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Prora oder: Die Unschuldsvermutung in der Architektur

Auf der Insel Rügen entsteht aus den Hinterlassenschaften des nie vollendeten KdF-Seebads Prora eine moderne Anlage mit Hotels, Ferienapartments und Eigentumswohnungen. Das glückliche Ende einer bewältigten Geschichte?

29.06.20159 Min. 1 Kommentar schreiben

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Text: Cornelia Dörries

Verdrängung, so lehrt die Psychologie, ist die Abwehr tabuisierter und bedrohlicher Sachverhalte. Sie werden aus Schmerz oder Scham von der bewussten Wahrnehmung ausgeschlossen, doch melden sich in Gestalt von Ängsten, Albträumen und Neurosen immer wieder zurück. So ähnlich muss man sich den Nach-Wende-Umgang mit Prora auf Rügen vorstellen – einer von den Nazis geplanten, nie vollendeten Ferienanlage für 20.000 Urlauber, später einer der berüchtigtsten Armeestandorte der DDR. Der heute mehr als drei Kilometer lange Komplex lässt sich schon aufgrund seiner schieren Größe nicht ohne Weiteres verdrängen; seine scham- und schmerzensreiche Geschichte harrt noch der gründlichen Aufarbeitung. Nicht wenige, darunter Lokal- und Landespolitiker, hätten die verstörenden Hinterlassenschaften zweier Diktaturen auf der Urlaubsinsel am liebsten vollständig abgerissen, während Denkmalschützer und Historiker für den Erhalt plädierten, doch praktikable Ideen für eine bezahlbare Sanierung und Nutzung des kilometerlangen Gebäudekomplexes schuldig blieben.

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KdF-Komfort: So hätte die Einrichtung der 10.000 Gästezimmer ausgesehen, wenn die Ferienanlage jemals fertiggestellt worden wäre: schlicht, funktional, zweckmäßig.

Nach glücklosen Versuchen, die Anlage als Ganzes zu veräußern, entschied sich der Bund als Eigentümer dann, die Immobilie zu filetieren und in Einzelteilen an private Investoren zu verkaufen. So vergingen zwei Jahrzehnte, in denen sich niemand wirklich ernsthaft mit der Frage auseinandersetzen musste, wie man diesem Ort im Hinblick auf Architektur und Nutzung gerecht werden kann. Auch wenn dessen (bislang bekannte) Geschichte vielleicht keine Umwandlung zur reinen Gedenkstätte rechtfertigen mag – die unzureichend aufgearbeitete Vergangenheit zweier Diktaturen bricht trotzdem immer wieder auf. Diese Vergangenheit beginnt im Jahr 1936, als an der Prorer Wiek auf der Ostseite der Insel der Grundstein für eine riesige Ferienanlage der NS-Freizeitorganisation „Kraft durch Freude“ (KdF) gelegt wird. Hier soll direkt hinter den Ostseedünen ein reiner Urlaubsort für die arbeitenden „Volksgenossen“ entstehen: eine Massenunterkunft mit integrierten Versorgungs-, Sport- und Freizeiteinrichtungen, einem zentralen Festplatz mit einer 20.000 Menschen fassenden Halle sowie einer Kaianlage. Am Planungswettbewerb nehmen 1936 elf Architekten teil, darunter Heinrich Tessenow, Emil Fahrenkamp und Konstanty Gutschow. Der siegreiche Entwurf des Kölner Architekten Clemens Klotz sieht eine Struktur vor, die viel mit den sachlich-modernen, strikt funktionalen Bandstadt-Planungen von Le Corbusier für Algier (1931) und von Ernst May für Magnitogorsk (1929) gemeinsam hat, und nur wenig mit den von den Nazis so geschätzten monumentalen Repräsentationsbauten.

Die von Klotz geplante Anlage besteht aus insgesamt acht sechsgeschossigen Bettenhäusern von jeweils gut 450 Metern Länge, die in zwei Abschnitten nördlich und südlich des zentralen Festplatzes mit sanftem Schwung dem Verlauf der Küstenlinie folgen. Dieses gleichförmige, flächige Band wird von markanten, dynamisch gerundeten „Gemeinschaftshäusern“ unterteilt, die Restaurants, Speisesäle und Freizeiteinrichtungen beherbergen. Die etwa zwölf Quadratmeter großen Urlauberzimmer, allesamt mit Seeblick, sind lediglich mit zwei Betten, einer Sitzecke sowie einem Waschtisch ausgestattet. Auf der Weltausstellung 1937 in Paris erhält Klotz‘ Entwurf den Grand Prix – für die erste architektonische Manifestation des modernen Massentourismus.

Bis zum kriegsbedingten Abbruch der Bauarbeiten im Jahr 1939 werden sieben von acht Blöcken fertiggestellt, ebenso die Wirtschaftsgebäude, das Schiffskai sowie Teile des Festplatzes im Rohbau. In die gesicherten, anschließend nur bedarfsweise ausgebauten Unterkünfte ziehen im Krieg Luftwaffenhelferinnen und ein Polizeibataillon ein, später dann ausgebombte Hamburger, Lazarettpatienten sowie Kriegsflüchtlinge.

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Rohbau, Kaserne, Ruine: Die Geschichte der Anlage soll mit dem Umbau doch noch zum Guten gewendet werden. Was fehlt, ist ein Konzept für den Umgang mit ihrer Vergangenheit.

Nach Kriegsende wird Prora zunächst von der sowjetischen Armee genutzt, die den südlichsten Bauabschnitt sprengt und auch zwei Blöcke im nördlichen Abschnitt weitgehend zerstört. Anfangs gibt es noch Diskussionen über den Ausbau der verbliebenen Bauten für eine Nutzung als Urlaubsobjekt – durchaus mit Verweis auf die bereits aufgewendeten Beitragszahlungen deutscher Arbeiter für dieses Projekt. Doch der gesamte, bald darauf zum Sperrgebiet erklärte Komplex wird ab 1949 von der gerade gegründeten DDR nur noch militärisch genutzt.

Die NVA kann die vorhandenen Strukturen ohne große Veränderungen für ihre Zwecke ausbauen. Die anonyme, rein funktionale Architektur der Bettenhäuser mit ihren schlichten Zimmern entlang endloser Flure taugt eben nicht nur zur effizienten Unterbringung von Tausenden Urlaubern, sondern auch von Soldaten. Neben den Kasernen richtet die NVA in dem weitläufigen, für die Zivilbevölkerung unzugänglichen Areal auch verschiedene militärische Ausbildungsstätten sowie ein Ferienheim mit Campingplatz und Badestrand für Armeeangehörige ein. Von 1982 an dient Prora außerdem als Standort der größten Kompanie sogenannter Bausoldaten – Regimegegner und Kriegsdienstverweigerer, die in der DDR den Dienst an der Waffe ablehnen und in Prora für die Errichtung des Ostseefährhafens im benachbarten Mukran herangezogen werden. Prora gilt aufgrund der schikanösen Arbeits- und Lebensbedingungen sowie der offenen Willkür der Offiziere als berüchtigtste NVA-Adresse des Landes.

Nach der Wende 1989 übernimmt die Bundeswehr den Standort und übergibt ihn 1992 nach Abwicklung sämtlicher militärischen Funktionen dem Bund. Der weiß damit nichts anzufangen und überlässt die Liegenschaft zunächst sich selbst.

Ein Ort mit zwei Vergangenheiten

Heute wäre sie, da ist sich der Berliner Bauhistoriker Wolfgang Schäche sicher, längst abgerissen, hätte er sich damals nicht zusammen mit dem von der Ostsee stammenden Architekten Haardt-Waltherr Hämer sowie dem Stadtplaner und späteren BBR-Präsidenten Florian Mausbach erfolgreich dafür eingesetzt, Prora unter Denkmalschutz zu stellen. Damit waren seit 1994 alle Abrisspläne zwar vom Tisch, doch es fehlte weiterhin an Ideen, Geld und beherzten Investoren. In den halbwegs nutzbaren Trakten siedelten sich über die Jahre zwar ein Hostel, alternative Kulturinitiativen, kleine Galerien und ein Café an, doch die notdürftig gesicherte Liegenschaft verwahrloste und verfiel zusehends. Im Jahr 2000 eröffnete in Block 3 am oberen Ende des südlichen Gebäuderiegels das Dokumentationszentrum Prora, in dem bis heute über die NS-Geschichte des Ortes informiert wird.

Von 2004 an veräußerte der Bund die einzelnen Blöcke der Anlage. Block 5 im nördlichen Teil ging 2006 an den Landkreis Rügen, der das Gebäude mit Fördergeldern zur größten Jugendherberge Mecklenburg-Vorpommerns ausbaute.

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Heute, gestern, vorgestern: Die 2011 eröffnete Jugendherberge grenzt direkt an noch unsanierte Abschnitte der Anlage, in denen die Spuren der NVA erhalten sind. Es ist bislang nicht klar, wie man dem Gedenken an diese Ära gerecht werden kann.

Bei den veräußerten Blöcken 1, 2, 3 und 4 dauerte es nach etlichen, spekulativ motivierten Weiterverkäufen etwas länger, bis die ersten Bauschilder an den Gerüsten hingen. Wer heute nach Prora kommt, findet dort ein irritierendes Neben- und Übereinander von zwei düsteren Vergangenheiten, einer baustellenrührigen Gegenwart und einer sonnigen Zukunft – Letztere wird derzeit aber hauptsächlich in Vermarktungsprospekten für Eigentumswohnungen, Ferienapartments und Spa-Einrichtungen beschworen. Während einige Teile des Gebäuderiegels noch nicht mal entkernt wurden, sind in anderen Häusern schon die ersten Bewohner eingezogen. „In den Musterwohnungen sehen sich zu Saisonzeiten schon mal 500 Interessenten pro Tag um“, sagt Makler Detlev Will. Er verkauft die Apartments in Block 1, die derzeit unter dem Namen „Neues Prora“ entstehen: Drei-Zimmer-Gartenwohnungen, Zwei- und Dreizimmerwohnungen mit Seeblick und weitläufige Penthouse-Wohnlandschaften mit Dachterrasse – all das gibt die knapp 80 Jahre alte Bausubstanz her. Das Geschäft läuft Wills Angaben zufolge sehr gut. Vor allem jene Einheiten, die zum geplanten Apartmenthotel gehören und von den zukünftigen Eigentümern als Ferienwohnungen vermietet werden können, sind zu einem großen Teil schon verkauft. Doch mehr als die Hälfte der Apartments im „Neuen Prora“ dürfen nicht touristisch vermarktet werden, sondern stehen nur für die private Nutzung als Erst- oder Zweitwohnsitz zur Verfügung.

Das drei Kilometer entfernte Seebad Binz, zu dem Prora gehört, wollte aus dem riesigen Projekt keine Konkurrenz für seine Hotels und Ferienhäuser erwachsen sehen. Dem Schema des „Neuen Prora“ – Apartments mit Hotelanbindung sowie Eigentumswohnungen – entsprechen auch die Entwicklungsvorhaben für die anderen Blöcke. Ob „Meersinfonie“, „Prora Solitaire“, „Inselbogen“ oder „Quartier am Meer“ – sie alle locken mit der Zauberformel „Lage, hochwertiger Ausbaustandard und Sonderabschreibung nach Denkmal-AfA“. Die verstörende Geschichte des Ortes wird, wenn überhaupt, kurzerhand in den Prospekten bewältigt: Da wird zwischen den verkaufsfördernden Verheißungen allenfalls auf den bereits erwähnten Grand Prix von 1937 verwiesen. Der so leutseligen wie hilflosen Verdrängung problematischer Sachverhalte fällt freilich jeder Hinweis auf die NS-Diktatur oder die jüngere NVA-Vergangenheit anheim.

Doch es reicht, wenn man um nähere Auskunft zu den Bauvorhaben bittet. „Kommen Sie mir jetzt bloß nicht mit diesem Nazi-Kram“ ist eine der etwas freundlicheren Reaktionen. Dabei geht es bloß um handfeste bauliche Fakten: Zustand des Altbaus, Bauphysik, Erschließung, Denkmalschutz. Block 1 wird nach den Plänen des Berliner Architekten Ulrich Stuke umgebaut, der sich lange mit dem Bauwerk auseinandergesetzt hat und die Vor- und Nachteile des Bestands erläutert: „Prora war schon zu seiner Entstehungszeit ein sehr modernes Gebäude, errichtet in Stahlbetonskelettbauweise. Das erlaubt sehr variable Grundrissvarianten. Ich musste einfach nur ein intelligentes Raster entwickeln, um ein modernes Raumprogramm unterzubringen.“

Zu den unbestreitbaren Nachteilen des Gebäudes gehört die mit 2,45 Metern sehr niedrige Zimmerhöhe bei gleichzeitig sparsam dünnen Betondecken, die deshalb einen sehr ökonomischen Aufbau der notwendigen Luft- und Trittschalldämmung erfordern. Und obwohl der Denkmalschutz die Erhaltung der beeindruckenden Fassadenmonotonie verlangte, durften auf der Seeseite Balkone angebracht werden, allerdings mit gläsernen Brüstungsfeldern, die sich, mit etwas Abstand betrachtet, im Weichbild der schieren Baumasse auflösen. Doch auch Architekt Stuke kommt nicht umhin, seinen Respekt vor der architektonischen Leistung des ursprünglichen Entwurfsverfassers mit einer Bemerkung zur Historie des Ortes zu differenzieren. „Wäre ein Abriss die Lösung gewesen, bloß weil das Gebäude von den Nazis errichtet und von der DDR genutzt wurde?“, fragt er. „Beim heutigen Finanzministerium kommt auch niemand mehr auf solche Gedanken.“ Es seien doch bloß Stahl und Beton, die niemandem etwas getan hätten, so der Tenor vor Ort. Doch gilt für Architektur deshalb grundsätzlich eine Unschuldsvermutung? Wohl nur für Bauten, die ohne Zweck und Absicht errichtet wurden. Da dies gewiss nicht für Prora gilt, wird man sich zwischen Verdrängung oder Aufarbeitung entscheiden müssen.


Hier finden Sie weiterführende Informationen zu den vorgestellten Bauprojekten, dem KdF-Museum sowie einem Projekt, das an die Nutzung des Komplexes durch die NVA erinnert.

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1 Gedanke zu „Prora oder: Die Unschuldsvermutung in der Architektur

  1. Prora zu erhalten und unter Denkmalschutz zu stellen war eine sehr gute Idee. Man kann zur NAZI-Vergangenheit stehen wie man will und deren Verbrechen sind nicht tolerierbar. Doch gehören auch die, ebenso wie die Bauwerke aus dieser Zeit, zu unserer, zur deutschen Geschichte. Es ist einfach unverständlich und nicht nachvollziehbar, dass man im Laufe der Zeit Milliarden an Euro zur Beseitigung dieser Bauwerke (vor der Öffentlichkeit verheimlicht) ausgibt, siehe Atlantikwall, wo man dieses Geld viel sinnvoller für eine bessere Versorgung von Kranken und Pflegebedürftigen, zur Sicherstellung der Renten, Aufbau der Infrastruktur in den neuen Bundesländern nötig hätte. Unsere Bundesregierungen begreifen es einfach nicht, dass wir vor unsere Vergangenheit nicht weglaufen können, auch wenn man sich noch so sehr anstrengt, deren Spuren zu beseitigen. Man sollte versuchen das ganze Projekt Prora zu sanieren und neuer Verwendung zuzuführen. Auch sollte man auf das Umfeld, wie das Ostseebad Binz und dessen Bedürfnisse nur begrenzt Rücksicht nehmen, denn eine Infrastruktur muss und sollte auch um Prora aufgebaut werden und wenn sich ein oder mehrere Gebäudekomplexe als Hotel zu vermarkten wären, dann sollte dies auch umgesetzt werden. In Spanien oder anderswo stehen auch riesige Hotelkomplexe dicht an dicht am Strand und in Konkurrenz. Diese übertriebene Strandbebauung kann ich aber auch nicht gutheißen! Was Prora angeht sollte man aber auch dafür sorgen, dass es für Besucher zugänglich bleibt, dass diese mit ausreichend Informationsmaterial und Bildern in einer Art Museum gut informiert werden und sich selbst einen realen Eindruck verschaffen können.

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