Text: Ulrike Meywald
Wie muss eine Küche beschaffen sein, die Spaß am gemeinsamen Kochen bietet und die vor allem zum Verweilen einlädt? Diese weichen Faktoren, die das Befinden des Nutzers mehr in den Mittelpunkt rücken, sollten in Zukunft bei der Küchenplanung eine größere Rolle spielen. Rudolf Schricker, Vizepräsident des Bunds deutscher Innenarchitekten und Professor in Coburg, sieht dafür zwei Wege. Eine Möglichkeit ist, andere Betätigungsfelder in den Lebensraum Küche zu integrieren. So ließe sich beispielsweise neben dem Kochen Fitness betreiben oder in einer gemütlichen Sitzecke entspannen, lesen oder sich digitalen Medien widmen. Schrickers Forschungsarbeit an der Hochschule Coburg führte ihn nämlich zu einer überraschenden Erkenntnis: „In der Küche verbringen die Menschen viel Zeit mit Warten, etwa bis die Eier hart, die Kartoffeln weich sind oder das Fleisch gar ist. Häufig kann man sich währenddessen noch nicht einmal hinsetzen, entspannt anlehnen oder etwas anderes Nützliches tun.“
Eine andere Variante wäre, die Küche so zu modularisieren, dass die Elemente Kälte, Wasser und Hitze dorthin gebracht werden können, wo sie gebraucht werden. Ist jemand krank, braucht er das Hitzemodul im Schlafzimmer, um sich einen Tee zu kochen. Ist eine Grillparty geplant, lässt sich das Kältemodul auf die Terrasse schieben und hält so die Getränke kalt und Salate stets griffbereit. Der Trend zur Außenküche im Garten zeigt, dass dieses Konzept durchaus Anklang findet. Schließlich liegt die letzte bemerkenswerte Innovation hinsichtlich der Organisation der Küche lange zurück: Es war die von Otl Aicher in den 1980er-Jahren für Bulthaup entworfene „Werkbank“, die heutige Kochinsel. Seitdem haben sich in erster Linie Oberflächen, Materialien und Technik geändert, nicht aber das Konzept der Küche.
Am Besten total unsichtbar
Der anhaltende Trend zur offenen Küche ist auch ein Zeichen dafür, dass die Bewohner mit ihren Gästen kommunizieren wollen. Nicht selten wird die Ausstattung zum Statussymbol. Ist die Küche deshalb zur Welt der Oberfläche geworden? Perfekt scheint sie heute dann, wenn sie nicht mehr nach Küche aussieht, sondern mit dem Wohnraum verschmilzt. Die Möbelhersteller bilden dies beispielsweise durch integrierte Regalelemente und Sitzplatzgestaltungen, filigrane Fronten oder wohnliche Sideboards in ihren Programmen ab. Ein Hersteller steigert diesen Trend noch und lässt die Küche optisch ganz verschwinden. Im geschlossenen Zustand sieht sie wie ein an der Wand schwebendes Sideboard aus. Spüle und Herd sind einfach hinter einer Klappe verborgen.
Den Trend zur Perfektion erlebt tagtäglich auch Marc Nosthoff-Horstmann, Inhaber des Küchenstudios kitchen art in Münster: „In der Regel sind Küchen gefragt, die zu jeder Zeit gut aufgeräumt aussehen.“ Das umfasst Möbel, die bis ins letzte Detail Flexibilität und High-End-Oberflächen bieten. Zum Beispiel werden dafür immer ausgefeiltere Ordnungssysteme für Schubladen angeboten, die sich durch Antippen mit der Hüfte motorgesteuert öffnen und so mit einem Griff das gewünschte Utensil bereithalten. Beliebt sind auch Hausgeräte, die sich selbst reinigen und per Smartphone bedient werden können.
Selbsttest als Planungsgrundlage
Bis heute bildet der Grundgedanke der von Margarete Schütte-Lihotzky 1926 entwickelten Frankfurter Küche die Grundlage vieler Planungen – es geht um kurze Wege und optimierte Handgriffe. Doch spielen Aspekte des Komforts und der Aufenthaltsqualität eine viel größere Rolle. Dafür wird häufig sogar ein größerer Umbau in Kauf genommen.
Rudolf Schricker: „Unsere Forschung hat gezeigt, dass viele Reihenhäuser aus den 1980er- bis 90er- Jahren bei einem Generationenwechsel vor allem in zwei Bereichen verändert werden: Die Wand zwischen Schlaf- und Badezimmer wird entfernt, ebenso die zwischen Küche und Wohnraum. Die Probleme mit Gerüchen und der Akustik sind bislang allerdings noch nicht gelöst.“ Nosthoff-Horstmann: „Tatsächlich spielt die Dunstabzugshaube eine große Rolle bei offenen Küchen. Stark nachgefragt sind in die Decke eingelassene Abzugshauben, deren leistungsstarker Motor dann allerdings im Abstellraum oder draußen installiert werden muss.“
Um ein Gefühl für eine gute Küchenplanung zu bekommen, empfiehlt Rudolf Schricker, selbst zu kochen, und geht mit seinen Studenten mit gutem Beispiel voran. „Die stellen dann zum Beispiel fest, wie unpraktisch eine feste Arbeitsplattenhöhe ist, wenn unterschiedlich große Kommilitonen daran arbeiten sollen.“ Für Schricker ist die Selbsterkenntnis ein wichtiger Prozess, weil man nur so feststellt, was am besten funktioniert.
Ulrike Meywald ist freie Baufachjournalistin in Münster
Rudolf Schricker
Handbuch Küche
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Lesen Sie hier die Rezension von „Handbuch Küche“
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