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Zurück Plattenbau

Ode an die Platte

Industrialisiertes Bauen diente in der Sowjetunion und der DDR zur Bewältigung der Wohnungsnot und der Modernisierung der Städte. Philipp Meuser erklärt in zwei Bildbänden die Entwicklung des Plattenbaus – und zeigt die schönsten Bauten.

28.04.20163 Min. Kommentar schreiben

Text: Stefan Kreitewolf

Bis heute verschmäht, aber noch immer aktuell: Der Plattenbau ist ein zweischneidiges Schwert für Architektur und Baukultur. Nach dem Krieg musste schnell geeigneter Wohnraum für Millionen Wohnungslose geschaffen werden. Industrialisiertes Bauen, wie es in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts im grossen Stil in der Sowjetunion und den Staaten des Ostblocks zur Bewältigung der Wohnungsnot und Modernisierung der Städte praktiziert wurde, ist noch immer das hässliche Entlein. Philipp Meuser versucht der „Ästhetik der Platte“ in seinem gleichnamigen Bildband auf die Spur zu kommen. Er beleuchtet auf 700 Seiten die Dimensionen des modulierten und seriellen Bauens. Meuser verfolgt die Entwicklung nach und erläutert den Weg der ersten Plattenbauten vom Transfer von Know-how, dem Erwerb der Lizenz aus Frankreich und den ersten fertiggestellten Gebäuden in den südlichen Sowjetrepubliken. Der Bildband ist ein Schmuckstück: Der Schutzumschlag im schlichten aber farbenfrohen Stil des Sozialistischen Realismus entpuppt sich von innen als Plakat eines Plattenbau-Wandmosaiks. Das Buch selbst ist in einen sowjetroten Einband gefasst – Goldletter inklusive. Und da ist das Buch noch gar nicht geöffnet worden. Im Innenteil des Bildband wird dann das Ausmaß der Recherche des Berliner Architekten Philipp Meuser ersichtlich.

Cover 2D

Mit 1.400 farbigen Abbildungen widmet er sich dem Plattenbau. Für seine Studie hat Meuser zahlreiche bislang unveröffentlichte Foto- und Textdokumente in Archiven auf dem Gebiet der ehemaligen UdSSR aufgespürt. In seinem englischsprachigen Werk „Towards a Typology of Soviet Mass Housing – Prefabrication in the USSR 1955 – 1995“ geht Meuser gemeinsam mit Dimitrij Zadorin ebenfalls mit 1.000 Bildern ins Detail. Dabei erkennt der Architekt einen ästhetischen Paradigmenwechsel im sowjetischen Bauen. Alles begann mit der Serienherstellung einzelner Bauteile wie Fenster und Türen . So sollten insbesondere Zeit und Kosten gespart werden.1955 ändert sich das: Nikita Chruschtschow veranlasste eine „Unmäßigkeit“ in der Baubranche. Dies sollte in Form von aufwendigen Fassaden, mossaikartigen Gestaltungen an den Kopfseiten der Plattenbauten und hochwertigeren Baustoffen realisiert werden.

„Bauen wird zum Synonym des sozialistiischen Aufstiegs“, erläutert Meuser. In den Folgejahren wird der Plattenbau weiter vorangetrieben. Aufgrund der höchst unterschiedlichen klimatischen und geologischen Begebenheiten in den zahlreichen Sowjetrepubliken wird er stetig angepasst und modifiziert. Der Plattenbau individualisiert sich und bildet heute das identitätsstiftende, bauliche Charakteristikum vieler Städte in Russland und den ehemaligen Sowjetrepubliken sowie noch immer in Teilen Ostdeutschlands.

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Meuser und Zadorin plädieren deswegen für eine vorurteilsfreie Auseinandersetzung mit der sozialistischen Architektur und singen in den beiden Büchern eine bildstarke Ode an die Platte. Doch die Bildbände sind nicht nur bildstark, sondern folgen zugleich einem wissenschaftlichem Anspruch. Die beiden Autoren zeichnen die Entwicklung der Sowjet-Architektur nach und behalten die deutsche Dimension des Plattenbaus in der ehemaligen DDR im Blick. Vergleiche zwischen den einzelnen Platetnbauten sind ausdrücklich erlaubt. Wie praktisch, dass der Verlag ein Quartettspiel (Zadorin) zum Thema aufgelegt hat und in einem Paket mit einem Gipsmodell des meistproduzierten Serientyps I-464 von Katia Sheina und dem Werk von Meuser und Zadorin anbietet. Mit dem museumsreifen Paket entdecken Platten-Fans die widersprüchliche und zugleich faszinierende Welt des Plattenbaus mit allen Facetten.

  • Philipp Meuser, DOM Publishers, Berlin, 728 Seiten, über 1.400 Abbildungen, ISBN 978-3-86922-399-5, 98 Euro.
  • Philipp Meuser / Dimitrij Zadorin, DOM Publishers, Berlin, 456 Seiten, 1.000 Abbildungen, im Set mit Quartettspiel und Modell, ISBN 978-3-86922-458-9, 68 Euro.

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