Interview: Cornelia Dörries
Ein herrlicher Herbstnachmittag in Berlin. Vor dem Büroeingang prasseln braun glänzende Kastanien auf das Pflaster, und die tief stehende Sonne füllt auch die Bibliothek im dritten Stock mit Stille und diesem typischen weichzeichnerischen Oktoberlicht. Dass gleich nebenan an mehr als nur einer Handvoll großer Projekte gleichzeitig gearbeitet wird, lassen auch die Büroinhaber schnell vergessen. Kein Smartphone liegt griffbereit auf dem Tisch, und dringliche Anfragen müssen jetzt warten. Mit Konzentration und eleganter Heiterkeit nehmen sich Louisa Hutton und Matthias Sauerbruch Zeit für ein Gespräch über das Älterwerden.
Wann merkt man als Architekt, dass man älter geworden ist?
Louisa Hutton: Da gibt es wirklich viele Anlässe (lacht). Erst neulich feierte eine Mitarbeiterin ihren zehnten Jahrestag bei uns. So schön dieses Ereignis war – ich stand ehrlich gesagt unter Schock. Ich konnte es nicht glauben.
Matthias Sauerbruch: Man reift als Person, wird erfahrener und vorsichtiger, aber gleichzeitig auch toleranter. Ansonsten merkt man das Altern an seiner eigenen Umgebung. Gerade die Studenten hier im Büro blicken auf uns wie auf ihre Großeltern. Naja, vielleicht wie auf ihre Eltern.
Louisa Hutton: Wir sind viel älter als deren Eltern!
Ihre Zusammenarbeit begann vor 26 Jahren, mithin vor einer Architektengeneration. Wie waren Ihre Anfänge?
Matthias Sauerbruch: Wir haben am Neujahrstag 1989 begonnen. Es war aber mehr eine Formalie, denn wir hatten weder ein Büro noch einen Auftrag. Ich hatte bis dahin für das Londoner Büro vom OMA gearbeitet und war für das Berliner Projekt am Checkpoint Charlie verantwortlich. Dann fiel das Londoner OMA-Büro auseinander, doch ich wollte das Projekt noch beenden. Wir beschlossen, ein eigenes Büro zu gründen. Deshalb war unser Start etwas abstrakt.
Louisa Hutton: Im Zuge dieser Gründung gaben wir auch unsere Lehrtätigkeit an der Architectural Association in London auf. Diese Arbeit war zwar wunderbar und spannend, und nicht wenige Kollegen lehren dort, um über die Runden zu kommen, doch auf Dauer bot der Unterricht keine Lebensgrundlage. Wir wollten unsere Zeit und Aufmerksamkeit ganz und gar in unser Büro investieren, auch wenn wir noch keine Aufträge hatten.
Wie muss man sich Ihren Alltag damals vorstellen?
Louisa Hutton: Anfangs sind wir noch von London nach Berlin gependelt. Wir hatten natürlich die üblichen kleinen Aufträge: An- und Innenausbauten, Möbelentwürfe, Küchen. Außerdem waren unsere Betriebskosten ja wirklich gering. Das war noch vor dem Computerzeitalter. Wir haben alles mit der Hand gezeichnet.
Matthias Sauerbruch: Als wir bei einem Wettbewerb einen dritten oder vierten Preis gewonnen hatten, konnten wir von dem Preisgeld ein Jahr lang leben.
Louisa Hutton: Das war herrlich! Als würde Geld vom Himmel regnen!
Der Beginn Ihrer Selbstständigkeit fiel praktisch mit dem Fall der Mauer und der Wiedervereinigung zusammen. Eine gute Zeit für junge Architekten, um mit einem eigenen Büro in Berlin Fuß zu fassen?
Matthias Sauerbruch: Wir lebten im Grunde genommen von unserer Kreditkarte. Wir konnten unseren Mitarbeitern, alle jung und enthusiastisch, nicht viel bezahlen. Aber es war eine wunderbare Zeit. Wir hatten unser erstes Büro im ehemaligen DDR-Filmministerium in der Jägerstraße am Gendarmenmarkt. Das Haus gibt es inzwischen nicht mehr. Doch jedes Zimmer verfügte über einen riesigen Panzerschrank, darin lagen noch die alten Urkundenmappen. Das Telefon war auch ein bisschen unheimlich; da kamen Anrufe aus aller Welt an und wir hatten keine Ahnung, wer da am Apparat war.
Louisa Hutton: Es gab so viel Optimismus; es herrschte eine unglaubliche Aufbruchstimmung mit all den Kränen und der roten Info-Box am Potsdamer Platz. Alles war nach vorn offen, nichts festgelegt. Und so ging es uns auch. Wir hatten einen Wettbewerb gewonnen, der zugleich der Beginn unserer Karriere werden sollte.
Die GSW-Hauptverwaltung in Berlin-Kreuzberg.
Matthias Sauerbruch: Der Wettbewerbssieg 1990 war der große Durchbruch.
Seit diesem Gebäude ist Ihr Büro ja auch auf Farbe abonniert. Kommt die Farbe erst im Nachhinein oder denken und entwerfen Sie schon in Farbe?
Louisa Hutton: Wir denken von Anfang an in Farbe; sie ist integraler Bestandteil des Entwurfs, des Konzepts, des Gebäudes. Ob GSW, die Berliner Feuerwache oder die Experimentelle Fabrik in Magdeburg – nirgends kam die Farbe erst nachträglich hinzu. Für das Rathaus in Hennigsdorf nördlich von Berlin hatten wir auf Farbe im Außenbereich jedoch verzichtet. Weil in der Nachbarschaft alte Plattenbauten recht bunt umgestaltet wurden, beschränkten wir uns auf einen Backsteinsockel und zwei verglaste Obergeschosse. Doch die erste Frage des Bauherrn lautete: Wo ist die Farbe?
Ist es auch Ihrer Arbeit zu verdanken, dass Farbe in die zeitgenössische Architektur zurückgekehrt ist?
Matthias Sauerbruch: Wir hatten in Berlin keinen leichten Stand. Hans Stimmann, der über viele Jahre als Stadtbaudirektor in der Verantwortung war, hat Projekte von uns regelrecht verhindert. Dass wir andernorts und international mit unserer Arbeit so viel Reputation erworben haben, hat auch damit zu tun, dass wir in Berlin keinen Fuß auf den Boden gekriegt haben. Wir waren praktisch gezwungen, an Wettbewerben außerhalb teilzunehmen.
Wenn Sie auf Ihre Bauten aus den letzten 25 Jahren zurückblicken: Merken Sie, dass sich Zugriff und Herangehensweise verändert haben?
Matthias Sauerbruch: Man hat nicht mehr so diesen Eifer, den man als junger Mensch noch hatte. Dazu kommt, dass die Architektur ein langsames Geschäft ist. Allein das GSW-Projekt hat neun Jahre gedauert. Und wenn man von einem Gebäude lernen will, muss es ja auch erst mal eine Weile stehen. Wenn wir damals gewusst hätten, was wir heute wissen, hätten wir das GSW-Hochhaus ganz anders gemacht.
Louisa Hutton: Nicht, dass wir es falsch finden. Doch in wirtschaftlicher Hinsicht ist das GSW-Hochhaus natürlich verrückt. Ein hohes, schlankes Gebäude mit vier unterschiedlichen Fassaden! Aber damals dachten alle, die Mieterträge in Berlin würden bald bei 60 Euro pro Quadratmeter liegen. So ein Gebäude konnte man nur in dieser Zeit bauen. Es ist eine Kombination aus Naivität und Optimismus. Doch wir hatten Glück. Gerade bei diesem Projekt konnte sich der Bauherr unserer Aufbruchstimmung anschließen.
Matthias Sauerbruch: Wir waren so überzeugt, dass wir mit diesem Haus etwas ganz Tolles machen. Wir konnten mit unserer Begeisterung alle mitreißen. Auf der Bauherrenseite hatte bis dahin ja noch niemand ein so großes Projekt realisiert.
Louisa Hutton: Wir auch nicht (lacht).
Gibt es zwischen Ihnen eine Arbeitsteilung?
Matthias Sauerbruch: Eigentlich nicht. Natürlich hat jeder seine ganz eigenen Talente und Stärken, doch wir können uns gut in den anderen hineinversetzen und wissen, wie er denkt. Wichtige Entscheidungen treffen wir immer zusammen und diskutieren im Zweifel auch miteinander. Doch wir haben auch innerhalb des Büros viele Gesprächspartner, mit denen wir uns auseinandersetzen.
Louisa Hutton: Wenn einer unserer Mitarbeiter nicht mit dem zufrieden ist, was einer von uns sagt, passiert es manchmal, dass der dann in das Büro des anderen geht und noch mal fragt. Doch es ist noch nie vorgekommen, dass sich unsere Antworten unterschieden hätten.
Die gerade mit dem Deutschen Architekturpreis ausgezeichnete Immanuelkirche in Köln-Stammheim ist Ihr erster Kirchenbau. Erfordert Sakralarchitektur einen besonderen Zugang oder war diese Kirche für Sie eine Bauaufgabe wie jede andere?
Louisa Hutton: Kirche bedeutet Raum, und sie funktioniert nur über diesen Raum und wird auch nur über diesen Raum wahrgenommen. Das ist schon mal ein schöner Unterschied. Doch bei dieser Kirche standen wir vor der Herausforderung, zugleich einen Ort für den Alltag von zwei evangelischen Gemeinden zu schaffen, die sich die neue Kirche teilen. Denn die Gemeinden wollten nicht nur einen sakralen Raum, sondern einen Ort für ihre Aktivitäten. Für uns war es am Anfang überraschend, welche Bedeutung dieses Gemeindeleben hat.
Matthias Sauerbruch: Wir haben die ganze Zeit über metaphysische Dinge gesprochen, und den Vertretern der Gemeinden ging es darum, dass der Beamer funktioniert, wo Küche und Sanitärräume am besten platziert werden, und dass hier die Gesprächskreise, Musikproben, Kaffeerunden, Yogaabende und Kindergruppen Platz finden. Und die Herausforderung bestand darin, diesen Raum so zu fassen, dass man nicht das Gefühl hat, in eine Mehrzweckhalle zu kommen. Die Kirche ist keine leere, sakral aufgeladene Sphäre geworden, sondern ein lebendiges Zentrum, wo wirklich jeden Tag Rambazamba ist.
Wie hat die Gemeinde auf die Auszeichnung ihrer Kirche mit dem Deutschen Architekturpreis reagiert?
Matthias Sauerbruch: Die Gemeinde ist natürlich sehr stolz. Es hat auch schon ein Architektur-Tourismus eingesetzt. Noch geht er der Gemeinde nicht auf den Geist.
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