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Die Stadt neu interpretieren

Sensible Städte: Architektur, die wahrnimmt und reagiert – das ist das Ziel des italienischen Architekten Carlo Ratti. Was er damit genau bezwecken will und mit welchen Problemen er zu kämpfen hat, erklärt er im DAB-Interview.

09.03.20164 Min. Kommentar schreiben
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Illustration: E. Merheim.

Interview: Bettina Erdmann

Carlo Ratti, italienischer Architekt und Erfinder. Am Bostoner Massachusetts Institute of Technologie (MIT) leitet er das Senseable City Lab. Seine Forschungsgruppe untersucht unter anderem, wie Technologie unser Leben verändert. Das führt zu einer neuen Weise, Städte zu verstehen, zu planen und darin zu leben. Die Arbeit des Lab zielt auf Stadtplanung, Architektur, Design, Technik, Informatik, Naturwissenschaften, Wirtschaft und darauf, die multidisziplinäre Natur der städtischen Probleme zu erfassen. Ratti stellt das Konzept Smart Cities weltweit vor.

Wenn Architektur wahrnimmt und reagiert – wie sind Städte neu zu interpretieren?

Noch in den 1990er-Jahren wurde das Sterben der Städte vorausgesagt, die Erwartungen konzentrierten sich auf die virtuelle Welt. Das Gegenteil ist eingetreten. Städte erfahren einen gewaltigen Boom. 2008 lebte bereits die Hälfte der Weltbevölkerung in Städten. Die Definition von Architektur hat sich nach meiner Auffassung dabei nicht geändert. Architekten müssen sich jedoch heute mit einem neuen Universum auseinandersetzen.

Was meinen Sie damit genau?

Bislang war das Bauwerk eine starre Hülle. Doch es ist als dritte Haut zu sehen – nach unserer menschlichen Haut und der Kleidung. Ausgehend von immer mehr vernetzter Technologie, die auf die Interaktion von Menschen und gebauter Umwelt einwirkt, muss Architektur multidisziplinär werden und diesen Veränderungen Rechnung tragen. Wie müssen funktionelle Gebäude heute aussehen? Doch nicht nur Gebäude, sondern neue räumliche Erfahrungen sind zu entwerfen.

Sie benutzen digitale Daten, um städtische Prozesse zu visualisieren.

Diese können viel über unsere Lebensweise aussagen. Seit dem ersten Handynetz 1979 hat sich die weltweite Vernetzung gewaltig entwickelt. Das Internet der Dinge wird Teil der Gebäude. Dank digitaler Netzwerke kann sich die gebaute Umwelt unseren Gewohnheiten und Verhaltensweisen anpassen. Und umgekehrt kann der Austausch von Daten über Prozesse in der Stadt zu Änderungen unseres Verhaltens führen. Das zeigte sich unter anderem bei unserem Projekt zu nachhaltiger Abfallwirtschaft. Beim Müll-Tracking wurden 3000 Abfälle aus Haushalten in Seattle mit intelligenten Tags markiert und deren Weg bis Chicago und Kalifornien verfolgt. Teilnehmer an diesem Trash-Track sagten danach, dass sie angesichts weiter und uneffektiver Müllwege ihr Verbrauchsverhalten geändert haben, um Müll zu vermeiden. Das ist eine spannende Wechselwirkung.

Kann sich lebendige Architektur nach unserem Leben richten? Und so zu einem Modell für Nachhaltigkeit werden?

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Carlo Ratti leitet am Bostoner Massachusetts Institute of Technologie (MIT) das Senseable City Lab. Foto: Lars Kruger.

Dieser zukunftsweisende Weg ist schon betreten. In unseren Projekten haben wir zum Beispiel an zwei innovativen Heiz- und Kühlverfahren gearbeitet. Viele öffentliche Gebäude mit großen Räumen werden bislang auch dann beheizt oder gekühlt, wenn sich niemand darin aufhält. Wärme oder Kühlung aber lässt sich ganz gezielt einbringen. Bei Local Warming handelt es sich um ein revolutionäres Heizsystem, das dynamische Wärmestrahlen mit Hilfe von Bewegungsmeldern auf Personen richtet. Cloud Cast hinwieder steht für ein lokalisiertes Kühlsystem, das Menschen beim Betreten in einer kühlenden Wolke einfängt. Das funktioniert wie ein Verdampfungskühlsystem – fein zerstäubtes Wasser als Alternative zur Klimaanlage.

Physische und digitale Dimension verbinden Sie in Ihren Projekten innovativ. Für Ihre Pionierarbeit zur intelligenten Stadt sind Sie bekannt. Was ist der wichtigste Aspekt an einer Smart City?

Für mich ist das die menschliche, nicht die technologische Seite. Technologie erlaubt uns heute, uns zu vernetzen und Informationen abzurufen, ganz gleich, wo wir uns aufhalten. Als Architekten, Planende und Nutzende können wir also zur Stadt zurückkehren und uns dem zuwenden, was wichtig ist: ein gutes gesellschaftliches Umfeld und eine ebensolche Qualität der von uns gestalteten Bereiche. Dabei wandelt sich die Welt des intelligenten Wohnens und der intelligenten Stadt stetig. Das müssen wir im Blick haben.

Bettina Erdmann ist freiberufliche Journalistin in Berlin.

Sie führte das Gespräch während des KlimaHaus Kongresses auf der Messe Klimahouse in Bozen.

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