Text: Stefan Kreitewolf
„Ich bin froh, arbeiten zu können“, sagt der Mann mit dem filigranen schwarzen Schnurrbart. In seinem Gesicht blitzt ein Lächeln auf. Seinen Hals schützt ein dicker Schal aus grober Wolle. Auf seiner schwarzen Steppjacke flattern die grauen Wimpel des Halstuchs im Wind. „Der Winter ist immer noch hart für mich“, sagt Sulayman Havend. In seiner Heimat, dem Irak, habe er selten frieren müssen. „Aber dahin will ich nicht zurück“, sagt der 38-Jährige, obwohl er im Norden des Landes an der Universität Dohuk unterrichtete und als Architekt den kompletten Campus plante. Heute führt er sein eigenes Planungsbüro im Kölner Stadtteil Holweide mit einer Angestellten. Derzeit realisiert er drei Projekte. Eines davon im angesagten Viertel Nippes, wo er ein Haus um zwei Etagen aufstockt. „Eine Maisonette-Wohnung ganz oben, sieht aus wie eine Villa“, verrät er mit leuchtenden Augen. „Ich bin endlich wieder Architekt“, sagt Havend stolz. Dass er sich in Deutschland auch so nennen darf, ist das Ergebnis seiner Hartnäckigkeit, seiner Ausdauer im Umgang mit Vokabeln und Paragrafen.
2009 kam er als Flüchtling nach Hessen. „Am Anfang war ich im Flüchtlingsheim“, sagt er mit dem Hauch eines arabischen Akzents in seinem akkuraten Deutsch. Er musste fünf Jahre warten – die längste Zeit auf eine Aufenthaltsgenehmigung. „Als ich die hatte, ging alles ganz schnell“, erzählt Havend. Das dauert mitunter allerdings bis zu vier Jahre. Havends Werdegang zeigt aber, wie Flüchtlingsarchitekten die Zeit dennoch nutzen können: Kurz nach seiner Ankunft schrieb er sich in Gießen für ein Masterstudium der Architektur ein und schloss die Masterprüfung nach drei Semestern mit Bestnoten ab. 2012 absolvierte er ein Praktikum beim Hochbauamt in Gießen. Noch während seines Studiums wurde er bei der Diehl Architekten GmbH in Gießen fest angestellt. Seit Oktober 2013 ist er nun in Köln. „Hier kann man sich beweisen. Gießen ist sehr klein, dort ist das nicht so einfach möglich“, sagt Havend, der derzeit einen Partner für sein Büro sucht.
„Ich genieße meine Freiheiten in Deutschland, im Irak musste ich immer vor Islamisten flüchten“, berichtet Havend. Wie dem irakischen Architekten ergeht es im Irak und in Syrien derzeit vielen. Die anhaltende Zuwanderung erreicht eine neue Dimension: Rund 1,1 Millionen Flüchtlinge kamen 2015 nach Deutschland, allein im Januar 2016 betrug die Zahl der Ankommenden etwa 90.000. Dass darunter viele Architekten sind, bekommt Elisabeth Sehrbrock von der Architektenkammer NRW immer wieder zu spüren.
Liste der Krisenherde dieser Welt
„Bis zu zehn Anfragen bekommen wir täglich von geflüchteten Menschen, die sich als Architekten anerkennen lassen wollen“, sagt die Spezialistin für Anerkennungs-Angelegenheiten. Mitunter kämen die geflüchteten Menschen persönlich, um das Prozedere in die Wege zu leiten. „Die meisten stammen aus Syrien, dem Irak, Ägypten, dem Kosovo und dem Iran“ – eine Liste der Krisenherde dieser Welt. „Die Menschen verstehen, dass wir prüfen müssen, welchen Bildungsstand sie haben“, berichtet Sehrbrock.
Flüchtlinge und Verantwortliche stecken in einem Dilemma. Das Grundproblem: Einerseits wollen die Landesarchitektenkammern den Flüchtlingen ihren Neustart nicht erschweren. Andererseits müssen sie nach dem Architekten- oder Baukammergesetz ihres Bundeslandes sicherstellen, dass nur Menschen mit ausreichendem Ausbildungs- und Erfahrungsstand als Architekten arbeiten dürfen. Das ist strikt geregelt: In NRW wird als Architekt anerkannt, wer mindestens vier Jahre studiert hat, zwei Jahre Berufspraxis und 80 Weiterbildungspunkte nachweisen kann. Das wiederum können Geflüchtete häufig nicht – wegen der unterschiedlichen Standards in der Berufsausübung und wegen der Dokumentenlage. Denn oft gehen wichtige Zeugnisse und Bescheinigungen auf der Flucht verloren. Wer um sein Leben rennt, schwimmt oder unter Zäunen hindurch-robben muss, hat Wichtigeres im Kopf als ein Stück Papier. Dennoch: „Die deutschen Architektenkammern müssen grundsätzlich auf die Vorlage der Zeugnisse bestehen – in Ausnahmefällen reicht es aber, wenn uns die Voraussetzungen glaubhaft gemacht werden“, sagt der Geschäftsführer der NRW-Architektenkammer Florian Hartmann. Das sei zum Beispiel mit einer eidesstattlichen Versicherung möglich.
Ein standardisiertes Verfahren gibt es nicht. Der Einzelfall entscheidet. Die geflüchteten Architekten werden individuell geprüft. Erste Anlaufstelle ist das Bundesministerium für Bildung und Forschung in Bonn. Dort können Architekten aus dem Ausland einen Antrag auf berufliche Anerkennung stellen und dort wird die Ausbildung eines Ausländers anerkannt. „Wenn die Unterlagen von dort vollständig sind, dauert die Anerkennung bei uns maximal einen Monat“, sagt Hartmann. Im Anerkennungsverfahren prüfen die 16 Architektenkammern, ob die Zeugnisse, Dauer und Inhalt der Ausbildung und berufliche Qualifikation ausreichen und mit den deutschen Standards übereinstimmen. Das ist nötig. Denn: „Die hohen Anforderungen für den Zugang zum Architektenberuf in Nordrhein-Westfalen bestehen zu Recht aus Gründen des Verbraucherschutzes“, erläutert Hartmann. An das Recht zur Führung der Berufsbezeichnung ist das Bauvorlagerecht gebunden. Das sei zum Schutz von Leben, Gesundheit und Vermögen bewusst auf qualifizierte Berufe beschränkt. „Allerdings gibt uns der Gesetzgeber die Möglichkeit, geflüchtete Menschen zum Architektenberuf zuzulassen.“
Aleppo hatte einen guten Ruf
Die Regelung ist sinnvoll und wichtig. Für Flüchtlinge ist das wegen der schwierigen Dokumentenlage aber oft eine hohe Hürde und für den Arbeitsmarkt ein großes Problem. Denn: Die deutsche Bevölkerung schrumpft, Fachkräfte werden rar. Eine schnellere Integration der Flüchtlinge in den Arbeitsmarkt könnte Abhilfe schaffen. Doch gerade in hoch qualifizierten Berufen ist das nicht so einfach. Das weiß auch Thomas Ehrengruber, Architekt aus Olpe. „Bei uns im Sauerland ist es sehr schwer, geeignete Berufseinsteiger zu finden“, sagt er. Als im Dezember ein junges Architekten-Ehepaar aus Syrien bei ihm vorstellig wurde und sich für einen Praktikumsplatz bewarb, hätte er am liebsten gleich zugeschlagen: „Da hat alles gepasst – menschlich, fachlich, persönlich und sogar die Arbeitsproben.“ Außerdem seien ihre Deutschkenntnisse bereits beachtlich. Für die beiden Flüchtlinge aus Aleppo, die derzeit in einer Flüchtlingsunterkunft in Kierspe leben, bietet sich bei Ehrengruber die Chance auf einen perfekten Start ins Berufsleben. „Einen der beiden würden wir nach dem Praktikum gern fest anstellen“, verrät Ehrengruber. Aber er darf nicht.
In Deutschland gilt für Flüchtlinge in den ersten drei bis sechs Monaten ein generelles Arbeitsverbot. Danach dürfen sie nur arbeiten, wenn ein konkretes Stellenangebot vorliegt. Die Ausländerbehörde leitet dies dann an die Bundesagentur für Arbeit weiter, die wiederum eine Vorrangprüfung durchführt. Damit wird geprüft, ob es am regionalen Arbeitsmarkt andere Personen mit denselben Qualifikationen gibt, die nicht auf eine Aufenthaltsgenehmigung warten. Diese Prüfung kann bis zu sechs Wochen dauern. „Wir sind gerade mitten in dem Prozess“, berichtet Ehrengruber. Er hofft, dass er eine positive Rückmeldung bekommt. Zumal das Flüchtlingsehepaar aus Syrien eine professionelle Ausbildung durchlaufen habe. „Der Kenntnisstand der beiden ist ohne Weiteres mit dem deutscher Architekten gleichwertig“, sagt Ehrengruber. Das bestätigt Florian Hartmann von der NRW-Architektenkammer: „Gerade die Hochschule in Aleppo hatte bis zu Beginn des Bürgerkriegs einen international anerkannten Ruf.“
„Was zählt, ist heute“
Siruk Hassan hat in Aleppo studiert. Er ist seit 2001 in Deutschland. Als er sich kurz nach seiner Ankunft bei einem Architektenbüro in Bonn vorstellte, wollte der Chef ihn direkt als Praktikanten einstellen. Hassan meldete sich bei der Ausländerbehörde. „Die haben das sofort abgelehnt“, sagt er. Doch er ließ nicht locker und durfte bei dem Architekten, so oft es ging, mit dabei sein. „Die Kontakte haben mir extrem geholfen“, sagt er. Nach der Flucht habe er nichts gehabt: keinen Beruf, kein Geld, keine Kontakte. „In Syrien war das anders.“ Dort arbeitete Hassan für die Stadt, hatte „ein gutes Leben“, wie er sagt: Freunde, eine 70 Quadratmeter große Wohnung, ein Auto, gesellschaftliches Ansehen. Aus Syrien geblieben ist ihm nur eine Verletzung am Rücken. Was genau geschah, darüber will Hassan nicht reden. „Was zählt, ist heute.“ Jetzt ist er glücklich. In Bornheim, im Kölner Speckgürtel, plant er im Architekturbüro Schommer Häuser und Wohnsiedlungen. Zuvor sei er „zum Nichtstun verdammt“ gewesen. Das sagt Hassan ohne Wut, denn er versteht, dass die Architektenkammern nicht das Problem sind. „Ich musste fünf Jahre auf meine Aufenthaltsgenehmigung warten“, erzählt der Kurde. „Ich mag die deutsche Gründlichkeit, aber für mich war sie lange ein Problem“, sagt der 40-Jährige mit einem Schmunzeln.
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