Text: Roland Stimpel
Frauen im Aufbruch
Der Titel droht mit staubtrockener Abstraktion; das Buch ist aber viel bunter und lebendiger. Es bietet beeindruckende Biografien von Pionierinnen in der Stadtplanung und Architektur und Stadtplanung: die von Melinda Kingsbury Simkhovitch zum Beispiel, Wohnungsreformerin in den USA der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, und die von Marie Frommer, die als erste Frau in Deutschland 1919 in Architektur promovierte. Gewürdigt wird auch Thea von Harbou, manchem bekannt als Inspiratorin von Fritz Langs Metropolis. Und nicht zuletzt Jacqueline Tyrwhitt, die in Theorie, Praxis und Ausbildung vielleicht wichtigste Planerin des 20. Jahrhunderts in England und den USA. Sie alle schrieben weibliche Emanzipations-Geschichte im Planerfach. Ein einheitliches Gedankengebäude gibt es nicht – dazu sind ihre Grundauffassungen und Tätigkeiten zu verschieden. Das Buch bestätigt: Eine weibliche Theorie des Städtebaus gibt es so wenig wie eine rein männliche. Es ist aber auch nicht als systematisches Grundlagenwerk gedacht, sondern beeindruckt vor allem durch die Individualität und den Mut von Frauen auf einem fast rein männlich besetzten Terrain.
Katia Frey und Eliana Perotti (Hrsg.)
THEORETIKERINNEN DES STÄDTEBAUS.
Texte und Projekte für die Stadt. Reimer Verlag 2015, 352 S., 49 Euro
Männer im Aufbau
Dies ist kein Gegenstück zum „Theoretikerinnen“-Buch, auch wenn nur Männer vorkommen. Es konzentriert sich auf die große Wachstumsepoche der deutschen Städte im späten 19. und früheren 20. Jahrhundert und auf die Bedeutung, die die Planungschefs darin hatten. Theodor Fischer prägte mit seinen Staffelbauplänen Münchens Stadträume bis heute. Anderswo entwarfen die Räte selbst eine Unzahl von Gebäuden. Der heutzutage auch in Berlin kaum mehr bekannte Baurat Hermann Blankenstein etwa entwarf genau 111 Schulen (natürlich ziemlich seriell, aber ortsbezogen), sechs große Krankenhäuser, Markthallen, Schlachthöfe und Obdachlosenasyle. Sein Nachfolger Ludwig Hofmann schuf in 28 Bauratsjahren noch mehr; erst der ab 1926 amtierende Martin Wagner sah sich mehr als „Dirigent“ eines „Orchesters der Fachleute“ denn als Multi-Instrumentalist. Meist aber zeugen die Baurats-Biografien von der Größe des bürgerlichen Zeitalters, in dem diese Männer waren wie ihre Städte: selbstbewusste, Gemeinwohl-orientierte und oft budgetstarke Bau-Herren. Last, not least hatten sie allesamt klare stadträumliche Vorstellungen, an denen es heute vielen ihrer Nachfolger mangelt.
Markus Jager/ Wolfgang Sonne (Hrsg.):
GROSSSTADT GESTALTEN. STADTBAUMEISTER IN DEUTSCHLAND.
DOM Publishers 2015, 224 S., 38 Euro
Ein Mann für den Umbau
Auch hier täuscht der Titel: Im Mittelpunkt steht kein Programm, sondern eine Person, nämlich Nordrhein-Westfalens langjähriger Bauminister Christoph Zöpel. Er managte keine Phase des Wachstums, sondern, wie die Herausgeber schreiben, eine Zeit des „Ausscherens aus technischen Zwängen und Modernisierungslogiken“ mit „Deindustrialisierung und Strukturwandel“. Vor allem im Ruhrgebiet leistete Zöpel Pionierarbeit; ein Schwerpunkt des Buchs gilt der IBA Emscherpark. Dieser Ausstiegsversuch kam zwar Jahrzehnte zu spät und konnte nur wenig von dem Elend mildern, in das sich das Ruhrgebiet mit seinem viel zu langen Festhalten an Bergbau-Subventionen und Großindustrie-Zentrierung selbst gebracht hatte. Das mindert Zöpels Verdienste jedoch nicht. Das Buch sucht und findet allerdings kaum Antworten auf die heutigen Wachstumsfragen von Metropol-Regionen, die sich auch im Südteil des Ruhrgebiets wieder stellen.
Christa Reicher, Wolfgang Roters (Hrsg.)
ERHALTENDE STADTERNEUERUNG. EIN PROGRAMM FÜR DAS 21. JAHRHUNDERT.
Klartext Verlag, 344 Seiten, 24,95 Euro
War dieser Artikel hilfreich?
Weitere Artikel zu: