – andere europäische Länder und die USA haben es bereits vorgemacht. Erst wenn dieser Druck von außen noch stärker wird, werden auch die deutschen Architekten auf digitale Gebäudemodelle umschwenken.
Gerade beim Bauen im Bestand, welches bei uns schon mehr als 50% aller Bautätigkeit ausmacht, ist der Einsatz von BIM in Verbindung mit dem digitalen 3D Aufmaß durch Laserscanning eine überaus wirtschaftliche Lösung. Aufgrund der geometrischen Präzision und des hohen Informationsgehaltes des hierbei erzeugten Datenmodells können Planungszeiten verkürzt, Planungsfehler vermieden und Baukosten reduziert werden. Da bei allen Umbauten die Haftungsrisiken nochmals höher sind als beim Neubau, ist der Architekt gut beraten, schon für die Vorplanung ein akkurates Gebäudemodell zu benutzen. Insofern widerspreche ich in diesem Punkt Herrn Scherzer, der die detaillierte Datenerfassung erst für die späteren Leistungsphasen vorsieht.
Unsere Konstruktionskollegen aus dem Bauingenieurwesen oder der Anlagenplanung haben es uns, ähnlich wie beim Übergang vom händischen Zeichnen zum 2D-CAD vorgemacht: Nutzen auch Sie aktuelle und innovative Planungsinstrumente, um effektiver, durchgängiger und fehlerfreier zu arbeiten. Das Umdenken findet statt und noch etwas kommt hinzu: das Planen mit BIM macht Spaß!
Mit herzlichen Grüßen,
Ihr Dipl.-Ing. Johannes Rechenbach
Architekt BDA