Text: Nils Hille
Jetzt ist doch auch mal gut! Oder? Jahrzehntelang geschuftet, sich mit Bauherren herumgeschlagen und in Krisenzeiten an der Verantwortung für die Mitarbeiter fast zerbrochen. Wer trotz des Auf und Ab sein Büro fest etablieren oder als Angestellter einen soliden Arbeitgeber finden konnte, strebt nach 35 bis 40 Jahren im Job die wohlverdiente Rente oder Pension an. Und freut sich auf – ja, auf was eigentlich? Die Lücke, die dann entsteht, ist häufig gewaltig. Kein fester Tagesrhythmus, keine fixen Termine, kein permanentes Gefühl, gebraucht zu werden. Die einen genießen gerade diese neue Situation oder kommen zumindest ganz gut damit klar. Die anderen gehen daran fast zugrunde. Und wieder andere nutzen ihr angehäuftes Fachwissen, um es auf verschiedene Weise weiterzugeben. Dadurch gewinnen nicht nur die jüngeren Kollegen an Wissen, sondern auch die Erfahrenen an Wahrnehmung und Anerkennung.
Wie Ursula Plonske-Zindel. Die 70-Jährige lebt heute in Berlin, führte aber von 1973 bis 2001 ein kleines Büro mit bis zu zwei Angestellten im niedersächsischen Stadthagen. „Ich hatte alle klassischen Aufgaben, vom Einfamilienhaus-Neubau bis zur Schulsanierung. Mein Interesse weckten aber vor allem Fragen der Denkmalpflege“, erinnert sie sich. Als Plonske-Zindel ihr Büro aus gesundheitlichen Gründen schließen musste, blieb sie trotzdem ihrer Leidenschaft treu und absolvierte ein Aufbaustudium in Denkmalpflege. Mit diesem Fachwissen meldete sich die Architektin in Rente beim SES, dem Senior Experten Service der Stiftung der Deutschen Wirtschaft für internationale Zusammenarbeit. Über ihn bekam sie ein passendes Projekt in Aserbaidschan: Plonske-Zindel entwickelte im Team mit anderen Experten Konzepte, um Siedlungen ausgewanderter Schwaben von Anfang des 19. Jahrhunderts vor dem Zerfall zu bewahren. „Viermal war ich vor Ort und habe mich mit der Gestaltungssatzung für eine Innenstadt beschäftigt“, erzählt sie. Die große Entfernung, die fremde Kultur und die enormen Sprachbarrieren, da dort niemand außer dem Dolmetscher Englisch, geschweige denn Deutsch sprach, schwächten nicht ihre Begeisterung. „Ich war die einzige Frau, die mitredete. Aber das konnte mich nicht einschüchtern, schließlich stand ich damals zu meinem Berufsanfang als einzige Architektin im Kreis Stadthagen vor einer ähnlichen Situation.“
Doch nicht immer kommt Plonske-Zindel mit ihrem Engagement an. Gerne hätte sie ehrenamtlich an einer Hochschule in Berlin Architekturstudenten in ihrer Ausbildung unterstützt, wie sie das auch bei ihrer Tochter und deren Kommilitonen gemacht hat. „Die Idee, Grundbegriffe zu erläutern, was heute in der Ausbildung oft zu kurz kommt, kam seitens der Uni gar nicht gut an. Die Fakultät hatte null Interesse an meinem Fachwissen.“ So hofft die Architektin auf eine neue ehrenamtliche Tätigkeit und auf gesundheitliche Besserung nach einer weiteren Krankheit. Die neuste Anfrage des SES musste sie vor Kurzem widerwillig auf Anraten ihres Arztes absagen: „Das hat mich schon sehr gestört und passiert mir so schnell kein zweites Mal. Ich will doch noch etwas tun.“
Vielfach vorgesorgt
Etwas tun wollte auch Wolfgang Vögele, Stadtplaner und Architekt aus Karlsruhe, wenn er aus seinem Büro aussteigt. Vom Jahr 1991 an hatte er dies mit einem Kollegen geführt, seine zweite Büropartnerschaft ab 1975. 35 Jahre später war es dann so weit. Im Jahr 2010 stand der Abschied von kleinen und großen städtebaulichen Aufgaben an, etwa in sogenannten Entlastungsstädten wie Eschborn im Frankfurter Raum oder der Weiterentwicklung eines Problemgebiets in Offenburg. Doch Vögele hatte vorgesorgt: Seine Vorbereitungen für den Unruhestand begannen schon vier Jahre zuvor. „In Gesprächen und während eines Moderationswochenendes mit den Mitarbeitern haben wir eine Lösung für die neue Situation erarbeitet.“
Zudem nutzte Vögele die Zeit, sich über seine eigene Rolle nach dem Ausstieg Gedanken zu machen. „Mir wurde immer deutlicher, dass ich keinen klaren Schnitt wollte.“ So war zwar der Büroausstieg besiegelt, Vögele führt aber die Begleitung und Beratung von ein paar langjährigen Stadterneuerungen weiter fort. Außerdem gibt er im Institut Fortbildung Bau der Architektenkammer Baden-Württemberg regelmäßig Seminare zur Bauleitplanung und Stadterneuerung. „Es hat sich gezeigt, dass meine Erfahrung hier gut platziert ist und mich das Wechselspiel aus Lehre und beruflicher Praxis immer noch reizt.“ Und er engagiert sich noch stärker als vorher in Karlsruhe für die Wahrnehmung der Architektenschaft, indem er zum Beispiel Diskussionsveranstaltungen zum zunehmenden Mangel an bezahlbarem Wohnraum organisiert.
„Die lokale Architektenschaft war begeistert, als die Kollegen hörten, dass meine Büroleitung und meine Gremienarbeit zu Ende gingen. Viele sagten mir erfreut, dass ich ja dann noch mehr Zeit für Ehrenämter hätte“, erzählt Vögele. So erfreut war er selbst aber nicht. Denn trotz der ganzen Planung und der drei Aufgabenfelder beschäftigt den mittlerweile 71-Jährigen die Umstellung noch heute: „Es ist gar nicht so einfach, umzuschalten, und ich kann auch heute noch nicht behaupten, komplett im neuen Rhythmus des ‚dritten Lebens‘ angekommen zu sein.“ Und so verfolgt Vögele weitere Aufgaben, wie den Vorsitz des Fachbeirats des Master-Studiengangs Stadtplanung an der Hochschule für Technik Stuttgart. Und er sucht sich neue Tätigkeiten, wie zum Beispiel die Dokumentation der Architektur der 1950er- bis 1970er-Jahre, um diese wieder mehr ins allgemeine Bewusstsein zu heben. Doch bei allem Engagement ist ihm eines ganz wichtig: „Ich möchte nicht irgendwann als überholt, also als altes Eisen gesehen werden, nicht als der grauhaarige, alte Mann, der immer etwas besser weiß. Wenn die Zeit gekommen ist, werde ich mich rechtzeitig zurückziehen und schweigen.“
Bloggen statt abblocken
Ans Schweigen denkt Hannah Schreckenbach mit ihren 82 Jahren überhaupt nicht. Dafür hat die Magdeburgerin einfach keine Zeit. „Ich sitze morgens und nachmittags jeweils zweieinhalb Stunden am Computer, um meine Homepage mit Inhalten zu füllen, mich auf dem Laufenden zu halten und Kommentare in meinem Hannah-Blog zu platzieren“, sagt sie. Schreckenbach beherrscht die moderne Technik, vor der auch Jüngere oft zurückschrecken. Begeistert erzählt sie von ihrer Homepage schreckenbach.info, an der ihr Herz hänge: „Mein architektonisches Fachwissen und meine beruflichen Erfahrungen so der Nachwelt hinterlassen zu können, macht mir diebischen Spaß.“
Und Fachwissen wie Erfahrungen hat sie viel: Im Jahr 1960 ging Schreckenbach nach Afrika und arbeitete für das Bauministerium in Accra (Ghana). Als Architektin ist sie zunächst unter anderem für die Errichtung von Wohn- und Verwaltungsbauten zuständig, später in leitender Funktion beispielsweise für den Umbau eines Regierungsgebäudes. Zurück in Deutschland, wird sie für die Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit tätig und bringt ihr Wissen über sowie ihre Begeisterung für Lehmbau als Gründungsmitglied im Dachverband Lehm ein.
Wenn mehr Architekten in Rente ihre jeweils speziellen Berufserfahrungen online darstellen würden, könne ein beeindruckendes, nutzwertiges Archiv entstehen. „Und Feedback von Lesern kriege ich auch immer wieder mal“, erzählt Schreckenbach. Weitere Rückmeldungen und das Gefühl, gebraucht zu werden, bekommt sie auch bei ihren Offline-Projekten: Die Seniorin ist nicht nur weiterhin im Dachverband Lehm engagiert, sondern auch im Bereich „Architektur macht Schule“ in der Architektenkammer Sachsen-Anhalt. „Gerade die Arbeit mit Kindern bereichert mich ungemein und hält meine Gehirnzellen fit. Diese Beglückung und Zufriedenheit gleicht meine körperlichen Wehwehchen wieder aus. So kann es noch lange weitergehen.“