Text: Hubertus Schulte Beerbühl
Die Diskussion über Konflikte zwischen Verkehrslärm oder Gewerbelärm einerseits und schutzbedürftiger Nutzung andererseits, insbesondere Wohnnutzung, ist in vollem Gange. Einzelne Vorschriften besonders des Bundesimmissionsschutzgesetzes und der TA Lärm werden fachpolitisch als antiquiert angegriffen. Das Argument: Sie berücksichtigten nicht die Fortentwicklung der Technik bei Fenstern und das Ziel einer Mischung von Wohnen und Arbeiten im Rahmen der Stärkung der Innenentwicklung.
Die nachfolgende Darstellung soll einen Beitrag zu der Diskussion leisten, indem sie einen Überblick über den gegenwärtigen Stand der höchstrichterlichen Rechtsprechung zur Anordnung passiver Schallschutzmaßnahmen im Rahmen einer so genannten architektonischen Selbsthilfe gibt. Erst bei Kenntnis der geltenden Rechtslage ist eine sinnvolle Diskussion über deren Verbesserungsbedürftigkeit der ihr zu Grunde liegenden Normen möglich.
Nächtliche Kernzeit besonders schutzbedürftig
Die jüngere Entwicklung der Rechtsprechung zur Thematik des Lärmschutzes nach Maßgabe der geltenden Normen begann mit dem viel beachteten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. März 2006 zum Ausbau des Verkehrsflughafens Berlin-Schönefeld (Aktenzeichen 4 A 1075.04 u.a.). In seinem außerordentlich umfangreichen Urteil führte das Gericht unter anderem aus: Im Vordergrund des Schutzes der gebäudebezogenen Wohnnutzung stehe die Abwehr unzumutbarer Kommunikationsbeeinträchtigungen. Dies beruhe auf der Erkenntnis, dass sich nach allgemeiner Einschätzung Kommunikationsstörungen stärker noch als Störungen der Ruhe und der Entspannung nachteilig auf das Wohnklima auswirken, da sie als besonders lästig eingestuft werden. Diesen Anforderungen werde der in den Verfahren angegriffene Planfeststellungsbeschluss gerecht. Denn durch den für das Tagschutzgebiet festgelegten Pegel 60 dB(A), der im Gebäudeinnern bei spaltbreit geöffnetem Fenster einen Pegel von 45 dB(A) gewährleiste, werde die Kommunikation angemessen vor einer Beeinträchtigung durch Fluglärm geschützt. Das Nachtlärmschutzkonzept der Planfeststellungsbehörde sei hingegen unausgewogen. Denn es beruhe auf einer Überbewertung der für und einer Unterbewertung der gegen die Planung sprechenden Gesichtspunkte, die durch die planerische Gestaltungsfreiheit nicht mehr gedeckt werde. Das gelte vor allem für die besonders schutzbedürftige nächtliche Kernzeit von 0:00 bis 5:00 Uhr. Maßnahmen des passiven Schallschutzes gewährleisteten zwar einen Lärmschutz, der die Betroffenen vor Lärmeinwirkungen oberhalb der durch das Gebot zur Abwägung der Interessen der Betroffenen mit denjenigen der Träger des Flughafenvorhabens gezogenen äußersten Schranke bewahre. Empfindliche Einbußen an Lebensqualität könnten sie dennoch nicht verhindern. Der Preis für den Schutz der Nachtruhe sei, dass die Schlafzimmerfenster geschlossen gehalten werden müssten. Nur so lasse sich der mit den Schutzvorkehrungen verfolgte Zweck sicherstellen. Die Folge sei, dass jeglicher Kontakt zur Geräuschkulisse der Außenwelt abgeschnitten werde. Verhindert werde nicht bloß, dass unerwünschter Fluglärm ins Gebäudeinnere dringe. Von der Abschirmwirkung würden unterschiedslos auch Geräusche erfasst, die als angenehm empfunden würden.
Bei Verkehrslärm kann passiver Schallschutz verlangt werden
In seinem Urteil vom 22. März 2007 (Aktenzeichen 4 CN 2/06) entschied das Gericht über ein Rechtsschutzbegehren der Eigentümer eines Wohngrundstücks gegen einen Bebauungsplan, der einen Zustand schuf, bei dem wegen einer nahe gelegenen Straße die Orientierungswerte der DIN 18005 für allgemeine Wohngebiete von 55 dB(A) am Tag und 45 dB(A) in der Nacht weit überschritten würden. Die Stadt hatte sich dafür entschieden, weitgehend auf Maßnahmen des aktiven Schallschutzes zu verzichten; sie war davon ausgegangen, dass durch bestimmte Baukörperanordnungen und Grundrissgestaltungen die besonders schützenswerten Räume weitgehend zu den jeweils lärmabgewandten Seiten der Gebäude ausgerichtet und auf der anderen Seite abgeschirmte Freisitze geschaffen werden könnten. Anders als noch die Vorinstanz hielt das Bundesverwaltungsgericht es nicht für zwingend, Maßnahmen des aktiven Schallschutzes vorzusehen. Jedenfalls wenn im Innern der Gebäude durch die Anordnung der Räume und die Verwendung schallschützender Außenbauteile angemessener Lärmschutz gewährleistet werde, könne es im Ergebnis mit dem Gebot gerechter Abwägung vereinbar sein, Wohngebäude an der lärmzugewandten Seite des Gebiets auch deutlich über den Orientierungswerten liegenden Außenpegeln auszusetzen. Insbesondere könne in die Abwägung eingestellt werden, dass durch eine geschlossene Riegelbebauung die rückwärtigen Flächen derselben Grundstücke und ggf. weitere Grundstücke wirksam abgeschirmt würden. Allerdings sei bei derartigen Festsetzungen zugleich in besonderer Weise darauf zu achten, dass auf der straßenabgewandten Seite der Grundstücke geeignete geschützte Außenwohnbereiche geschaffen werden können.
Bebauungsplan darf passive Lärmschutzmaßnahmen vorschreiben
Während in beiden zuvor genannten Entscheidungen ein Wohngebiet an einen vorhandenen Verkehrsweg (Luftweg bzw. Straße) heran geplant wurde, rückte in dem mit Urteil vom 7. Juni 2012 (Aktenzeichen 4 BN 6/12) entschiedenen Fall ein Wohngebiet an einen Gewerbebetrieb heran. Dieser Unterschied war indes nicht bedeutsam. Der Rechtssatz, dass Lärmkonflikte in zumutbarer Weise durch geeignete Maßnahmen des passiven Schallschutzes als Mittel der architektonischen Selbsthilfe gelöst werden können, gilt auch in dieser Fallkonstellation. Diese Entscheidung steht, wie das Gericht ausdrücklich betonte, nicht in Widerspruch zu der Schönefeld-Entscheidung, soweit darin den Anwohnern Recht gegeben wurde. Denn der Sachverhalt, der der Flughafen-Entscheidung zugrunde lag, war dadurch gekennzeichnet, dass eine bestehende Wohnbebauung mit zusätzlichem (Flug-)Lärm beaufschlagt wurde. Dagegen ging es hier um Wohnbebauung, die noch nicht vorhanden war, sondern durch den umstrittenen Bebauungsplan erst ermöglicht werden sollte. Das machte, wie das Gericht feststellte, im Hinblick auf das Ansinnen an die Bewohner, sich mit Maßnahmen des passiven Lärmschutzes abzufinden, einen bedeutsamen Unterschied. Denn wer erwäge, eine mit passivem Schallschutz „belastete“ Wohnung zu beziehen, wisse von vornherein, mit welchen Einschränkungen er zu rechnen habe. Wolle er sie entschärfen, sei es ihm grundsätzlich zumutbar, zur architektonischen Selbsthilfe zu greifen und – wenn möglich – bereits vor dem Einzug diejenigen Räume als Wohn- und Schlafräume vorzusehen, die auf der lärmabgewandten Seite des Gebäudes lägen; wolle er sie vermeiden, könne ihm zugemutet werden, vom Bezug der Wohnung Abstand zu nehmen. Beim Bewohner einer nachträglich Schallschutz benötigenden Wohnung (so war es im Schönefeld-Urteil) liege die Zumutbarkeitsschwelle höher; denn für ihn sei eine architektonische Selbsthilfe aufwändiger und ein Verzicht auf die Wohnung durch Auszug belastender.
Gebot zu passiven Lärmschutzmaßnahmen im Anwendungsbereich der TA Lärm?
In seinem Urteil vom 29. November 2012 (Aktenzeichen 4 C 8/11) hatte das Bundesverwaltungsgericht Anlass, Ausführen zur Möglichkeit des Lärmschutzes durch passive Schallschutzmaßnahmen bei Erteilung einer Baugenehmigung für ein Wohnhaus zu machen. Der Sachverhalt: Der Kläger betreibt auf seinem Grundstück ein Holzbearbeitungsunternehmen; der Bauherr (im Prozess der Beigeladene) erhielt von der Behörde eine Baugenehmigung zur Umnutzung einer Fabrikhalle zu einem Mehrfamilienhaus mit fünf Wohneinheiten. Das Betriebsgebäude des Klägers und die ehemalige Fabrikhalle sind baulich miteinander verbunden und liegen im Geltungsbereich eines Bebauungsplans, der ein allgemeines Wohngebiet ausweist und für die Grundstücke des Klägers und des Beigeladenen erweiterten „Bestandsschutz gemäß § 1 Abs. 10 BauNVO für bestehende Nutzung“ festsetzt. (Ob der Bebauungsplan wirksam ist, unterliegt erheblichen Zweifeln; die mit der Sache befassten Gerichte entschieden diese Frage nicht, sondern lösten den Fall alternativ, das heißt, sie kamen zu demselben Ergebnis bei unterstellter Gültigkeit oder Ungültigkeit des Plans.) Weil die Schallquellen des Betriebs des Klägers an der nächstgelegenen Stelle des Gebäudes des Beigeladenen Beurteilungspegel bis 70 dB(A) hervorriefen, sollte der Bauherr passive Schallschutzmaßnahmen in Form von Schallschutzfenstern mit Belüftungseinrichtungen und einem Schalldämmmaß von mindestens 41 dB(A) für alle schutzbedürftigen Räume vorzusehen; damit würden die Anhaltswerte für Innenschallpegel eingehalten. Der Gewerbetreibende klagte gegen die Genehmigung zur Errichtung und Nutzung des Wohnhauses und gewann vor dem Bundesverwaltungsgericht – das Verwaltungsgericht Minden (1 K 612/08, Urteil vom 24. März 2009) hatte der Klage stattgegeben, das Oberverwaltungsgericht Münster (2 A 1058/09, Urteil vom 1. Juni 2011) hatte sie abgewiesen.
Schutzbedürftigkeit trotz Einwilligung
Welche Bedeutung der Umstand hat, dass der Bauherr sich mit den Maßnahmen zum passiven Schallschutz einverstanden erklärt hat? Schließlich hat er den Bauantrag in Kenntnis des zu erwartenden Betriebslärms gestellt. Das ist indes unbeachtlich. Denn, wie das Bundesverwaltungsgericht formulierte, der von der TA Lärm gewährte Schutzstandard steht nicht zur Disposition des Lärmbetroffenen und kann nicht durch dessen Einverständnis mit passiven Schallschutzmaßnahmen suspendiert werden. „Das Bauplanungsrecht regelt die Nutzbarkeit der Grundstücke in öffentlich-rechtlicher Beziehung auf der Grundlage objektiver Umstände und Gegebenheiten mit dem Ziel einer möglichst dauerhaften städtebaulichen Ordnung und Entwicklung. Das schließt es aus, das bei objektiver Betrachtung maßgebliche Schutzniveau auf das Maß zu senken, das der lärmbetroffene Bauwillige nach seiner persönlichen Einstellung bereit ist hinzunehmen.“
Auch die heranrückende Wohnbebauung kann rücksichtslos sein
Außerdem ist der Sachverhalt durch die Besonderheit gekennzeichnet, dass nicht, wie im klassischen Konfliktfall, der „Störer“ an den Betroffenen heranrückt, sondern umgekehrt die störempfindliche Nutzung sich der Lärmquelle nähert. Die Entscheidung betrifft damit den Fall der so genannten heranrückenden Wohnbebauung. Die in solchen Fällen vielleicht nahe liegende Annahme, eine Wohnnutzung könne dem Gewerbetreibenden egal sein, weil er ja nicht durch die Wohnnutzung im eigentlichen Sinne gestört werde, ist unrichtig. Denn von ihm wird in Zukunft erwartet werden, dass er unzumutbare Belästigungen der in der Nähe Wohnenden vermeidet. In diese Richtung zielenden Beschwerden wird er nur schwer und nicht in allen Fällen unter Hinweis auf seine bestehende Genehmigung begegnen können. Denn für ihn gelten die „dynamischen Betreiberpflichten“: Je nachdem, ob es sich um einen immissionsschutzrechtlich genehmigungsbedürftigen Betrieb handelt oder nicht ist er nach § 17 oder § 24 Bundesimmissionsschutzgesetz gehalten, den Betrieb auf dem Stand der Technik zu halten, um etwa Belästigungen der Nachbarschaft zu vermeiden. Deshalb ist seit Jahren in der Rechtsprechung anerkannt, dass das Heranrücken störempfindlicher Nutzung an einen latent störenden Gewerbebetrieb sich als rücksichtslos gegenüber dem Gewerbetreibenden darstellen und die Genehmigung deshalb zu seinen Lasten rechtswidrig sein kann. Darauf berief sich auch im vorliegenden Fall der Kläger.
„Spiegelbildlichkeit“ der gegenseitigen Rücksichtnahmepflichten
Hier beginnen indes sehr schwierige Wertungsfragen. Denn welche Anforderungen sich aus dem Rücksichtnahmegebot im Einzelnen ergeben, hängt maßgeblich davon ab, was dem Rücksichtnahmebegünstigten einerseits und dem Rücksichtnahmeverpflichteten andererseits nach Lage der Dinge zuzumuten ist. Das Bundesverwaltungsgericht sagt hierzu: Ist die Grundstücksnutzung aufgrund der konkreten örtlichen Gegebenheiten mit einer spezifischen gegenseitigen Pflicht zur Rücksichtnahme belastet, so führt dies zu einer Pflichtigkeit desjenigen, der Immissionen verursacht, und zu einer Duldungspflicht desjenigen, der sich solchen Immissionen aussetzt. Maßstab für die Beurteilung der Zumutbarkeit der Störung ist die TA Lärm. Das gilt nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts nicht nur für die Situation, dass eine gewerbliche Anlage auf ihre Genehmigungsfähigkeit überprüft wird, sondern an deren Maßstäben muss sich auch eine an einen lärmintensiven Betrieb heranrückende Wohnbebauung messen lassen. Das war bislang umstritten gewesen. Der Verwaltungsgerichtshof Mannheim hatte dies in seinem Beschluss vom 11. Oktober 2006 (Aktenzeichen 5 S 1904/06) anders entschieden. Nunmehr ist von allen Bauwilligen, Betriebsinhabern und Genehmigungsbehörden zu beachten: Die TA Lärm ist als bindender Maßstab auch anwendbar im Falle des Annäherns von Wohnnutzung an eine vorhandene gewerbliche Anlage. Denn: „Als normkonkretisierender Verwaltungsvorschrift kommt der TA Lärm, soweit sie für Geräusche den unbestimmten Rechtsbegriff der schädlichen Umwelteinwirkungen konkretisiert, eine im gerichtlichen Verfahren zu beachtende Bindungswirkung zu.“ Und: „Die normative Konkretisierung des gesetzlichen Maßstabs für die Schädlichkeit von Geräuschen ist jedenfalls insoweit abschließend, als sie bestimmte Gebietsarten und Tageszeiten entsprechend ihrer Schutzbedürftigkeit bestimmten Immissionsrichtwerten zuordnet und das Verfahren der Ermittlung und Beurteilung der Geräuschimmissionen vorschreibt.“ Aus der „Spiegelbildlichkeit“ der gegenseitigen Verpflichtungen aus dem Rücksichtnahmegebot für die konfligierenden Nutzungen ergebe sich, dass mit der Bestimmung der Anforderungen an den emittierenden Betrieb auf der Grundlage der TA Lärm zugleich das Maß der vom Nachbarn zu duldenden Umwelteinwirkungen und mithin die – gemeinsame – Zumutbarkeitsgrenze im Nutzungskonflikt feststehe.
Nicht alle Mittel zur Lärmreduzierung können verlangt werden
Beschränkter Spielraum für architektonische Selbsthilfe
Der nächste Schritt, den das Gericht ging, ist sicherlich rechtlich vertretbar, führt aber zu weitreichenden Konsequenzen in der Genehmigungspraxis. Es entschied: Das Rücksichtnahmegebot des § 15 Abs. 1 Satz 2 Alt. 2 Baunutzungsverordnung eröffne im Anwendungsbereich der TA Lärm nicht die rechtliche Möglichkeit, der durch einen Gewerbebetrieb verursachten Überschreitung der Außen-Immissionsrichtwerte bei einem Wohnbauvorhaben durch Anordnung von passivem Lärmschutz zu begegnen. Der gut gemeinte Versuch, dem Bauherrn des Wohnbauvorhabens abzuverlangen, durch eigene bauliche Maßnahmen für einen ausreichenden Lärmschutz zu sorgen, verfehle sein Ziel, wenn der Maßstab für das Erreichen des Ziels, die TA Lärm, und deren Aufgaben umgangen werden. Das sei hier der Fall.
Das Gericht wies zunächst darauf hin, dass die TA Lärm für Wohnnutzungen einen Mindestwohnkomfort sichert, der darin besteht, Fenster trotz der vorhandenen Lärmquellen öffnen zu können und eine natürliche Belüftung sowie einen erweiterten Sichtkontakt nach außen zu ermöglichen, ohne dass die Kommunikationssituation im Innern oder das Ruhebedürfnis und der Schlaf nachhaltig gestört werden können. Das sei erkennbar anhand der Maßgeblichkeit der Außen-Immissionsrichtwerte nach Nr. 6.1 und der Definition des maßgeblichen Immissionsortes in A.1.3 des Anhangs der TA Lärm – bei bebauten Flächen 0,5 m außerhalb vor der Mitte des geöffneten Fensters des vom Geräusch am stärksten betroffenen schutzbedürftigen Raumes. Hieraus ergebe sich, dass dieses Regelungswerk den Lärmkonflikt zwischen Gewerbe und schutzwürdiger (insbesondere Wohn-) Nutzung bereits an deren Außenwand und damit unabhängig von der Möglichkeit und Notwendigkeit von Schutzmaßnahmen gelöst wissen wolle. Durch Schallschutzmaßnahmen, wie sie die angefochtene Baugenehmigung vorschreibe, nämlich öffenbare Fenster mit einem bestimmten Schallschutzdämmmaß einzubauen, könnten die außerhalb des betroffenen Gebäudes gelegenen maßgeblichen Immissionsorte nicht beeinflusst werden. Hingegen kämen mit dem Regelwerk der TA Lärm zu vereinbarende immissionsreduzierende Maßnahmen wie Veränderungen der Stellung des Gebäudes, des äußeren Zuschnitts des Hauses oder der Anordnung der Wohnräume und der notwendigen Fenster durchaus in Betracht. Ferner, soweit dies bauordnungsrechtlich zulässig sei, der Einbau nicht zu öffnenden Fenster, denn diese stellten ja keine relevanten Messpunkte im Sinne von Nr. 2.3 der TA Lärm i.V.m. Nr. A.1.3 ihres Anhangs dar, weil sie als Teil der Außenwand anzusehen seien. Zusammenfassend stellte das Gericht fest, passiver Lärmschutz als Mittel der architektonischen Selbsthilfe könne nur außerhalb des Anwendungsbereichs der TA Lärm und bei – hier nicht einschlägiger – Anwendung solcher Regelwerke in Betracht kommen, die diese Möglichkeit zuließen.
Diese Entscheidung steht mit der oben genannten Entscheidung vom 22. März 2007 nicht in Widerspruch. Denn in jenem Fall war Maßstab nicht die TA Lärm, sondern die DIN 18005; diese ist nicht bindend und nennt lediglich Orientierungswerte. Anders als in dem am 29. November 2012 entschiedenen Streitfall entstand seinerzeit die Konfliktsituation durch das Zusammentreffen von Straße und Wohnen. Dieses Verhältnis sei durch die Möglichkeit des passiven Lärmschutzes geprägt. Für den Fall der an einen Sportplatz heranrückenden Wohnbebauung, also im Anwendungsbereich der 18. Bundesimmissionsschutzverordnung, hatte das Bundesverwaltungsgericht übrigens schon mit Urteil vom 23. September 1999 (Aktenzeichen 4 C 6/98) auf die Möglichkeit der architektonischen Selbsthilfe hingewiesen. Schon in diesem Urteil hatte das Gericht die Obliegenheit des Bauherrn betont, durch ihm mögliche und zumutbare Maßnahmen der architektonischen Selbsthilfe, „z.B. in Bezug auf die Stellung des Gebäudes auf dem Grundstück, den äußeren Zuschnitt des Hauses, die (sportplatzabgewandte) Anordnung der Wohnräume und der notwendigen Fenster, gegebenenfalls auch durch die Gestaltung von Außenwohnbereichen“, auf die Lärmemissionen einer benachbarten Sportanlage Rücksicht zu nehmen. Insoweit begründe die zeitliche Priorität der Sportanlage eine besondere Pflichtigkeit eines später heranrückenden Wohnbauvorhabens.
Zurück zum Fall vom 29. November 2012: Das Bundesverwaltungsgericht sah sich nicht in der Lage, den Fall abschließend zu entscheiden und verwies deshalb das Verfahren an das Oberverwaltungsgericht Münster zurück. Denn das Bundesverwaltungsgericht ist keine Tatsacheninstanz, und die Tatsachen waren seiner Ansicht nach für eine abschließende Entscheidung noch nicht hinreichend klar. Es sei nicht geklärt worden, welche zumutbaren Betreiberpflichten dem Kläger auferlegt werden könnten, das müsse nachgeholt werden.
Vor dem erneut mit der Sache befassten Oberverwaltungsgericht bestätigte sich durch nunmehr vorgenommene Messungen eine „Tendenz des Betriebs zur Richtwertüberschreitung“. Dem könnte und müsste der Kläger durch technisch-betriebliche Maßnahmen der Schalldämmung ohne größeren Aufwand entgegenwirken. Da andererseits der Bauherr sich bereit erklärte, nicht öffenbare Fenster einzubauen und der Beklagte die Baugenehmigung entsprechend änderte, erledigte sich das Klageverfahren schließlich. Der Kläger musste aber die gesamten Verfahrenskosten tragen.
Nicht „win-win“, sondern „loose-loose“
Die Prozessbeteiligten gingen allesamt mehr oder weniger als Verlierer aus dem Verfahren hervor, und der Beobachter kann aus der Geschichte des Verfahrens und aus den Darlegungen des Bundesverwaltungsgerichts einiges an Lehren ziehen:
Ausgangspunkt aller Probleme war ein ziemlich misslungener Bebauungsplan, an dessen Wirksamkeit alle Instanzen Zweifel hatten. Diese beruhten offenbar darauf, dass die gebotene Berücksichtigung der Vorgaben des § 50 Bundesimmissionsschutzgesetz und eine sachgerechte und wirksame Abwägung zweifelhaft waren. Wäre dies einwandfrei gelungen, hätte es wohl keinen Streit gegeben. Erst Recht war auf der Grundlage des Bebauungsplans die Genehmigung von Wohnnutzung angesichts der entgegenstehenden Festsetzung objektiv-rechtlich kaum vertretbar. Diesen Fehler durch eine mit Auflagen versehene Baugenehmigung zu lösen, war gründlich schief gegangen. Ob der Bauherr mit seinem Plan, neben dem lauten Gewerbebetrieb ein Wohnhaus zu errichten, gut beraten war, lässt sich angesichts des enormen Zeitverlusts und der erforderlich gewordenen Umplanung bezweifeln, auch wenn er letztlich von allen Prozesskosten verschont geblieben ist. Der eigentliche Verlierer des Verfahrens war aber der scheinbare Gewinner: Der klagende Gewerbebetrieb hatte zwar einen Etappensieg vor dem Bundesverwaltungsgericht errungen. Dieser Sieg war aber ein teuer erkaufter Sieg, letztlich ein Pyrrhussieg. Neben den erheblichen Prozesskosten schwebt nunmehr über seinem Betrieb, erst aufgrund seiner Klage ins Bewusstsein der Behörde und der Nachbarn gerückt, das Damokles-Schwert des drohenden Anpassungsverlangens aufgrund der immissionsschutzrechtlichen Betreiberpflichten. Und das, obwohl der Rat der Stadt in guter Absicht sein Grundstück und das des Nachbarn gewerblich genutzt wissen wollte.
Nicht alles ist rechtlich möglich – und das ist auch gut so
Soweit die Rechtslage aufgrund der TA Lärm und deren Anwendung in der Auslegung durch das Bundesverwaltungsgericht. Die beschriebenen Entscheidungen sind, wie es beim Bundesverwaltungsgericht auch nicht anders zu erwarten wäre, rechtlich unangreifbar. Da das Bundesverwaltungsgericht dazu berufen ist, die Normen aus dem Planungsrecht und des Immissionsschutzrechts letztinstanzlich und verbindlich auszulegen, sind Bauwillige, Gewerbetreibende und Genehmigungsbehörden an diese Bewertungen gebunden. Das Ergebnis mag man aus der Sicht eines Planers kritisieren. Bevor jedoch § 50 Bundesimmissionsschutzgesetz und die TA Lärm in Bausch und Bogen als antiquiert und dringend reformbedürftig angesehen werden, sollte bedacht werden, dass auch das Gebot der Stärkung der Innenentwicklung nicht so weit gehen darf, dass empfindliche Nutzungen vermehrt Lärmquellen ausgesetzt werden. Denn schon jetzt wird vielfach die Lärmexposition als unzumutbar angesehen. Den hier vorliegenden Interessenkonflikt dadurch zu lösen, dass die vor Lärm schützenden Normen abgeschwächt werden, ist sicher ein falscher Weg.
Dr. Hubertus Schulte Beerbühl ist Richter am Verwaltungsgericht Münster.
Lärmrecht
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