Text: Wolfgang Christ
1. Häuserkampf 2.0: Devitalize the City.
Wer sich heute für eine Wohnung in der Stadt entscheidet, weiß, es wird teuer. Gleichgültig, ob es um Miete oder Kauf geht. Die Inflation der Immobilienwerte ist ein untrügliches Zeichen dafür, dass Lebensqualität wieder mit Stadtqualität verbunden wird. Und beides zusammen verspricht auf absehbare Zeit eine wirtschaftlich nachhaltige Rendite. Urbanität wird am Markt von Angebot und Nachfrage als ein nicht vermehrbares und somit knappes Gut gehandelt. Bis auf wenige Ausnahmen, wie die Hafencity in Hamburg und die Südstadt in Tübingen, bleiben innerstädtische Lagequalitäten auf die historischen Zentren begrenzt. Bei wachsendem Bedarf sind daher permanente Preissteigerungen strukturell vorprogrammiert. Auf engem Raum muss zusammen wachsen, was im postindustriellen Zeitalter nur als ein nichtfragmentiertes Ganzes nachgefragt wird. Denn geschätzt wird vor allem die Kunst, Funktionen wieder zu mischen, Wege kurz zu halten und Energie effektiv zu nutzen. Wir sind Zeugen eines sich verschärfenden Verteilungskampfs um die Ressource Stadt. Die Frage ist, wohin die aktuelle ‚Renaissance der Stadt’ führen wird und ob dabei wirklich eine ‚Stadt für alle’ herauskommen kann.
Die ökonomischen, gesellschaftlichen, politischen und kulturellen Konsequenzen des Wettbewerbes um die Mitte erklären die Sozialwissenschaften hinreichend mit Hilfe des schon im 19. Jahrhundert gebräuchlichen Begriffs Gentrifizierung. Die Wortschöpfung ist mittlerweile so populär, dass sie sogar Eingang in satirische Widerstandsformen findet. Zum Beispiel beim Internetauftritt der fiktiven Münchner ‚Gold Grund Immobilien Organisation’ mit ihrem Rapsong „Wir können nur spekulieren“ (1). In den USA stimuliert Gentrifizierung eine neue Punk-Generation: „For Punk Music, Gentrification is the New Ronald Reagan“. Dazu passt der Song ‚Devitalize the City’, der Gruppe ‚Chain and the Gang’. In dem heißt es unter anderem, „…close everything so nothing’s for sale, I wanna the middle class to feel alone, like strangers in their own home…“ (2)
In der fachöffentlichen Debatte wird Gentrifizierung vor allem aus der Perspektive sozialer Ungleichheit betrachtet. Anschaulich wird der komplexe Sachverhalt, indem ein ganz bestimmter Personentypus als Verursacher und Nutznießer identifiziert und mit Attributen wie ‚Betuchter Käufer’, ‚Kapitalanleger’, ‚Finanzkräftiges, internationales Klientel’, oder ‚Hedonisten’ versehen wird (3). „Bleibt ja weg, ihr Yuppies“ lautet die unmissverständliche Aufforderung derjenigen, die sich von „Dinks, Yuppies, Anzugträger, Porschefahrer“ bedroht fühlen. Mit Hilfe von Parolen wie „Do samma, do bleima“, „Untergiesing bleibt unser“ und „München, das sind wir“, pochen sie auf ihr angestammtes Recht auf Stadt.
Gentrifizierung homogenisiert die Sozialstruktur eines Stadtquartiers. Es wird zum Szene-Viertel. Die stadtstrukturellen Auswirkungen sind in den nordamerikanischen Innenstädten besonders klar ablesbar. ‚Creative-Class Cluster’ beherrschen die urbane Mitte, umgeben von den Wohnquartieren der ‚Service-Class’. Die traditionelle ‚Working-Class’ sieht sich an den Rand der Stadt gedrängt. Die Immobilien- und Mietpreise im fußläufigen Stadtzentrum liegen im Durchschnitt beim Dreifachen dessen, was im autoabhängigen Suburbia gezahlt wird (4).
Der vorliegende Beitrag setzt nun dort an, wo die soziologisch geprägte Gentrifizierungsdebatte üblicherweise endet: bei den Folgen für den gebauten Raum der Stadt. Es soll nachgewiesen werden, dass der gentrifizierte Raum den urbanen Code der Europäischen Stadt verletzt. Das darin eingeschriebene, komplex aufgebaute Wechselverhältnis von Wohnung, Haus, Block, Straße, Quartier und Stadt wird empfindlich gestört. Das urbane Profil des öffentlichen Raumes als traditionelles Medium zwischen Individuum und Gesellschaft wird unscharf. Es droht unkenntlich zu werden, wenn Premiumwohnanlagen antistädtische Gebäude- und Lebensstilmilieus in zentraler Lage implantieren. Je mehr davon Platz greift, desto weniger Stadt bleibt übrig. Das absehbare Resultat ist die Deurbanisierung ganzer Stadtquartiere. Sie verlieren ausgerechnet jene Qualitäten, die sie zuvor zur ‚Traumlage’ gemacht haben. Dagegen wächst der bürgerschaftliche Widerstand vor Ort: Im Münchner Stadtteil Untergiesing ist zum Beispiel „…auf überall zu findenden Aufklebern in den Straßen…“ zu lesen: „Willkommen, ihr Arschlöscher“ (5).
Bei diesem ‚Häuserkampf 2.0’ geht es nicht, wie in den 1970er Jahren, um den Widerstand gegen den Verlust historischer Wohnbausubstanz und die Umwandlung von Wohnen in Büronutzung. Wohnen selbst ist der Konfliktstoff. Doch nicht im Allgemeinen, im Besonderen liegt das Problem. Die hohe Attraktivität von Investitionen in den Premiumwohnsektor hat die international agierende Immobilien- und Kapitalanlagebranche auf den Markt gerufen. Ein Werbeforum für ‚Betongold in Bestlage’ (6) bieten die wöchentlich erscheinenden Immobilienseiten der national verbreiteten Tageszeitungen Die WELT, Süddeutsche Zeitung und Frankfurter Allgemeine Zeitung. Auf Nachfrage erfährt man, dass es Gentrifizierer auch nicht leicht haben. Denn Geld allein genügt nicht mehr. Mindestens so wichtig ist die Frage, die eine Teilhabe am Wohnen mit Luxusstatus überhaupt möglich macht: passt man in die neue ‚Wohn-Gemeinschaft’? Diese Prüfung erfolgt subtil nach Voranmeldung via Internetformular im Verlauf eines persönlichen Rückrufs des Verkaufsmanagers. Nur über seine Schwelle erhält man Zugang zu detaillierteren Projektinformationen und kann sich als möglicher Mitbewohner legitimieren. So ist es hilfreich, die Beweggründe für einen Kauf glaubhaft mit dem Hinweis auf den bevorstehenden Verkauf des Einfamilienhauses zu begründen. Auch als Professor – wie im Fall des Autors – werden sicher Bonuspunkte angerechnet. Auf diese Weise öffnen sich die Tore zum neuen Lebensabschnitt in der Stadt. Immer vorausgesetzt, man sucht wirklich nach einer „luxuriösen Wohnung für ein süßes Leben“; träumt von einem „ idyllischen Garten mitten in der Stadt“; sehnt sich nach „einem entspannten Lebensstil“, oder erhofft sich „eine perfekte Balance zwischen Erholung und Stadtleben“. Selbstverständlich sind es stets „nur wenige Schritte von der Altstadt“, und „ man genießt die ruhige grüne Lage und ist trotzdem schnell in der Stadt“. Alles in allem treffen „höchste Ansprüche“ stets auf ein „exklusives Angebot“. Umso mehr, je solitärer und höher ein Gebäude dasteht (7).
2. Premiumwohnen: Nun hat es ein Ende, das Leiden und Heimweh.
Eine weitere Erkenntnis stellt sich geradezu beiläufig ein: Beim Kauf einer Luxuswohnung ist Eigentum Nebensache. Diese Entwicklung hat Jeremy Rifkin bereits in seinem 2000 erschienenen Buch ‚ACCESS. Das Verschwinden des Eigentums’ (8) diagnostiziert: „Celebration, die von Walt Disney geplante Community in Florida, ist in vielerlei Hinsicht ein Prototyp für das neue Genre im Immobilienhandel – Wohnanlagen, in denen man mit dem Kauf eines Hauses vor allem das Ticket für den Zugang zu einem konfektionierten Lebensstil erwirbt… Die Verkaufsbroschüre widmet dem Lebensstil, den die Bewohner führen werden, viel mehr Raum als den Plänen, nach denen die Häuser gebaut werden…In der Broschüre liest sich das folgendermaßen: “ Es gab einmal einen Ort, in dem die Nachbarn einander in der Stille des Sommerzwielichtes gegrüßt haben. Wo Kinder Glühwürmchen gefangen haben. Und wo man den Sorgen des Tages im Schaukelstuhl auf der Veranda entfliehen konnte. …Können sie sich an diesen Ort erinnern? …Er besaß einen eigenen Zauber. Den besonderen Zauber einer amerikanischen Heimatstadt“(9).
Gezaubert wird heute mehr denn je. Das verdanken wir der Digitalisierung und dem Internet. Die Sichtung der Angebotspalette für Premiumwohnen vermittelt schon nach wenigen Klicks die Zaubermacht der virtuellen Bilder in der Vermarktung von Betongold: Im Mittelpunkt der Marketingstrategien steht das vollständige Eintauchen des jeweiligen Projekts in digital erzeugte Wohlfühlatmosphären. Im Vergleich zu den analogen Printmedien der Celebration-Ära gleichen die Präsentationen audio-visuellen Gesamtkunstwerken. Alle Register emotionaler Überwältigung kommen im Idealfall zum Einsatz für eine stimmungsvolle Szenografie aus Architektur, bildender Kunst, Literatur, Musik und Film.
Geld lässt sich in Geschichte(n) verzaubern – und umgekehrt. Das demonstrieren eindrucksvoll die in Düsseldorf im Bau befindlichen ‚Heinrich Heine Gärten’ (10): In einem viereinhalb Minuten langen Film wendet sich der zu Lebzeiten stets mit Geldsorgen konfrontierte und mit den politischen Zuständen in seinem Vaterland hadernde Dichter scheinbar nebenbei an die potentiellen Käufer, denn er spricht zu seiner Geliebten. Mit altväterlich-gütiger Stimme, unterlegt mit sanften Klavierklängen, lädt er sie zuerst zu einer Bilderreise durch seine Heimatstadt ein und führt sie dann durch ein mal fotorealistisch, mal künstlerisch in Bleistiftoptik animiertes Premiumwohnquartier. Das erscheint im momentan verkaufsträchtigen Retro-Stil großbürgerlicher Gründerzeitarchitektur mit Referenzen in Berlin, Paris und London. Die Interieurs der Wohnungen, die Hausfassaden, Innenhöfe, Gärten und Vorgärten, Bürgersteig, Straßen und Schmuckplätze wirken bis aufs Detail als eine gestalterisch homogene, architektonisch und städtebaulich perfekt durchkomponierte Filmkulisse. Das Medium ist die Botschaft an die zukünftigen Bewohner, sich in einer großen Erzählung häuslich einzurichten. Wohnen wird in ein Drehbuch eingebettet. Die Handlung ist fiktiv, genauso wie der Erzähler Heinrich Heine, der aus dem Off sprechend, bekennt:
„…nun hat es Ende, das Leiden und Heimweh…Jetzt bin ich wieder zuhause, bin angekommen, wo meine Wurzeln sind. Und man hat mir hier mit einem Ort ein Denkmal gesetzt, das zu erträumen ich nie gewagt hätte. Das alles findet sich hier rund um den Loreley-Park, der den Mittelpunkt bildet für die Gärten, die nun meinen Namen tragen sollen…Hier trifft sich Europa. Hier begegnen sich die freien und großen Geister, die Poesie und Literatur, Kunst und Philosophie und auch die Musik beflügelt haben. Köstliche Inspirationen und wertvolle Erinnerungen leben hier als Namen nobler Stadtvillen fort. Schumann, Geheimrat Goethe, der alte Hegel, die drei Grimm-Brüder, sie lassen Dich von hier aus grüßen. Der mächtige Wagner hat hier seinen Platz gefunden und auch…Vom feinsten sind die Maisons, die nach Art der Townhouses, wie ich sie in London sah, jedem sein ganz privates Gartenglück erlauben…Die kleinen Gärten dazwischen und auch die Wohnungen erinnern mit ihren Namen an Gedichte, die ich der Liebe widmete…Liebste Mouche, wir wollten auf Erden glücklich sein, das Himmelreich errichten. Nun steht es hier und trägt noch meinen Namen: Heinrich Heine Gärten“ (11).
Der Imagetransfer aus der Hochkultur deutscher Klassik und Romantik in die Marketingwelt der Immobilienbranche wird schließlich im Gestus kunstsinniger Feudalherren von einer eigens komponierten ‚Heinrich Heine Gärten-Symphonie’ musikalisch gekrönt. Auf der Homepage ist zu lesen:“ Mit den Heinrich Heine Gärten gewinnt Düsseldorf ein grünes Wohnquartier mit Stadtwohnungen, Lofts, Maisons und Stadtvillen hinzu. Ein lebendiges Refugium, urban und doch voller Natur. Frei, offen und mit eigener Identität im Geiste des Dichters Heinrich Heine: Zeitlos wie sein Werk, stilvoll wie seine Sprache und voller Leben wie seine Gedichte“.
Die skizzierte Premiumwohnkultur passt in das Schema der amerikanischen ‚Common-Interest-Developments’ (CIDs). Jeremy Rifkin geht in seiner Untersuchung von 150 000 CIDs aus und schätzt deren Wachstumsrate im Jahr 2000 auf 4000 bis 5000 pro Jahr: „ Die meisten Bewohner von Wohngemeinden erklären sich ausdrücklich bereit, einige ihrer individuellen Eigentumsrechte aufzugeben, wenn sie dafür Zugang zu einem Netzwerk gleichgesinnter Menschen erhalten, mit denen sie die gleichen Werte teilen, die ähnliche Meinungen vertreten und den gleichen Lebensstil pflegen. Immerhin bringt die Mitgliedschaft in einer Community Vorteile mit sich, die ein einzelner Hausbesitzer nicht genießen kann. Man gibt die Autonomie auf, die mit dem System des Privateigentums verbunden ist, und begibt sich dafür in gegenseitige Abhängigkeit, indem man eine Beziehung zu anderen wie eine Ware kauft.“ (12)
Ein immer wiederkehrendes Merkmal in der Bildwerbung für Premiumimmobilien ist die Inszenierung des Blickes von innen nach außen. Die Perspektive der Betrachter wird vom Haus oder von der Wohnung auf die Stadt gelenkt und dies in der Regel von oben herab. Die Wohnung wird zum individuellen Belvedere. Die Eigentümer oder Mieter baden regelrecht im visuellen Meer der Stadt. Dies gilt erst Recht für ‚Terrassen’- und ‚Tower’- Projekte in zentraler Lage, die mit der ‚Phantastischen Aussicht’ oder dem ‚umfassenden 360 Grad-Blick’ werben können. „Eigentumswohnungen auf höchstem Niveau“ bietet zum Beispiel ‚Upper Spreegold’: „Hier schweift der Blick von der glitzernden Spree über die Berliner Skyline. Auch ‚Onyx’ schafft „ Atemberaubende Fernblicke über die Frankfurter Skyline“ (13).
Ein ikonografisches Kennzeichen der Immobilienpanoramen ist die bruchlose Integration des Stadtbildes in die Atmosphäre der Wohnung. Das geht bei der Werbung für das ‚Onyx’-Projekt in Frankfurt so weit, dass sich die umgebende Stadt – perspektivisch unmöglich – in der Glasbrüstung der Wohnterrasse widerspiegelt und beide Sphären miteinander regelrecht verschmelzen. Bei ‚Upper Spreegold’ wird in gleicher Absicht ein Hochhaus im Bildmittelgrund grafisch geschickt auf der Terrasse in Gestalt turmförmiger Pflanzsäulen zitiert.
Die visuellen Bildstrategien rufen Raumkompositionen der deutschen Romantiker auf, allen voran Caspar David Friedrich. Dessen ‚Wanderer über dem Nebelmeer’ (1818) wirkt wie ein Prototyp für die Bildkommunikation mit den Premium-Zielpersonen des 21. Jahrhunderts. Es sind Singles, um die 40 Jahre alt, gekleidet im Businesslook. Vorgeführt werden bevorzugt Frauen. Sie stehen in der Bildmitte. Wir sehen sie von hinten, manchmal von der Seite. Das Licht ist entweder von einer geradezu übernatürlich reinen Helligkeit erfüllt, oder verströmt den warmen Ton eines mediterranen Sonnenuntergangs. Die Position der Figuren verspricht einen uneingeschränkten Überblick und vermittelt eine entspannte Souveränität im Umgang mit der Außenwelt der Stadt.
3. Das Stadtschöne: Das Leben der Anderen.
Stadt wird auf diese Weise aus der Distanz wahrgenommen, fernab vom Alltag. Die Werbeprosa versetzt die zukünftigen Bewohner jedoch mitten ins Zentrum des Geschehens und offeriert das jederzeit mögliche Bad in der Menge, die spontane Teilhabe an der Lebendigkeit und Vielfalt des Quartiers und schwärmt von dessen Einzigartigkeit. Gerne wird vom Reiz urbaner Atmosphäre sowie von der Gegend als ‚fein’ gesprochen. In all das kann man sich einkaufen. Stadt erscheint als ein Ort, der alle gesellschaftlichen, ökonomischen, kulturellen und politischen Widersprüche überwunden hat und der in einen Zustand des ästhetischen und leiblichen Genießens eingetreten ist. Je deutlicher dieses Bild der Stadt vor Augen geführt wird, desto grotesker wirkt der Gegensatz zu den zerrissenen Raum- und Zeitstrukturen, die mit dem Internet zum prägenden Bestandteil der Alltagswelt geworden sind und dem Chaos an visuellen Reizen, dem der Mensch damit ausgesetzt ist.
Premiumwohnen verspricht eine Auszeit aus der Komplexität und den Widersprüchen des Lebens in der Wissensgesellschaft. Die Wohnung, das Haus, der Garten und womöglich auch ein sich öffentlich gebender, real aber privater Straßen- und Platzraum, bilden eine komplementär aufgebaute Parallelwelt.
Die Ikonografie des Premiumwohnens weist deutliche Parallelen zur ästhetischen Naturerfahrung des 18. und 19. Jahrhunderts auf. Der Frankfurter Maler Anton Radl (1774-1852) nennt sein um 1830 entstandenes Bild ‚ Blick auf Frankfurt von Westen’. Doch zu sehen ist eine formatfüllende Baumgruppe, ein paar Spaziergänger und, fast zu übersehen, ein kleiner Streifen der Stadtansicht am rechten Bildrand mit einer im Vergleich zum fein gezeichneten Blattwerk groben Pinselführung (14).
Die Poetisierung der Natur ist die Voraussetzung ihrer Rezeption als Landschaft. Das ‚Naturschöne’ existiert nur im Auge des Künstlers und derjenigen, die sich dessen Perspektive zu eigen machen können. Für Bauern ist die Natur, was sie immer war: Existenzgrundlage und Stoff eines entbehrungsreichen ökonomischen Verwertungsprozesses. In der ‚zur Kunst veredelten Natur’ (Pückler Muskau) des Englischen Gartens verwandelt sich der Bauer zum Gärtner und seine Aufgabe ist die eines Dienstleisters für die Arbeit am gebauten Bild. Die Romantik schafft mit den imaginären Räumen freier Natur einen eigenen Bilderkosmos jenseits der mit Macht aufbrechenden Industriekultur. Das Bedürfnis des Menschen im Mechanischen Zeitalter nach einem komplementären Raum zur technisch-merkantilen Kultur der Stadt wird in der Malerei von weit abgelegenen Natursphären der Kreidefelsen, des Nebelmeeres, der Alpen, Arkadiens, oder der von Geistern und Fabelwesen belebten Wäldern befriedigt (15).
In den Bildräumen der Premiumanbieter wird Wohnen zu einer romantischen Affäre mit der Stadt. Sie poetisieren die Stadt. Doch auch um das ‚Stadtschöne’ genießen zu können, ist – wie im Fall der Landschaft – Distanz geboten. Die Premiumkonzepte werden daher von einem großen Versprechen beflügelt: Alle Vorteile der urbanen Existenz können mit allen Vorteilen des suburbanen Lebensstils verknüpft werden. Man kann innen und außen zugleich sein, oder dabei sein, ohne dazu zu gehören. Die Kunst der Projektdesigner besteht darin, die Dialektik von Nähe und Ferne, Integration und Separation, baulich und gestalterisch in eine gefällige Form zu bringen. Was dabei herauskommt ist die narrative Architektur des gentrifizierten Raumes. Ihr Kennzeichen ist die Transformation der privilegierten Wohnkultur Suburbias in die Mitte der Stadt.
Eine ganze Reihe typologischer Eigenarten des Premiumwohnungsbaus lassen sich anhand der bereits skizzierten Projekte identifizieren:
1. Häuser tragen Namen. Das soll ihre ‚Unique Selling Proposition’ (USP), ihr Alleinstellungsmerkmal, verdeutlichen. Sie werden als Solitäre markiert und negieren die lokale Straßen- und Hausnummernbezeichnung. Sie docken symbolisch an Bezugssysteme an, die keine, oder nur eine geringe Ortsidentität aufweisen.
2. Erdgeschosse sind kontextblind. Gerade auch in zentraler Lage zieht sich das Haus auf sich selbst zurück. Ein funktionaler Austausch mit dem öffentlichen Raum findet nicht statt. Entweder befinden sich Nebenräume oder bereits ein Garagengeschoss auf dem Fußgängerniveau der Stadt, oder das Gebäude wird mit Hilfe von Vorgartengrün räumlich separiert.
3. Wohnen ist Alleinzweck. Der Bau reiner Wohnanlagen mitten in der Stadt reproduziert die Baukultur des Industriezeitalters. Wohnen wird weiterhin als Funktion isoliert und räumlich insbesondere von Arbeiten getrennt.
4. Wohntürme sind Autisten. Sie maximieren die private Wohnfläche und minimieren die Schnittfläche mit dem öffentlichen Raum. Der Bürgersteig wird vom Fahrstuhl ersetzt. Serviceeinrichtungen sind nur intern zugänglich. Ein ‚vertikaler Kiez’ ist ein Widerspruch in sich.
5. Großstrukturen sind unflexibel. Eine Premium-Großsiedlung kommt ins Quartier. Wohnzellen im Luxusformat werden in maximaler Zahl zu einem geschlossenen Ensemble addiert. Je nach Lage, simuliert die Architektur parzellenartige Differenzierungen.
6. Mobilität ist autogerecht. Zu jeder Wohnung gehört mindestens ein Garagenplatz. Auch beheizt und in Übergröße. Der Zugang zur Wohnung ist von der Garage aus am bequemsten. Das Auto fungiert als Fluchtfahrzeug aus der urbanen Mitte.
7. Die Lage ist unter Kontrolle. Soziale Kontrolle findet nicht statt. Dieses städtische Merkmal wird an Sicherheitsdienste und technische Überwachungssysteme ausgelagert. Die Betonung der Sicherheit ist ein Reflex auf Urbanität und die offensichtlich damit verbundenen Ängste.
Die Gentrifizierung der Mitte führt in schnellen Schritten zur ihrer Suburbanisierung. Premiumwohnanlagen werden mit einem Ein-Aus-Schalter für urbanes Leben vermarktet: Vor der Außenwelt klimatisch und städtebaulich hervorragend isolierte Wohnkapseln landen in immer schnellerem Rhythmus wie Raumschiffe auf dem fremden Planten Stadt. Urban sind dort immer die Anderen. Premiumwohnen ist ein blinder Fleck auf der urbanen Stadtkarte. Die ‚Gold Grund’-Industrie bietet Stadt zum Verbrauch an. In deren Zentrum droht sich das Dilemma der Suburbanisierung zu wiederholen. Auf den Konsum der Landschaft folgt nun der Konsum der Stadt. Wenn dieser Prozess nicht gestoppt wird, wird am Ende die lebendige Mitte ein Stadium der Verwüstung erreichen, das im amerikanischen mit dem Begriff ‚Sprawl’ hinreichend charakterisiert wird.
Eine nachhaltige Entwicklung der Renaissance der Stadt ist nur möglich, wenn Urbanität als eine ‚regenerative Energie’ behandelt wird. In der Stadt bauen kann nur bedeuten, ein neues Stück Stadt zu bauen. Gebraucht werden neben zielgerichteten gesellschaftlichen, politischen und planungsrechtlichen Weichenstellungen neue urbane Typologien des Wohnens und Bauens – nicht zuletzt für den Einsatz im Markt der Immobilienwirtschaft. Die Industrie bedient die Wohnwünsche eines in der Regel in Suburbia sozialisierten Klientels. Die alltägliche Praxis spricht für die Annahme, dass mit den dazu passenden Methoden und Produktlinien so lange gearbeitet wird, wie dies der Markt und die Gesellschaft zulassen. Projektentwickler und Investoren treffen dabei auf finanzschwache oder renditefixierte Städte, öffentliche und private Institutionen, zum Beispiel Post, Bahn, Krankenhäuser, Kirchen und Versicherungen, die bereit sind, Grundstücke, denkmalwerte Bauten, Gebäudeensembles, Verwaltungsgebäude oder auch Grünflächen zur Umwandlung in Premiumanlagen zu verkaufen. Große Raumeinheiten, die zuvor öffentlich zugänglich waren und/oder dem Betrieb der Stadt als Ganzes dienten, werden zu ‚Trutzburgen des Wohlstands’ (16).
Die Gentrifizierungsdebatte muss von einem Diskurs zur Urbanität der Planungs- und Baukultur begleitet werden. Grundlegend wird dabei die Abkehr von der funktionalen Determinierung der Raumproduktion sein. Im Fokus steht dabei die neue Rolle der Straße als analoges Pendant zu den digitalen sozialen Netzwerken. Die Straße des 21. Jahrhunderts integriert die städtische Komplexität und Widersprüchlichkeit. Eine urbane Typologie des Wohnens muss von der Straße aus entwickelt werden und die wieder nachgefragte Mischung der Funktionen muss mit Hilfe des Mediums Straße organisiert werden (17). Die mehr als 100 Jahre alte Formel Louis Sullivans ‚Form follows Function’, hat im Digitalen Zeitalter endgültig ausgedient. Heute macht die Umkehrformel Sinn: Funktionen sind flexibel gestaltbar und können der Form folgen. Das gilt für den Raum der Straße als ‚Shared Space’ und in jeder Hinsicht für die mittlerweile ausdifferenzierten Ausprägungen des Wohnens. Die ursprüngliche Behauptung hat dazu beigetragen, Stadt aufzulösen, sich von ihrer Geschichte zu verabschieden und damit zu zerstören. Wenn die Funktion der Form folgen kann, hat Stadt langfristig wieder eine Zukunft – am besten für alle (18).
Professor Wolfgang Christ lehrte von 1994 bis 2013 Entwerfen und Städtebau in Weimar und ist Gründer und Beiratsvorsitzender des Urban-Index-Instituts in Darmstadt.
Quellen
1 Gold Grund Immobilien Organisation: Wir können nur spekulieren – Moop Mama featured by Die Große Goldgrund Stadtrundfahrt. Zugriff: http://www.youtube.com/watch?annotation_id=channel%3A5266a0fe-0-2167-99dd-1a11c2d408&feature=iv&src_vid=tBk2HdyuzB0&v=XTYqmrHbSy4
3 K. Erik Franzen, 09.05.2012: Bleibt ja weg, ihr Yuppies, Frankfurter Rundschau. Zugriff: http://www.fr-online.de/kultur/gentrifizierung-in-muenchen-bleibt-ja-weg–ihr-yuppies,1472786,15202902.html
4 Richard Florida, 2013: Comback City, Devided City, Urban Land, 3.2013, S. 105-111, in: Christ, Wolfgang, 2014: Konsumkultur und Raumstruktur. Aktuelle Entwicklungen in den USA und Großbritannien, in: Informationen zur Raumentwicklung, Stuttgart, Heft 1.2014, S. 72
5 K. Erik Franzen, 09.05.2012: Bleibt ja weg, ihr Yuppies, a.o.a.O
6 Katja Riedel, 23.01.2014: Betongold in bester Lage, Süddeutsche Zeitung. Zugriff: sueddeutsche.de/muenchen/teure-ferien-in-muenchen-betongold-in-bester-lage-1.1869273
7 Christ, Wolfgang , 2007: Stadtcenter – Wider die Renaissance von Suburbia in der Mitte der Stadt, in: Christ, Wolfgang (Hrsg ): Shoppin_Center_Dresden. Urbane Konzepte für Stadt & Handel; Weimar, S. 115-117. Und: Anke Pipke, 04.09.2014: Luxuswohnen à la Porsche, Immobilienzeitung. Zugriff: http://www.immobilien-zeitung.de/127969/luxuswohnen-a-la-porsche
8 Jeremy Rifkin, 2000: ACCESS, DAS VERSCHWINDEN DES EIGENTUMS, Frankfurt/Main
9 Jeremy Rifkin, a.o.a.O, Seite 157
10 FRANKONIA Eurobau AG, Nettetal, heinrich-heine-gaerten.de.
11 FRANKONIA, Eurobau AG, Nettetal, www.heinrich-heine-gaerten.de. Zugriff: http://heinrich-heine-gaerten.de/de/kaufen/
12 Jeremy Rifkin, a.o.a.O, Seite 163
13 ASP Zweite Alt-Stralauer Projektentwicklungsgesellschaft mbH & Co. KG, Berlin, Zugriff: http://www.upper-spreegold.de/solitaer-2.php. KSW Verwaltungs GmbH & Co. Wohnbau KG, Frankfurt am Main, Zugriff: http://www.onyx-westend.de/
14 HAUS GIERSCH, Museum regionaler Kunst, Frankfurt am Main,
15 Christ, Wolfgang, 2009: Das Imaginäre als Instrument der Stadt- und Regionalplanung. In: Christ, Wolfgang (Hrsg): Access for All, Zugänge zur gebauten Umwelt, Berlin, S.107-108
16 Katja Riedel, 14.03.2011: Trutzburgen des Wohlstands, Süddeutsche Zeitung. Zugriff: http://www.sueddeutsche.de/muenchen/muenchen/luxuswohnungen-in-muenchen-trutzburgen-des-wohlstands-1.1002614
17 Zugriff: http://re-street.com/declaration/
18 Christ, Wolfgang, 2014: Konsumkultur und Raumstruktur. Aktuelle Entwicklungen in den USA und Großbritannien, in: Informationen zur Raumentwicklung, Stuttgart, Heft 1.2014, S. 73-75. Vorbildliche ‚Re Code’ Entwicklungen lassen sich in den USA beobachten. Zugriff: http://recode.la/zoning-code-evaluation-report
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Hat da jemand absichtlich die Bilder zu den Außenräumen vertauscht, oder sind wir Architekten so blind?
Als Teil seiner Kritik an Luxus-Wohnanlagen veröffentlicht Professor Christ eine Illustration des „Loreley-Graben“ im Inneren des Wohnkomplexes der Heinrich-Heine-Gärten in Düsseldorf, auf dem wir einen begrünten und mehrfach gegliederten Außenraum sehen als Abfolge (von der Mitte aus) von Wasserspiel, befestigter Spazierweg, Grasstreifen, Gebüsch, Straße (nicht zu sehen aber vorhanden nach der Webseite), und Hausfronten voller stehender Balkonordnungen. Beidseitig gerechnet sind das von Fassade bis Fassade 11 Gliederungsstufen des Außenraumes – eines Außenraumes, der als Raum auch aus der Spannung zwischen den ähnlichen, sich zugewandten Gebäuden entsteht. Einziger Kommentar von Prof. Christ: „Das Rendering suggeriert Sozialleben auf der Promenade. Diese aber liegt im Inneren des Komplexes … und ist nicht für die Allgemenheit vorgesehen.“ Nun, das ist die Teichanlage im Zentrum von Taut’s Hufeisensiedung noch mehr – und war bisher kein Anlaß, diese Anlage
zu verdammen.
Dagegen das angeblich positive Beispiel von Außenraum, ein paar Seiten weiter von Prof. Burgard im Artikel „Wiener Mut“ veröffentlicht: ein Foto, indem eine fast leere, ungegliederte grüne Rasenfläche gezeigt wird zwischen Klaus Kadas „aufregend gestalteten[n], blutrote[n] Türme[n]“ und dem hellen „Fassadenkontinuum der Wohnbauten“ anderer Architekten. So „entstehen“, gemäß Prof. Burgard, „markante Außenräume“. Also positiv? Kadas tatsächlich aufregende Bauten sind aus der gezeigten Distanz zoomorphe Körper, sie sitzen AUF der Fläche. Der enge Außenraum ist Restfläche, ist anscheinend freigehalten als notwendiger Präsentierteller für den blutroten riesigen Körper. Keine sinnvolle Gliederung des Außenraumes, keine Pufferzonen, kein Einbinden des Außenraumes durch sich darauf beziehende Architektur ist erkennbar. Leere für das Kunstwerk.
Sind wir denn so blind, dass wir die Dinge, die wir kritisieren bzw. schätzen nicht loslösen können von den Qualitäten bzw. Unwirtlichkeiten der Außenräume, die diese erzeugen? Können wir auch Jahrzehnte nach der Kritik an der Unwirtlichkeit unserer Städte mit der Moderne als Instrument immer noch keine angenehmen Stadträume schaffen? Und wie können wir z.B. ein „vielfältig gegliedert[es]“ Inneres bei einem Projekt „Wohnen am Park“ (auf Seite 23) preisen, aber gleichzeitig nicht kritisieren, dass, wie das Foto dazu zeigt, der Stadtraum zur Wüste gemacht wird?
Sind wir Architekten so sehr auf die Gebäude als unsere Aufgabe fixiert, dass uns das Umfeld so egal ist? In anderen Worten: sind wir so fixiert auf eine elegante Operation, dass wir diese preisen, auch wenn uns die Menschen (bzw. ihr Lebensraum) dabei verrecken?