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Herr Moench im Moloch

Ein 35-jähriger Deutschbrasilianer engagiert sich in China für die Baukunst. Ausgerechnet als Kirchenbaumeister.

29.07.20159 Min. Kommentar schreiben
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Moderne Interpretation: Moenchs Entwurf der Kirche in Luoyuan übernimmt die ringförmige Organisation der Fujian-Tulou mit ihren Laubengängen. Alle Funktionen sind gleichberechtigt um einen begrünten Innenhof herum angeordnet, in dessen Mitte eine kleine Gartenkapelle zu spontaner Andacht einlädt.

Text: Christoph Gunßer

Fuzhou, wo liegt noch mal Fuzhou? Wer es auf Luftbildern sucht, kommt der südchinesischen Hafenstadt nicht recht nahe – der Smog verhüllt ihre ausfransende Kontur. „Der Himmel ist hier niemals blau“, bestätigt Dirk U. Moench, und eine Spur Wehmut liegt in seiner Stimme.
Als wir ihn erreichen, ist es 36 Grad heiß in Fuzhou; er ist erkältet, weil man ständig aus dem Treibhaus draußen in klimatisierte Räume wechselt. Seine Wohnung liegt nur einen Steinwurf weit entfernt vom Büro, doch er muss einen großen Umweg nehmen, damit er über die Stadtauto­bahn kommt – danach ist er jedes Mal nass geschwitzt.

Fuzhou hat rund sechseinhalb Millionen Einwohner, fast doppelt so viele wie Berlin. Dabei zählt es nur zur zweiten Garde unter Chinas Megastädten. Und es wächst unaufhörlich.
Was um Himmels willen führte Herrn Moench in diesen Moloch? Es war die Liebe zu Lin Xi, seiner heutigen Frau und Büropartnerin, die aus Fuzhou stammt.

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Historische Inspiration: Wohnburg in der Provinz Fujian, umgeben von Tee- und Reisterrassen

Dirk Moench, 1979 in São Paulo als Sohn eines deutschen Managers geboren, später in Hessen zur Schule gegangen, hat an der TU Berlin und in Neuseeland Architektur studiert. Seine Abschlussarbeit schrieb er über die Revitalisierung eines bedrohten Altstadtquartiers in Shanghai und verdingte sich auch in internationalen Architekturbüros in Hongkong und Shanghai.

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Dort lernte er die chinesischstämmige Amerikanerin Lin Xi kennen, die ihn ihrer Familie im rund 500 Kilometer entfernten Fuzhou vorstellte. Vor Ort ergaben sich weitere Kontakte, und so eröffnete das Paar 2011 ein Architekturbüro in Fuzhou. Gegründet wurde es formell als Zweigbüro der in der Schweiz ansässigen Zentrale, die Moenchs Vater gegründet hatte (Näheres unter www.inuce.com), doch de facto bearbeitet das 12-Mann-Büro in Fuzhou seine Projekte selbständig.

 

Gekommen, um zu bleiben

Anders als viele westliche Experten kam Dirk Moench also her, um zu bleiben. Den engen Verbindungen Lin Xis zur christlichen Gemeinde verdankt das Büro auch die ersten Aufträge: Gleich drei neue Kirchen in und um Fuzhou hat das Büro in den letzten Jahren geplant.

Christliche Kirchen boomen in China seit Jahren. Vagen Schätzungen zufolge bekennen sich derzeit rund 100 Millionen Chinesen zum Christentum, mit der Folge, dass sonntags inzwischen mehr Chinesen als Europäer in die Kirchen strömen. Die sind regelmäßig überfüllt, Messen müssen im Schichtbetrieb gelesen, viele Gläubige notdürftig im Freien platziert werden.

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Ein Mann mit Mission: Der Architekt Dirk Moench ist schon viel herumgekommen in der Welt. Jetzt baut er Kirchen in China.

Von der Modernisierung des Landes verunsichert, von der KP mit leeren Parolen abgespeist, suchen die Menschen nach neuen Gemeinschaften, die ihnen Halt geben. Während der Buddhismus zur Einkehr im Stillen rät, verbreiten die zumeist charismatischen Kirchenprediger Zuversicht und Geselligkeit – so ist das lautstarke Singen in den Kirchen ungemein beliebt. Aber auch mit Krankenpflege und Fürsorge tun sich die Gemeindemitglieder seit jeher hervor.

Die Bauaufgabe „Kirche“ war einheimischen Architekten meist fremd – die wenigen Neubauten wurden kolonialen Vorbildern nachempfunden, die Amerikaner und Engländer um die Wende zum 20. Jahrhundert im Stil der Neugotik errichtet hatten. Wie Moench berichtet, stehen inzwischen zahlreiche überaus kitschige Kirchen im Land herum, üppig wie Sahnetorten. Überhaupt herrsche hier in der Architektur das Ideal des „dekorierten Schuppens“ vor, das präfabrizierte Standardbauten mit applizierten Stil-Elementen individualisiert, um sie im Großstadtdschungel erkennbar zu machen. Beliebt sind als Vorbilder französische Châteaus, aber auch „Little Germany“ wird von Bauherrn gern gewählt.

Schneckenhäuser zum Auffallen

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Kirchenneubau in Jinshan: Die Außenwand wickelt sich wie eine Pergamentrolle um den Kirchenraum.

Da kam der modern geschulte Architekt Dirk Moench gerade recht, um zeitgemäße Kirchen zu gestalten. Kirchengemeinderäte und zum Teil sogar Stadtverwaltungen nahmen Kontakt zu ihm auf: „Ich musste noch nie Akquisition betreiben.“ Weil er ebenfalls praktizierender Christ ist, hielt man ihn schon für einen Missionar (die in China verboten sind). Doch seine Mission ist dann doch mehr eine architektonische: Moench will mit seinen Bauten die „Traumatisierung durch die rasche Modernisierung heilen“, „lokales Erbe bewahren“ und „spirituelle Erfahrung erleichtern“.

Und auch wenn die Kirchenbauten nicht ganz so schnell realisiert werden wie die gängigen Developer-Projekte, geht es voran: Der Bau zweier Versammlungszentren wurden bereits begonnen. Das prominenteste mitten im Zentrum von Fuzhou, eingeklemmt zwischen Hochhäusern, soll im nächsten Jahr fertig werden – dann feiert die einst von amerikanischen Missionaren gegründete Gemeinde ihr hundertjähriges Bestehen.

Viele Christen sind wohlhabend und spenden begeistert für neue Kirchen, also lässt die offiziell immer noch „gottlose“ Obrigkeit die Christen immer öfter gewähren. Besser, die Kirchen sind sichtbar und kontrollierbar als konspirativ im Untergrund, scheint dabei das Kalkül zu sein. Die Staatsführung fürchtet nichts mehr als eine Umwälzung nach dem Vorbild Polens oder der DDR, wo Kirchenkreise maßgeblich mitwirkten. Chinas Regime erhofft sich dagegen von den geduldeten neuen Kirchen eher eine stabilisierende Funktion in der Gesellschaft.

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Im Inneren der Kirche spielt das Taufbecken eine zentrale Rolle.

Die Architektur der neuen Gotteshäuser gibt sich einerseits introvertiert, fast wie Schneckenhäuser. Die Menschen suchten „Schutzräume gegen die Anonymität“, sagt Moench. Insbesondere ältere Leute fänden sich wegen des rasanten Umbaus in ihrer Stadt kaum mehr zurecht. Aber auch jüngeren Leuten, die oft vom Land zugezogen sind und von ihren Familien getrennt leben, fehle eine überschaubare Gemeinschaft. Die bieten die Kirchengemeinden mit zahlreichen Zusatzangeboten, gerade auch für Kinder und Jugendliche, die in China noch nicht Mitglied der Kirchen sein dürfen. So gruppieren sich Moenchs Kirchen organisch um Höfe, wo die Kleinen während der Gottesdienste betreut werden.

Andererseits stellen die Kirchen durchaus ihr Licht nicht unter den Scheffel: Hoch ragen Dächer, teils auch Türme in den Himmel, die Fassaden sind groß­flächig in Glas aufgelöst, so dass die Gebäude weithin leuchten. In Luoyuan unweit von Fuzhou, das als Kreisstadt gerade auf die doppelte Größe erweitert wird, bildet Moenchs Kirche mit „Asiens größter Kirchenglasfassade“ so einen zentralen Blickpunkt.

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Gemeindezentrum in Fuzhou: Das Ensemble birgt neben den Sakralräumen ein Amphiteater und eine Aussichtsplattform.

Selbstherrlichkeit liegt Moench indes fern. Als weitgereister Experte hat er einen Blick für lokale Eigenarten entwickelt, und er sieht mit Sorge, wie viele Bautraditionen durch die brutale Bautätigkeit zerstört werden. So knüpfte er mit der Kirche in Luoyuan an die im Süden Chinas verbreiteten Wohnburgen (Tulou) des indigenen Hakka-Volkes an. Moench, der inzwischen ein einfaches Chinesisch spricht und ansonsten stets von einem einheimischen Assistenten begleitet wird, führte 12-16 Kirchen_Artikel_8Gespräche mit Gemeindemitgliedern, die in solchen Tulous aufgewachsen waren, und übersetzte die Typologie in eine moderne Form: Laubengänge umgeben nun den Innenhof in Luoyuan. An anderer Stelle lässt er die Betonwände in Bambus-Matten schalen oder verwendet lokale Flusskiesel als Oberfläche. Auch wenn Moench als Architekt in China keine Bauvorlageberechtigung hat und die Realisierung üblicherweise einem Developer überlassen wird, bemüht er sich sehr, mit Hilfe geeigneter Berater auch die Ausführung zu überwachen.

Erhebt euch von den Schreibtischen!

„Hier wird normalerweise nach fünf Jahren ein Return on Investment erwartet“. sagt Moench. Sein poetischer Ansatz jenseits des herrschenden Renditedenkens hat ihm vor Ort bereits Respekt verschafft. Er ist der einzige ausländischer Architekt in Fuzhou; auch anspruchsvolle „welt­liche“ Bauherren treten an ihn heran. ­Momentan beschäftigt ihn eine ziemlich kolossale Firmenzentrale in der City, wo er massive Marmorbrüstungen aufwendig organisch bearbeiten lässt. Auf der Insel Hainan hat er ein exklusives Sporthotel ­geplant.

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Flach halten: Das Lilong-Quartier in Shanghai unterscheidet sich von der urbanen Hochhauskulisse der Millionenstadt durch die kleinteilige, hochverdichtete Struktur, die sich wie ein Teppich vor den Wolkenkratzern erstreckt. In seiner Abschlussarbeit plädierte Moench für die behutsame Ergänzung und die Bewahrung der kulturellen und sozialen Werte.

Doch besonders engagiert er sich im Städtebau: Für das kleine koloniale Viertel in Fuzhou, das arg vernachlässigt wurde, erarbeitete er im Auftrag der Stadtverwaltung eine städtebauliche Studie, die den Tourismus ankurbeln soll. Und mit seinen städtebaulichen Seminaren an der örtlichen Universität will Moench die Studenten dazu bewegen, sich „von ihren Schreibtischen zu erheben“ und „ihre Rolle als rein Ausführende“ zu überdenken. „Bislang wird ­alles sehr schematisch gelehrt nach dem Motto: Jetzt lernen wir, wie ein Einkaufszentrum gebaut wird, jetzt ein Bürogebäude, jetzt dies und jetzt das.“ Aus Anlass der gerade in Fuzhou stattfindenden chinesischen Jugendspiele hat er seine Studenten untersuchen lassen, wie man den Sport aus den Stadien in die Stadt tragen kann, wie man Parks und Straßen für sportliche Aktivitäten umgestalten könnte. „Wie soll die Stadt in zehn, zwanzig Jahren aussehen?“

Natürlich will er damit in der inzwischen total autogerecht ausgebauten Stadt so etwas wie ein Umweltbewusstsein anregen. „Das beginnt gerade zu wachsen“, beobachtet Moench. Doch anders als im Westen kommen die Anstöße dazu meist von oben. Bürgerinitiativen sind selten. „Ein öffentlicher Dialog ist hier noch nicht wirklich entwickelt.“

Fühlt er sich da manchmal fremd oder besonders „deutsch“? Nein, damit kann er nichts anfangen. Kulturvergleiche oder gar direkte Kritik an seinem Gastland vermeidet Dirk Moench geflissentlich. „Man muss seine eigenen Werte immer wieder überprüfen“, betont er. „Die Menschen hier sind sehr, sehr pragmatisch. Man sieht die Entwicklung stets mit einem lachenden und einem weinenden Auge. Allen geht es besser als früher, die Städte sind sauber. In der Kürze der Zeit war diese Modernisierung eine einmalige Leistung.“ So scheint ihm sein Leben als exotische „Langnase“ im Treibhaus Fuzhou insgesamt zu behagen.

Das mag auch mit seinen persönlichen Wurzeln zusammenhängen, erwähnt er doch des Öfteren im Gespräch seine Geburtsstadt und zieht Analogien zum São Paulo in dessen Boomjahren. Dort habe die Architektur mit der Zeit ein neues, modernes Selbstbewusstsein entfaltet, das er hier – noch – vermisst. Während die Mode in China nach der Zeit der Einheitstracht regelrecht „explodiert“ sei, werde die Architektur erst sehr langsam vielfältiger und eigenständiger. Aber „das entwickelt sich gerade.“ Den Satz spricht er häufig aus. Tabulator für rechte Ausrichtungn

Christoph Gunßer ist freier Fachautor in ­Bartenstein (Baden-Württemberg).

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