Thesen: Karl-Heinz Imhäuser und Barbara Pampe, Montag Stiftungen, Bonn
These 1: Lernen benötigt viele und unterschiedliche Perspektiven, Zugänge und Ergebnisse.
Wissen ist heute zu jeder Zeit von jedem Ort der Welt mit einem Klick abrufbar. Der Schlüsselbegriff für die zukünftige Schule heißt deshalb – vereinfacht gesagt – nicht Wissen, sondern Können: Zeitgleich mit dem Erwerb elementarer Kenntnisse gilt es, Kompetenzen zum Umgang mit Wissen zu erwerben. Dabei ist es wichtig, durch unterschiedliche aktive Zugänge zum Lernen eine Vielfalt an Lernwegen und eine Vielzahl an Lernhandlungen zu ermöglichen.
Setzt man unterschiedliche Lernsituationen voraus, verliert das traditionelle Klassenzimmer als Instruktionsraum seine zentrale Funktion. Je nach Lernszenario gilt es, eine Wahlmöglichkeit zwischen unterschiedlichen Raumsituationen zu haben. Monofunktionale Nutzungszuweisungen werden vermieden, Mehrfachnutzbarkeit wird ermöglicht, offenere Grundrisse gewinnen an Bedeutung.
These 2: Gelernt wird allein, zu zweit, in der Kleingruppe, mit dem ganzen Jahrgang, Jahrgangsübergreifend und auch im Klassenverband.
Jedes Kind ist und lernt verschieden – gleichzeitig kann kein Kind alleine lernen. Es müssen in der Schule sowohl individuelle Lernerfahrungen als auch Erfahrungen in Teamarbeit von der Klein- bis zur Großgruppe gemacht und reflektiert werden können. Die soziale Organisation der Arbeitsformen muss sich systematisch variieren lassen.
Wenn Lernformen variiert werden und Räume für Differenzierung und Ganztag zu ergänzen sind, summiert sich der Flächenbedarf auf etwa vier bis fünf Quadratmeter Nutzfläche pro Schüler/in. Mit der intelligenten Integration bisheriger Erschließungsbereiche in Lernlandschaften können hierfür erhebliche Kapazitäten erschlossen werden. Dabei ist die Frage der räumlichen Organisation abhängig von der Durchlässigkeit und Transparenz zwischen den Räumen.
These 3: Ganztagsschule heißt lernen, bewegen, spielen, toben, verweilen, reden, essen und vieles mehr – in einem gesunden Rhythmus.
Veränderte gesellschaftliche Anforderungen wie auch die neuen Lehr- und Lernkonzepte erfordern die Umwandlung der Halbtagsschule in eine Ganztagsschule. Der Ganztag trägt entscheidend dazu bei, differenzierte Lernsituationen zu organisieren, um eine bestmögliche Förderung aller Lernenden zu ermöglichen.
Aktivitätsorientierte Raumkonzepte gehen angesichts hoch differenzierter Nutzungszyklen für ganztägiges Lernen von vielfältigen Mehrfachbelegungen aus. Zur Annäherung an die Bedarfe der künftigen Schulen sind genaue Aktivitätsstudien erforderlich, die nur fallspezifisch im Dialog definiert werden können.
These 4: Schulbuch und Kreidetafel werden ergänzt durch Tablet-PC, Smartboard und andere Neue Medien.
Die Ausstattung einer Schule mit moderner Informationstechnologie ermöglicht neue Lernszenarien. Eine gute technische Infrastruktur bildet nicht nur im Büro, sondern auch im Schulbau die Maßgabe. Mit der Medialisierung wird eine hohe Anpassbarkeit an unterschiedliche Arbeitssituationen ermöglicht.
These 5: Förderung in einer inklusiven Schule geschieht in heterogenen Gruppen.
Schule soll Benachteiligungen von jungen Menschen ausgleichen – wodurch auch immer sie begründet sein mögen. Die Ratifizierung der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderungen durch die Bundesregierung setzt klare Maßstäbe. Danach hat jedes Kind das Recht auf gemeinsamen Unterricht.
Räumlich lassen sich zwei Ebenen darstellen. Die harte Frage der Barrierefreiheit lässt sich an konkreten Anforderungen wie Erschließung, Bewegungsflächen, Öffnungsmaße, Bedienelemente etc. festmachen. Dazu gibt es auch weiche Kriterien für die Unterstützung heterogener Gruppen. Die Forderungen nach Öffnung und Differenzierung erhalten hier nochmals eine Begründung, da sich in der inklusiven Schule das Spektrum der Lernformen deutlich erweitert.
These 6: Kulturelles und ästhetisches Lernen muss durch Pädagogik und Architektur vermittelt werden.
Lernen wird in der Lehr- und Lernforschung heute nicht mehr als eindimensional sprachlich-logisches oder mathematisch-operatives Lernen betrachtet, sondern schließt gleichberechtigt die Erweiterungen in Richtung musikalisches, kinästhetisches, emotionales und räumlich-gestalterisches Lernen mit ein.
Das Gebäude macht Raum in all seinen Dimensionen unmittelbar erfahrbar. Materialität, Licht, Farbigkeit, Proportion, Fügung, Detail und vieles andere mehr sind direkter Teil einer Alltagserfahrung, in der die ästhetische und baukulturelle Bildung eine zunehmende Bedeutung erfährt.
These 7: Lernen in Gesundheit und Bewegung findet in anregender und weiträumiger Umgebung statt.
Gute, gesunde Schulen integrieren Bewegung, Spiel und Sport als Grundprinzip von Leben und Lernen in ihren Schulalltag und bieten vielfältige Bewegungs- und Entspannungsangebote.
Motivation und Kognition, Gesundheit und Wohlbefinden sind unmittelbar abhängig von bauphysikalischen Qualitäten, die im Rahmen von integralen Planungskonzepten gelöst werden müssen. Zudem können beispielsweise angemessene Lehrerarbeitsplätze dazu beitragen, entlastende Arbeitsformen zu etablieren.
These 8: Demokratisches Lernen benötigt eine demokratische Schule.
Demokratie „im Großen“ beruht auf Gewaltenteilung, politischer Gleichheit und der uneingeschränkten Achtung der Würde aller Menschen. Demokratisches Handeln von Einzelnen im Kleinen ist notwendig, um miteinander in gelingender Kommunikation und Konfliktlösung zu leben.
Kommunikation steht im Mittelpunkt der aktuellen pädagogischen Debatte um beständig wechselnde Lernformate. Entsprechende Rahmenbedingungen für die Ausbildung kommunikativer Orte zu schaffen, ist eine zentrale Anforderung für den Schulbau.
These 9: Schule ist im Umgang mit Umwelt und Technik ein Vorbild.
Die Nachhaltigkeitsdiskussion ist auf breiter Ebene in der Schuldiskussion angekommen und bewegt sich zwischen den drei Themenfeldern soziale, ökonomische und ökologische Nachhaltigkeit.
Maßnahmen zur ökologischen Sanierung im Schulbau erfolgen oft aus rein energetischer Sicht ohne Berücksichtigung pädagogischer Belange. Gerade in einer Verschränkung von technischer Sanierung, pädagogisch-organisatorischer Reorganisation und gestalterischer Erneuerung liegen aber zentrale Entwicklungschancen für zukunftsfähige Schulen.
These 10: Die Schule öffnet sich zur Stadt – die Stadt öffnet sich zur Schule.
Mit dem Übergang zur kompetenzorientierten Schule, die ganztägig betrieben wird, muss eine Öffnung von innen nach außen und von außen nach innen vonstattengehen. Die Verbindung mit dem Umfeld und dem Quartier ist nicht nur für die Schule, sondern auch für die Stadt von grundlegender Bedeutung.
Es sind zwei Tendenzen ablesbar: Beim Konzentrationsmodell ist die Schule gemeinsam mit anderen Einrichtungen in einem Gebäude untergebracht; beim Dispersionsmodell steht die Vernetzung unterschiedlicher, oft schon bestehender Bausteine zu einer Bildungslandschaft im Mittelpunkt. In beiden Fällen müssen berechtigte Interessen der Bildungseinrichtungen sowie des Quartiers miteinander abgestimmt werden.
Die Thesen stammen aus dem von den Montag Stiftungen herausgebenen Buch „Schulen planen und bauen“, erschienen bei Jovis zum Preis von Euro 34,80. Anknüpfend an diesen Sammelband erschienen im vergangenen Jahr die praxisorientierten „Leitlinien für leistungsfähige Schulbauten in Deutschland“, erhältlich über die Stiftung.
Informationen unter: www.montag-stiftungen.de