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Emissionen aus dem Boden

Wegen ihrer großen Fläche im Gebäude empfehlen sich für Fußböden schadstoffarme Materialien. Dabei sollte man nicht nur auf den Belag achten

29.10.20199 Min. Kommentar schreiben

 

Von Helmut Köttner

Die gesundheitliche Qualität eines Gebäudes sollte für den Architekten mindestens ebenso wichtig sein wie seine klassischen planerischen Aufgaben, um den Nutzern gerecht zu werden. Die Innenraumluftqualität darf nicht vernachlässigt werden, nur weil sie unsichtbar ist oder die Standfestigkeit des Bauwerks nicht beeinträchtigt. Das Thema hat auch deshalb Bedeutung, weil aufgrund der zunehmenden Luftdichtigkeit der Gebäude Emissionen nicht mehr nach außen entweichen können. Ein weiterer Grund ist der „Erfindungsreichtum“ der chemischen Baustoffindustrie.

Der Fußboden hat nach den Wänden den zweithöchsten Flächenanteil in einem Gebäude. Entsprechend hoch sind die Auswirkungen auf die Raumluftqualität, wenn Emissionen daraus entweichen. Bodenflächen sind zudem chemischen und mechanischen Angriffen durch Reinigung und Nutzung (Abrieb) ausgesetzt. Außerdem sind Fußbodenaufbauten in der Regel deutlich komplexer als Wandkonstruktionen. Abgesehen von Nuancen ist der grundsätzliche Aufbau ab der Rohbetondecke immer gleich: ggf. Ausgleichsmasse, Trennlage (Sperrlage), Dämmschicht, Trennlage, Estrich, Ausgleichsmasse, Sperrgrund, Kleber und Geh- beziehungsweise Nutzschicht. Zwischen diesen verschiedenen Komponenten kann es zu unerwünschten chemischen Reaktionen kommen. Zahlreiche Schadensfälle sind darauf zurückzuführen. Bodenaufbauten sind daher stets als System zu betrachten und können nicht auf den letztlich sichtbaren Belag reduziert werden. Ein Beleg für die Notwendigkeit einer solchen gesamtheitliche Betrachtung sind die Ergebnisse aus dem Modellprojekt „Gesunder Lebensraum Schule“, das TÜV Rheinland und das Sentinel Haus Institut von 2014 bis 2016 durchgeführt hatten (Interview dazu im DAB).

Hier zeigte im Bereich Estrichbeschleuniger ein zufällig ausgewähltes Flüssigprodukt hohe Emissionen von flüchtigen organischen Verbindungen (VOC). Im Testklassenzimmer aus gesundheitlich geprüften Produkten blieb ein entsprechendes Produkt innenraumhygienisch unauffällig. Auch der Bodenaufbau aus einem geprüften System mit einer Gehschicht aus Kautschuk zeigte gute Messergebnisse.

Auch im aktuellen Projekt My Future Office wurden in einem, in dieser Form einzigartigen, europäischen Referenzraum im eco-Institut spezifische Fussbodenaufbauten wie Doppelböden sowie die emissionsarme Reinigung von Teppichböden mit Erfolg untersucht.

Die Erfahrung zeigt also, dass bei Planung und Ausführung gesundheitlich geprüfte Systemaufbauten oder zumindest von einem Hersteller als systemkonform klassifizierte Baustoffe von Vorteil sind. Durch die Vermeidung nicht vorhersehbarer Reaktionen unterschiedlicher bauchemischer Produkte untereinander bieten gesundheitlich geprüfte Komplettsysteme ein hohes Maß an Sicherheit in technischer, ökologischer und gesundheitlicher Hinsicht. Dazu kommt häufig eine verlängerte Gewährleistung durch den Hersteller.

Schadstoffaktivierung durch Sanierung

Besonders problematisch ist die Situation bei der Renovierung oder Sanierung von Gebäuden. Hier kommen neue Werkstoffe mit alten, unbekannten Produkten in Kontakt. Altlastensituationen sind durch unzulängliche oder nicht existente Dokumentationen von Bestands- und Renovierungswerkstoffen in der Vergangenheit meist völlig unbekannt. Besonders kritisch sind Gebäude, die ab Ende der 1950er bis Anfang der 1980er Jahre errichtet wurden. Gerade in Fußbodenkonstruktionen sind hier häufig Extremschadstoffe wie Asbest, Teer, Formaldehyd und PCB vorzufinden. Durch die „Bewegung von Material“ im Zuge einer Sanierung kommt es zur verstärkten Freisetzung oder Mobilisierung von Schadstoffen. Deshalb sollte hier vorher unbedingt eine Untersuchung auf Schadstoffe erfolgen (Schadstoffkataster) und eventuell rechtzeitig (wegen der notwendigen Fristen zur Beprobung) Musterflächen angelegt werden. Welche Qualität eine Raumluftmessung haben sollte, um wissenschaftlich und rechtlich Bestand zu haben, wird in diesem Beitrag erläutert. Auch wenn von vornherein schadstoffarme Werkstoffe favorisiert werden sollten, ist in der Gesamtbetrachtung der Sanierung eines Bestandsgebäudes gegebenenfalls über Produkte mit schadstoffabbauenden Eigenschaften nachzudenken. Insbesondere bei einer nur unter hohem Aufwand sanierbaren Aldehydbelastung können entsprechend ausgerüstete Fliesenbeläge zu einer Lösung beitragen.

Die Luftdichtheit der Gebäudehülle bedingt nicht nur eine Reduktion unkontrollierter Luftwechsel sondern auch Konzentrationssteigerungen zahlreicher Schadstoffe in der Innenraumluft. Neben einem Lüftungskonzept ist ein Konzept zum raumgesunden Bauen und Sanieren die Konsequenz. Grafik: Sentinel Haus Institut

Verlässliche Prüfzeichen

Gesundheitlich geprüfte Bodenbeläge und Verlegewerkstoffe sind ein Element für die erfolgreiche Realisierung guter Innenraumluftqualität. Im Dschungel der verschiedenen Gütezeichen und Label den Überblick zu behalten, ist nicht einfach. Erfordert die Bewertung des Prüfzeichens selbst doch eine genaue Kenntnis der technischen und gesundheitsrelevanten Details. Das Sentinel Haus Institut nimmt diese Bewertung im Auftrag seiner Kunden stetig vor und versammelt entsprechend qualifizierte Bauprodukte in der Onlineplattform „Sentinel Portals“ wo sich individuelle Listen zusammenstellen und kommunizieren lassen. In Zusammenarbeit mit dem Baustofffachhandel wird seit Mitte 2019 zudem „Das Grüne Regal“ etabliert, das neben einer spezifischen Sortimentsauswahl geprüft emissionsarmer Produkte eine Qualifizierung des Personals sowie eine unabhängige Auditierung der Handelsstandorte durch den TÜV Saar einschließt. „Das Grüne Regal“ schließt zudem eine Vielzahl verlässlicher Label ein und bietet so einen sicheren Weg durch die Vielfalt der Auszeichnungen

Die wichtigsten produktübergreifende Prüfzeichen sind unter anderem: das Zeichen „eco tested product“ des privaten Eco-Instituts, das natureplus-Qualitätszeichen, das Zeichen Eurofins Indoor Air Comfort GOLD. Speziell für Verlegewerkstoffe sind zu nennen das GUT-Zeichen (Gemeinschaft umweltfreundlicher Teppichboden e.V.). Für Verlegewerkstoffe wie Grundierungen und Klebstoffe gelten das Emicode EC1 plus-Zeichen und der Blaue Engel in der neuesten Fassung als im Moment bester gesundheitlicher Standard.

Gesundheitliche und ökonomische Gesamtbetrachtung

Die Projekte „Gesunder Lebensraum Schule“ und „My Future Office“ sowie zahlreiche weitere Bauvorhaben, die nach hohen innenraumhygienischen Standards realisiert wurden, belegen den direkten Zusammenhang zwischen gesundheitlichen und ökonomischen Anforderungen. Gerade im Objektbereich sowie in öffentlichen Gebäuden sind die Unterhaltskosten für Reinigung, Folgepflege und Ersatz über die Lebensdauer in der Regel deutlich höher als die einmaligen Kosten für den Belag und die Verlegung. Im Sinne des Bauherrn sind Materialien von Vorteil, deren Robustheit und Pflegeleichtigkeit eine Reinigung mit Wasser und geringen Mengen emissionsarmer Produkte erlauben. Gerade im Bereich Teppichboden verlängert eine Beratung und entsprechende Produktauswahl in Verbindung mit der konsequenten Auswahl des Reinigungsverfahrens den Werterhalt des Bodenbelages. Bei elastischen Bodenbelägen ist vor der Entscheidung für ein Produkt eine eventuell notwendige Erneuerung werksseitig aufgebrachter Befilmungen oder Öl-Wachs-Beschichtungen zu prüfen, da diese nicht nur zusätzliche Kosten sondern auch Emissionen im Gebäude verursachen können.

Prüfstück System Bodenaufbau
Prüfstück: Für die Systemprüfung eines Bodenaufbaus wird diese Probe in der Prüfkammer auf die wichtigsten Schadstoffe gemessen. Foto: Sentinel Haus Institut

Beispiel elastische Bodenbeläge

Naturgemäß sind Umfang und Art der Emissionen von Schadstoffen je nach Typ des Bodenbelags unterschiedlich. Während von keramischen und mineralischen Bodenbelägen selbst in der Regel geringe Emissionen ausgehen, sind manche elastische Beläge „Klassiker“ in der Begutachtung von Schadstoffbelastungen, haben aber durch ihre Trittelastizität ergonomische und akustische Vorteile. Diese gilt es mit der gesundheitlichen Eignung in Einklang zu bringen. Den Markt teilen sich in abnehmenden Anteilen Produkte aus Polyvinylchlorid (PVC bzw. Vinyl, CV oder Designbeläge), Linoleum und Kautschuk. Weltweit haben Bodenbeläge aus PVC den höchsten Marktanteil. Aus gesundheitlicher Sicht ist dies häufig unverständlich. Denn das Produkt weist herstellungsbedingt hinsichtlich der Innenraumhygiene entscheidende Nachteile auf. PVC, dessen Hauptbestandteil Vinylchlorid ist, ist ursprünglich hart und spröde. Erst durch die Zugabe von Weichmachern (10 bis 30 Prozent) und schwermetallhaltiger Stabilisatoren eignet es sich als elastischer Bodenbelag.

Diese Weichmacher waren bislang häufig Phthalate, die im Belag nicht fest gebunden sind, sondern ausdünsten, auswaschen oder sich im täglichen Gebrauch abreiben können. Phtalate stehen im dringenden Verdacht, Leber, Nieren und Fortpflanzungsorgane zu schädigen und wie ein Hormon zu wirken. Neuerdings werden in einigen Produkten sogenannte „Bio-Weichmacher“ wie Zitronensäureester oder Rizinusöl eingesetzt. Langzeiterfahrungen hinsichtlich der Eigenschaften dieser Produkte liegen noch nicht vor. Das Umweltbundesamt verweigert aber auch solchen PVC Produkten die Auszeichnung mit dem Umweltsiegel „Blauer Engel – weil emissionsarm“, da chlorierte Kohlenwasserstoffe in den Vergabebedingungen des Umweltzeichens (RAL-UZ 120) nicht zugelassen sind. Das Umweltbundesamt empfiehlt zudem, aus Gründen des nachgelagerten Brandschutzes, in „Anwendungsbereichen mit hoher Personendichte“ chlorfreie Materialien einzusetzen.

Mit Naturbaustoffen immer auf der sicheren Seite?

Seriöserweise muss man zwischen human- und umweltökologischen Kriterien unterscheiden. Zwar bedeutet „ökologisch“ meist so viel wie „nachhaltig“, aber nicht zwangsläufig „baugesund“. Einige Naturprodukte weisen chemische (Terpene, Aldehyde) und vor allem intensive geruchliche Emissionen auf und belasten so die Innenraumluft. Ein Beispiel unter den Bodenbelägen ist Linoleum: Hier können Geruchsemissionen durch Oxidationsprozesse von Naturstoffen entstehen, die die Grundlage des Werkstoffes bei der Herstellung sind. Diese Gerüche werden durch Aldehyde und Fettsäuren verursacht, die Abspaltungsprodukte dieser (für den Werkstoff notwendigen) Oxidation der Ausgangsbestandteile sind. Dieser produkttypische Geruch sollte vom Architekten gegenüber dem Auftraggeber erwähnt und schriftlich fixiert werden um eine eventuelle Einstufung als Mangel von vornherein auszuschließen.

Eine ähnliche Problematik besteht bei zahlreichen Holzölen und -wachsen sowie anderen auf der Baustelle aufgetragenen Beschichtungsstoffen. Auch hier werden die gewünschten Produkteigenschaften (Ausbildung einer harten, belastungsfähigen und reinigungsfreundlichen Oberfläche) durch Oxidationsprozesse erreicht. Viele der Oxidationsprodukte gehen in die Raumluft über und belasten sie mit unerwünschten Chemikalien und Gerüchen. Hier sind bei der Verarbeitung die Anwendungsempfehlungen der Hersteller hinsichtlich Vorbehandlung, Verarbeitungstemperaturen, Auftragsmengen und Ablüftzeiten konsequent zu beachten und vom Architekten zu überwachen. Dies gilt selbstverständlich ebenso für Produkte, die nur dem Namen nach „natürlich“ sind, in Wirklichkeit aber zum überwiegenden Teil aus Mineralölkohlenwasserstoffen bestehen sowie für „konventionelle“ Verlegewerkstoffe und Beschichtungen.

In diesem Zusammenhang ist ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass einige wenige „gute“ oder emissionsarme Baustoffe, wie zum Beispiel Bodenbeläge, nicht zwangsläufig ein „gesundes“ Gebäude ergeben! Entscheidend für den messbaren Erfolg ist vielmehr eine umfassende gesundheitliche Qualitätssicherung. Diese beginnt mit der sorgfältigen Auswahl aller innenraumrelevanten Baustoffe, beinhaltet die Qualifizierung von Architekten, Planern und Handwerkern und schließt eine oder mehrere Raumluftmessungen zur Zwischen- und Abschlusskontrolle mit ein.

Angesichts der Flächenrelevanz von Bodenbelägen kann eine gute Raumluftqualität dauerhaft nur dann gesichert werden, wenn die Reinigung und Unterhaltspflege mit emissionsarmen Mitteln erfolgt. Diese sind vorhanden und in ihrer Wirkung nicht schlechter als emissionsstarke Produkte, die die Anstrengungen um wohngesunde Produkte mit einem Wisch zunichtemachen können.

Dipl.-Geoökologe Helmut Köttner ist Technischer Leiter der Sentinel Haus Institut GmbH in Freiburg im Breisgau.

Mehr Informationen

Richtwerte und Empfehlungen der Kommission Innenraumlufthygiene IRK beim Umweltbundesamt für spezifische Schadstoffe oder Schadstoffgruppen hier.

Im „Sentinel Portal“ finden sich sowohl gesundheitlich geprüfte Systeme als auch einzelne geprüfte Baustoffe zu denen zusätzlich wesentliche Nachhaltigkeitskriterien vermerkt sind

Außerdem wurde eine gesundheitliche Immobilienbewertung entwickelt, die auch die Anforderungen zahlreicher weiterer Institutionen enthält. Alle erforderlichen Kriterien hierzu sind in einem übersichtlichen Dokument zusammengefasst.

 

 

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