Text: Roland Stimpel
Vitaminoffice ist der hübsche Name des Architekturbüros von Markus Bastam und Sven Enenkel in Erfurt. Vitalität und Kraft brauchten sie an den Tagen der Architektur: Am Samstag präsentierten sie acht Stunden lang ihr Messe-Restaurant und parallel noch zwei Stunden lang ihren Kita-Neubau für die „Mittelhäuser Spatzen“. Danach luden sie zur „After-Work-Party“ in ihr Büro – und ahnten nicht, dass die ganz große Arbeit erst noch bevorstand: Das von ihnen geplante Einfamilienhaus im Barbarossahof besuchten am nächsten Tag etwa 800 Menschen, wohl der deutsche Rekord am Tag der Architektur.
Es ist ein ansehnlicher, aber nicht spektakulärer Kubus mit starken Bauhaus-Anklängen – einer von zweien in der Straße, der an diesem Tag um Besucher warb. An beiden stand man lange an; bei Vitaminoffice und seinen Bauherren musste man zur Zeit des größten Andrangs eine Stunde warten. Fünf Menschen kanalisierten die Besucherströme: Draußen erläuterte die Bauherrin das Objekt, drinnen die beiden Architekten und der Bauherr – wobei Sven Enenkel „viel Fachpublikum“ registrierte. Die Tochter der Bauherrin beschäftigte zugleich Besucherkinder im Garten.
Enenkel deutet an: „Es war ein ziemlicher Kraftakt. Nach drei Stunden hatte ich das Gefühl, in mir spreche eine eingebaute Schallplatte.“ Die Besucherschaft sei höflich und rücksichtsvoll gewesen: „Das Haus hat wenige Spuren abbekommen.“ Fast alle Reaktionen waren erfreulich: „Es gab nur eine kritische Stimme. Alles andere hat Spaß gemacht, zumal man selten so viel positives Feedback erhält.“ Den benachbarten Neubau von DMA Architekten besuchten immerhin rund 350 Interessierte. Gut 400 Besucher kamen zum benachbarten Bauwerk des Büros Haus-mit-Zukunft Architekten + Ingenieure und 320 zu dem von DMA Architekten in derselben Straße. Jeweils mehr als 400 Gäste in Thüringen hatten auch herrschmidt architektur in Erfurt-Hochheim, die Orangerie Belvedere von tectum Hille.Kobelt und Dr. Lutz Krause + Alexander Pfohl sowie DANE Landschaftsarchitekturen und schließlich das Berg- und Jagdhotel Gabelbach in Ilmenau.
Der Bau auf Rang zwei unserer nicht systematischen Besucherskala steht in Düsseldorf. Gut 600 Gäste empfingen die Architekten und Bauherren Wolfgang und Jasmin Sigg. Ihr Wohnhaus wurde 1929 vom Bauhäusler Karl Meinhardt für Walter Kaesbach gebaut, den seinerzeitigen Direktor der Düsseldorfer Kunstakademie. Wolfgang Sigg unterteilt die Besucherschar in „Leute aus der Nachbarschaft, Kunstinteressierte, Denkmalschutzfreunde und Architektenkollegen, die nach schönen Details gucken wollten“. Die Siggs hatten schon 2012 ihr damaliges Haus auf dem Tag der Architektur präsentiert, einen Vierseithof in Neuss-Holzheim. Da das „riesigen Spaß“ gemacht hatte, wagten sie es erneut.
Sie rechneten mit einigem Interesse, doch „die Menge hat uns schon sehr überrascht. Schon die Hälfte hätten wir sehr viel gefunden.“ Zum Andrang trug bei, dass sich regionale Vorberichte auf sein Haus konzentriert hatten: WDR, ZDF und Westdeutsche Zeitung führten es als Musterbeispiel für den Tag der Architektur vor.
Trotz oder wegen des Andrangs registrierte Wolfgang Sigg eine „ausgesprochen gute Stimmung, fast ein bisschen Gartenparty“. Und Besucher mit gutem Benehmen, die alle die „Privat“-Schilder vor dem begehbaren Schrank und dem Bad respektierten.
Unerwarteter Besucherandrang
Sehr stark im Verhältnis zur Ortsgröße war der Andrang im südbrandenburgischen Finsterwalde. Hier dämmerte das historische Schloss lange vor sich hin; die Stadtverwaltung wagte schließlich ein elfjähriges Sanierungsprojekt, geplant und geleitet von Krekeler Architekten aus der Stadt Brandenburg und Berlin. Achim Krekeler „hatte vorher mit zehn bis zwanzig Besuchern pro Führung“ gerechnet; es wurden dreimal je über hundert, nachdem sich der Bau „vom hässlichen Entlein zum Schmuckstück entwickelt hat“.
Krekeler nutzte die Gelegenheit für freundliches Lob an den kommunalen Bauherrn, der zugunsten des Denkmals auf den praktischen, billigeren Grüne-Wiese-Neubau verzichtete. „Die Stadt hat sich vorbildlich im Sinn des Denkmalschutzes verhalten.“ Den wiederum lobte der Architekt für seinen Pragmatismus: „Zwecks Barrierefreiheit genehmigt er sogar das Einfügen von Fahrstühlen und Treppenhäusern in dem Renaissance-Bau.“
Das Publikum am Tag der Architektur war fast schwerer zu beherrschen: „Der Schlosshof war voll. Ich bin kaum dagegen angekommen und hatte nach der dritten Führung keine Stimme mehr.“ Unter den Besuchern seien kaum Nörgler und Naseweise gewesen „wie diese Studenten, die eine Dehnungsfuge unpassend zum Fliesenbild fanden“. Das waren nur Einzelstimmen, „sonst hat fast Begeisterung geherrscht“.
Krekeler braucht solche Veranstaltungen nicht, um Bauherren zu gewinnen. Er ist auf Denkmäler spezialisiert und bekommt seine Aufträge „fast ausschließlich durch VOF-Verfahren“. Die Teilnahme am Tag der Architektur diene für ihn „vor allem der Imagepflege“. Auf seinen Teilnahmevorschlag hätten Partner in der Stadtverwaltung „zuerst eher skeptisch“ reagiert. Aber Krekeler weiß: „Jetzt sind sie alle stolz drauf.“ Unzufrieden ist er nur damit, dass er wegen des Andrangs und der anhaltenden Bauarbeiten im Inneren die Führung auf den Hof konzentrieren musste. „Beim nächsten Mal mache ich das professioneller“, hat er sich vorgenommen.
Die neuen Projekte schon im Blick
Platz fünf auf unserer Skala nimmt mit rund 300 Besuchern ein Bau in Bensberg bei Köln ein. Dort kennt man das expressive, die historische Burg weiterspinnende Sichtbeton-Rathaus von Gottfried Böhm aus den 1960er-Jahren. Ganz in der Nähe ist zum Rathaus jetzt das Rundhaus gekommen: ein kreisförmiger Neubau auf einem schwierigen vieleckigen Grundstück mit neun Mietwohnungen und Gewerberäumen, errichtet vom Unternehmer Wolfgang Kaiser und entworfen vom Büro Wehner + Partner aus Köln.
„Wie sieht so ein Haus innen aus?“ sei die Hauptfrage vieler Besucher gewesen, berichtet die Büro-Mitarbeiterin Julia Eisentraut. Drei Besucher-Betreuer beantworteten sie: Der Bau hat zwei Ringe mit den tragenden Wänden; die Grundriss-Segmente dazwischen sind fast frei einteilbar. Ein Arzt gewährte Zutritt zu Empfangsraum und Loggia seiner Praxis, wo Besucher laut Eisentraut „mal gucken und einfach in der Loggia sitzen konnten“.
„Wir haben fast mit allen Gespräche geführt“, sagt Eisentraut – eine immense Leistung bei 600 Gästen, die meist aus dem Ort, teils aber auch aus Köln und von weit jenseits des Rheins aus der Eifel kamen. Es gelang den Gastgebern sogar, viele in den normalerweise ödesten Hausteil zu locken, die Tiefgarage. Auch die ist nämlich rund, laut Eisentraut „gebaut wie ein Lokschuppen“. Und da sie mit ihrer Souterrain-Lage ein Stück aus der Erde herausguckt, ist sie natürlich belüftet und war am Tag der Architektur sogar besonnt. Das Büro Wehner + Partner blickt schon jetzt ein Jahr voraus, verrät Eisentraut: „2016 zeigen wir ein ganz modernes Einfamilienhaus aus Holz.“
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