Text: Roland Stimpel
Chinesen sind kinderlieb. Wie sie den Charakter der Kleinen mögen, dokumentierte Konfuzius schon vor 2.500 Jahren: „Ein wahrhaft großer Mensch verliert nie die Einfachheit eines Kindes.“ Und heute ist besonders wichtig, zumal es lange Zeit faktisch verboten war, dass Frauen mehr als eins bekamen.
Umso schlimmer, wenn ein Kind ernsthaft erkrankt. Dann ist kein Aufwand zur Heilung zu groß. Was zahlungskräftige Chinesen sich inzwischen leisten, zeigt ein deutsches Architekturprojekt in Shanghai: Hier plant das Frankfurter Büro KSP Jürgen Engel Architekten International eine Kinderklinik, von deren räumlicher Opulenz kleine Kranke, ihre Eltern und Ärzte in Deutschland nur träumen können.
Unmittelbarer Auftraggeber des deutschen Büros ist kein Krankenhausträger, sondern der weltgrößte Projektentwicklungs-Konzern Vanke, der nach eigenen Angaben in über 50 Städten zugleich agiert und pro Jahr Immobilien für umgerechnet rund 20 Milliarden Euro vermarktet. Die „Shanghai New Hongqiao International Medical City“ erscheint ihr als guter Standort für ein Kinderklinik-Projekt. KSP Jürgen Engel hat Erfahrungen mit China und mit Krankenhäusern und wurde daher von Vanke gefragt, wie KSP-Geschäftsführer und -Partner Johannes Reinsch berichtet: „Sie sagten uns eine ungefähre Größe für das gewünschte Krankenhaus. Alles Weitere sollten wir bitte erarbeiten.“
Ärzte vor Familien schützen
Das taten Reinsch und Kollegen mit Hilfe der vertrauten DIN 13080, die die Gliederung von Krankenhäusern in Deutschland regelt, aber auch in Gesprächen mit chinesischen Ärzten und Schwestern. Die haben ihre eigenen Prioritäten: zum Beispiel Wege für das Personal, die von denen für Patienten deutlich getrennt sind. Ansonsten kommt der Mensch im weißen Kittel kaum zum Ziel: „Man muss die Ärzte davor schützen, dass ihnen immer wieder eine ganze Familie im Weg steht.“
Meist sind in China auch Krankenhäuser Massenbetriebe. „2.000 Betten in einem Haus sind da gar nichts“, weiß Reinsch. Die Shanghaier Kinderklinik soll nur 100 Betten bekommen. Und sie soll ihren individuelleren Charakter schon draußen signalisieren. Bunte Lamellen und Vorhänge stehen für kindliche Heiterkeit. „Es sollte aber auch spielerisch aussehen, so dass das Gebäude nicht als hermetische Kiste wirkt.“ Aber da wir in China sind, hat das Bunte auch symbolische Bedeutung. „Gelb, Orange und Rot sind die traditionellen Kaiserfaben.“ Orange erinnert auch an buddhistische Mönchskutten und die wiederum ans ewige Leben.
Wer dann in die Lobby tritt, soll Großzügigkeit spüren: „Da kommt für hiesige Verhältnisse viel Licht und Luft hinein. Das zeigt gleich, dass dies keine Medizinfabrik ist.“ Es gibt weitere Eingänge, die etwas über das gehobene Segment von Chinas Gesundheitssystem erzählen. Die Notaufnahme dient nicht nur Notfällen, sondern hier können auch VIP-Kinder und ihre Betreuer dezent-exklusiv ins Haus kommen. Für ein 100-Patienten-Haus gibt es die stattliche Zahl von 132 Stellplätzen, natürlich getrennt für das Personal und die Besucher und mit separaten Zugängen ins Haus. Schließlich gibt es noch einen Seiteneingang für ausländische Schulkinder, für die regelmäßige Gesundheitskontrollen in China Pflicht sind.
Nahe am Eingang findet sich die Kasse – „auch ganz wichtig“, sagt Reinsch Links und rechts des Eingangs liegen die Behandlungstrakte – im Erdgeschoss für Untersuchungen und Ambulantes, darüber vier Operationssäle. Eine Zwischenetage beherbergt die Personalräume. Von hier kommt man auch auf die Dächer der unteren Trakte. Reinsch wollte sie den Kindern zugänglich machen – aber hier ist das Reich der Klinik-Beschäftigten. „Immerhin gibt es auf der Etage auch eine Lounge für Gäste. Die haben wir da noch reingemogelt.“
Quer über allem schwebt der Bettentrakt – ein Konzept, das KSP Jürgen Engel zuerst in seiner Chirurgie-Klinik in Ulm realisiert hat, die 2013 einen Preis als „Herausragender Gesundheitsbau“ erhielt. In Shanghai finden sich dort oben 100 Einzelzimmer. Dort werden die Kinder aber selten allein sein. „Da kommen oft alle vier Großeltern und beide Eltern mit.“ Für die Angehörigen gibt es einen Tisch mit Stühlen und eine Auszieh-Couch, die nachts in ein Bett für Angehörige verwandelt wird. „Das ist mehr Wohnzimmer als Patientenraum“, meint Reinsch.
Planen wie die Kaulquappe?
„Auch bei Farben und Materialien haben wir darauf geachtet.“ So ein Zimmer ist stattliche 24 Quadratmeter groß, plus fünf fürs Bad. „Darin muss die Dusche extra groß sein, so dass Mutter oder Vater dem Kind beim Waschen helfen kann.“ Die deutschen Architekten planten zunächst Glaswände zwischen Zimmer und Flur, damit das Personal gucken kann. Doch jetzt gibt es Sichtschutz. „Man geht davon aus, dass auf den Zimmern immer noch jemand ist.“ Und beim Familienleben im Krankenhaus ist eher Diskretion als Transparenz gefragt.
Inzwischen ist die Vorplanung abgeschlossen; im kommenden Jahr soll der Bau des 30.000-Quadratmeter-Komplexes beginnen. Reinsch hofft, dass sein Büro an der Ausführung nicht so beteiligt wird, wie es oft in China vorkomme – nämlich „ein bisschen wie eine Kaulquappe. Am Anfang ist man sehr breit engagiert, dann wird es immer dünner.“ Man braucht auf jeden Fall ein chinesisches Partnerbüro. „Wir haben eines vorgeschlagen, das wir sehr lange kennen, und es früh eingebunden.“ Da ist Vertrauen gefragt: „Der Partner kann einen auch komplett aushebeln, wenn er es darauf anlegt. Man muss darum anstreben, dass er es von Anfang an als gemeinsames Projekt sieht und möglichst von uns etwas lernen will.“
Und als Deutscher müsse man sich mit einem etwas anderen Niveau arrangieren: „Eine Ausführungsplanung nach deutschem Standard? Ich wüsste nicht, wer das hier bezahlen sollte.“ Aber die eigene Arbeit müsse hochwertig bleiben: „Wir selbst operieren in jedem Fall auf deutschem Qualitätsniveau.“ Auch diese Haltung könnte von Konfuzius sein, denn der Meister riet einst: „Fordere viel von dir selbst, und erwarte wenig von anderen. So wird dir viel Ärger erspart bleiben.“
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