Text: Stefan Kreitewolf
Grauer Beton, wuchtige Kanten, verschlossene Türen: In vielen Städten finden sich noch Luftschutzbunker. Lange Zeit galten sie als Stein gewordene Zeugen einer fürchterlichen Vergangenheit. Jetzt erfreuen sie sich wachsender Beliebtheit. Auf den ersten Blick sind sie nicht unbedingt das, was man sich unter schönem Wohnen vorstellt. „Dunkle Wohnungen mit kleinen Öffnungsschlitzen, das sind die größten Bedenken bei Bunkern“, sagt der Bremer Architekt Rainer Mielke. Dennoch bieten Bunker viele Vorteile. „Bunker sind denkmalgeschützte Gebäude in Top-Lagen, bei der Innengestaltung ist man relativ frei, außerdem hat man ein Haus mit Vorgeschichte, das speziell und anders ist“, sagt Mielke. Er erläutert das auf seiner Website „bunkerwohnen.de“.
Mielke hat sich mit seinem Partner Claus Freudenberg auf den Ausbau alter Bunker spezialisiert. „Bunker haben keinerlei tragende Innenwände“, sagt Mielke mit einem verschmitzten Lächeln. Deswegen könne er die Räume ganz den Wünschen seiner Kunden entsprechend aufteilen und gestalten. Und ihm sind keine Grenzen gesetzt. Mittlerweile beherbergen ehemalige Bunker Wohnungen, Restaurants, Galerien, Party- und Proberäume. In Berlin gibt es hinter Bunkermauern zeitgenössische Kunst zu sehen, in München wird in Loft-Wohnungen schick gewohnt. In Wien leben Haie und Riesenschildkröten in einem Bunker-Aquarium und in Hamburg soll gleich ein ganzer Park auf dem Dach des viel diskutierten Flakturms auf dem Heiligengeistfeld wachsen. Das Buch „Bunker beleben“ von der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben listet zahlreiche umgebaute Fallbeispiele. „Die Nutzungsmöglichkeiten sind unbegrenzt und wir sind noch lange nicht am Ende“ merkt Mielke an.
Doch die Betonkerne und -wände sind dick. „Der Umbau eines Bunkers in ein modernes Wohndomizil ist alles andere als einfach und günstig“, sagt Mielke. Allein die Fenster treiben die Baukosten in die Höhe. Sie müssen buchstäblich aus dem Bunker herausgesägt werden, und das bei einer Wandstärke von zweieinhalb Metern. „Das erfordert Spezialgerät“, erklärt der Bremer Architekt, der für sich selbst eine Penthouse-Wohnung auf ein Bunkerdach gesetzt hat. Für ein aktuelles Projekt in Hamburg schnitt er Panoramafenster in einen Kriegsklotz, um extravagante Wohnungen einzubauen. „Ein Fensterausschnitt kann da schon mal zwei bis drei Tage dauern und einen fünfstelligen Betrag kosten“, berichtet Mielke. Denn oft sind die Wände mit besonders harten Splintsteinen und Stahlstäben durchsetzt. Da helfen nur diamantbesetzte Seilsägen und verstärkte Lastenkräne, die Tonnen von Stahlbeton aus dem Gebäude schaffen.
Loft statt Luftschutz
Doch zu Wohnraum umfunktionierte Bunker sind begehrt und erzielen am Markt hohe Preise – wie in Hamburg-Eilbek. „Der Bunker dort wurde komplett entkernt“, erläutert Mielke. Auf acht Etagen entstanden zwölf Eigentumswohnungen und ein Penthouse – mit Blick ins Grüne. Der Keller wurde zur Tiefgarage umgewandelt, ein Aufzug in den Betonkoloss eingebaut. Obwohl sie mit bis zu 6.000 Euro pro Quadratmeter auch für Hamburger Verhältnisse alles andere als ein Schnäppchen sind, wurden alle Wohnungen rasch verkauft. Dafür bekommen die neuen Eigentümer eine Luxusausstattung inklusive begehbarer Schränke und frei stehender Badewannen. Die Innenräume der Bunker-Wohnungen wirken klar und aufgeräumt und wurden mit Naturstein, Eichendielen und indirektem Licht gestaltet. Die Fenstereinschnitte und die Wohnräume bilden mit ihren neuen Oberflächen einen Stilbruch zur historischen Substanz des Bunkers. Dank der nackten Betonwände bleibt der morbide Charme aber omnipräsent. Zum Garten sind große Balkone vor die Fassade gesetzt worden. Das Penthouse springt von der Fassade zurück; die verbleibende Dachfläche dient als Terrasse.
Technik, Lüftung und Dämmung entsprechen modernen Standards. Klimaanlagen sind unnötig, da der Beton Luftfeuchtigkeit und Temperatur abpuffert. „Insgesamt bewirkt die große Speichermasse der Bunkerwände ein phasenverschobenes Raumklima“, sagt Mielke. Wenn in üblichen Gebäuden die Heizperiode beginne, sorgten die im Lauf des Sommers aufgeheizten Wände noch für ausreichende Temperaturen in den Innenräumen. „Dafür muss im Frühjahr länger geheizt werden, da die Bunkerwände sich im Winter abkühlen und entsprechend viel Zeit zur Erwärmung benötigen.“
Architektur des Krieges
Die Nutzlosigkeit der Hochbunker war in früheren Jahrzehnten ihr bester Schutz. Das hat sich geändert. Hierzulande gibt es einen wahren Bunkerboom, seit der Bund im Jahr 2007 die meisten Schutzanlagen zum Verkauf freigegeben hat. Die zuständige Bundesanstalt für Immobilienaufgaben hat seither mehr als 190 Hochbunker versteigert. Weitere 200 Hochbunker sollen in den kommenden Jahren veräußert werden. Zugleich facht der
Bauland-Mangel die Nachfrage an.
Bunker gab und gibt es im ganzen Land. In 61 Großstädten entstanden bis 1943 Bunkeranlagen, zumeist oberirdisch. Weil sie nicht sofort als solche zu erkennen sein sollten, formten Architekten Betonriesen in Form von Kirchen, Wohnhäusern oder Scheunen. Angedeutete Kirchtürme, Fenster-Attrappen in den Fassaden und Flachdächer zeugen noch heute von der Tarnung der Bombenbunker – eine Architektur des Krieges.
Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs hatten Besatzungsmächte, Regierung und Bevölkerung andere Sorgen, als sich um die Sprengung oder den Abriss zu kümmern. Weil Wohnraum knapp war, lebten noch Mitte der 1950er-Jahre 300.000 Menschen in Bunkern. Vielerorts wurde die brutale Optik der kontroversen Klötze mit Fassadengrün oder Wandgemälden versteckt – so wie im begehrten Düsseldorfer Stadtteil Bilk. Dort steht nicht nur der Bunker an der Aachener Straße – wie heute vielerorts – unter Denkmalschutz, sondern auch das bunte Wandgemälde an seiner Fassade. Er ist das genaue Gegenteil zu Mielkes bereits fertigem Loft-Bunker.
Bilks bunter Bunker
Dunkel, still und etwas muffig erscheint der Bilker Bunker bei einer Stippvisite. Betonmauern und tonnenschwere Metalltüren zeugen von einer längst vergangenen Bedrohung. Verwinkelte Treppenhäuser führen in leere Etagen, vorbei an Warnhinweisen und überdimensionierten Lüftungsröhren. „Platsch, patsch“, irgendwo tropft es. Im Keller steht noch der alte Dieselgenerator, blutrot lackiert und seit 1943 unbenutzt. Technik und Gebäude sind in einem tadellosen Zustand. Bis 2009 wurde der Bunker vom Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe für den Ernstfall in Stand gehalten. Die Projektentwickler Andreas Knapp und Kay Fromm haben den Bunker vor Kurzem gekauft. „Wir möchten Multifunktionsräume für kulturelle Aktionen schaffen und sie für jeden Bürger zugänglich machen“, sagt Knapp. Die Inhaber der „Küssdenfrosch – Häuserwachküssgesellschaft“ wollen außerdem das etwa 450 Quadratmeter große Flachdach des Bunkers mit ein bis zwei Wohnungen inklusive Dachgarten bebauen. Der Verkauf der Wohnungen soll die Nutzung der 1.600 Quadratmeter großen Innenfläche des Bunkers finanzieren.
Der Vorbesitzer des Bunkers hatte einen schicken Neubau anstelle des Betonriesen bauen wollen, doch dagegen sammelte die Bürgerinitiative „Bilk pro Bunker“ 1.200 Unterschriften. Knapp und Fromm, die mit ihrem Büro bereits eine alte Lederfabrik, Werkstätten und Klöster zu Wohnhäusern umfunktioniert hatten, wollten den Bunker unbedingt. Derzeit sind sie aber noch auf der Suche nach Unterlagen. „Die Statikpläne fehlen uns noch“, sagt Knapp. Deswegen verbringt er jede freie Minute in den Archiven von Stadt und Feuerwehr.
Mielke, Knapp und Fromm wollen noch weitere Bunker zu Wohnungen umbauen. Wenn er eine Genehmigung bekäme, würde Mielke gern ein Hochhaus auf einen Bunker setzen. Es sollte ganz leicht aussehen – als Gegengewicht zur schweren Vergangenheit der Betonklötze.
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