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Zurück Dämmung

Energetisch schönsaniert

In einer Hamburger Großwohnsiedlung wurde die Dämmung zum gestalterischen Mittel. Der Architekt Carsten Roth zeigte dabei viel Respekt vor Fertigteilen.

Von: Heiko Haberle
Heiko Haberle ist Redakteur von der Kurzmeldung bis zum großen...

01.11.20167 Min. Kommentar schreiben
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Edler Einsatz: Dieser Fassadentyp wurde an den Schotten und Untersichten mit champagnerfarbenen Blechen bekleidet, die eine Flankendämmung verbergen. In die neue Brüstung aus dunkelblauen Blechen sind Pflanztröge integriert.

Text: Heiko Haberle

Mümmelmannsberg ist vielen Hamburgern wohl nur als östliche Endstation der U2 und aus den Medien als sozialer Brennpunkt bekannt. Doch wie in vielen Großwohnsiedlungen entspricht der schlechte Ruf kaum der Realität. Die besteht nämlich abseits des Ortsteilzentrums zu einem Großteil aus ruhigen und grünen Wohnlagen in vier- bis fünfgeschossigen Bauten. Anders als in älteren Siedlungen sind diese nicht nur als Zeilen angeordnet, sondern zeigen deutliche Ansätze zur Blockbildung. Die Neue Heimat, die den Ortsteil zwischen 1970 und 1979 errichtete, wandte dafür auch das eigene Fertigteilsystem „elementa“ an. Schon damals war man um Variation bemüht, sodass verschiedene Haus- beziehungsweise Fassadentypen immer anders kombiniert wurden – teilweise auch variierend zwischen den Etagen oder in unterschiedlichen Rhythmen an der Hausvorder- und -rückseite.

Als ein Jahrzehnt später die Neue Heimat abgewickelt wurde, seien viele Hamburger Baugenossenschaften dazu gedrängt worden, Wohnungen von ihr zu übernehmen, wie Jörg Tondt, Vorstand der Fluwog-Nordmark, berichtet. So besitzt seine Genossenschaft also am südöstlichen Rand der Siedlung an den Straßen Heideblöck und Steinbeker Grenzdamm eine abgeknickte Abfolge aus sieben Häusern verschiedenen Typs mit insgesamt 108 Wohnungen. Als deren energetische Sanierung anstand, habe man sich zunächst in der Nachbarschaft umgeschaut: „Gestalterisch konnte uns da aber nichts überzeugen“, findet Tondt, denn meist überdecken Dämmung und Farbe den Bestand bis zur Unkenntlichkeit. Weil die Fluwog bereits bei einem anderen Projekt gute Erfahrungen damit gemacht hatte, beschloss man 2012, einen Wettbewerb auszuschreiben – was für eine energetische Sanierung im einfachen Wohnungsbau eher unüblich ist. Doch Tondt betont: „Wir wollten in diesem eher vernachlässigten Stadtteil ein Zeichen setzen.“ Als Vorgaben an die Planer wurden nur ein Kostenrahmen und zu erzielende energetische Anforderungen gestellt. Eine Jury, zu der auch Vertreter der Bewohnerschaft gehörten, hatte dann über fünf Konzepte zu entscheiden. Drei ihr bekannte Büros hatte die Fluwog eingeladen, zwei weitere hatte die Bauverwaltung vorgeschlagen. Unter letzteren war auch Carsten Roth, in dessen Portfolio eine solche Aufgabe aber gar nicht so recht zu passen schien. Das beinhaltete bis dato nämlich hauptsächlich Bürohäuser und gehobeneren Wohnungsbau, aber auch architektonisch anspruchsvolle Bauten für Logistik und Produktion.

Beim ersten Besuch vor Ort stellte auch Carsten Roth überrascht fest, ein falsches Bild von der Siedlung gehabt zu haben. Er sei angetan gewesen von den fast eingewachsenen Wohnhäusern und ihrer Fertigteilkonstruktion mit den großen Betonblumenkästen. Sogar die Waschbetonplatten einiger Bauteile, vor denen es einen heute oft grusele, seien eigentlich eine tolle Oberfläche. „Ich habe mich beim ersten Besuch spontan in die Situation verliebt und wollte den Charakter der Siedlung unbedingt erhalten“, erzählt Roth, der schließlich den Wettbewerb mit einem Konzept gewann, das explizit den „Respekt vor den Fertigteilkonstruktionen“ zum Thema macht.

Dreidimensionale Fassade: Aufbau der „räumlichen Intarsie“, die in die Loggien eingebaut wurde.

„Alles, was ich entwerfe, versuche ich räumlich zu denken. Auch Fassaden müssen für mich immer räumlich statt flach sein“, beschreibt Roth sein Entwurfsdenken. Die Häuser in Mümmelmannsberg schienen da eine willkommene Aufgabe, denn sie bestehen eigentlich nur aus Loggien – wegen ihrer Orientierung nach Süden und Westen vor allem die Straßenseiten. Weil es also kaum klassisch zu dämmende Fassaden gibt, entwickelte er eine „räumliche Intarsie“, die in die Loggien eingebaut wurde und die zweidimensionale Fensterfront ersetzt. Weil die Wohnungen bewohnt blieben, musste der Austausch an einem einzigen Tag geschehen, was zuvor an einer leeren Wohnung geübt wurde. Der Einsatz besteht aus einer Pfosten-Riegel-Konstruktion mit bodentiefen Fenstern und gedämmten Zwischenräumen sowie einer Flankendämmung an den Untersichten und Schotten, um die dortigen Wärmebrücken zu schwächen.

Dieses Prinzip wird an den drei Fassadentypen gestalterisch variiert: Beim ersten Typ, der wie ein simples Regal erscheint, ist die Flankendämmung schräg angeschnitten und mit champagnerfarbenen Blechen bedeckt, was den Eindruck einer hochwertigen Auskleidung der Regalfächer verstärkt. Das alte Brüstungsgitter wurde durch dunkelblaue Stahlbleche ersetzt, aus denen, etagenweise verspringend, Pflanztröge schräg herausragen. Die Farbkombination aus Dunkelblau und Champagner hatte Carsten Roth aus einem deutlich exklusiveren Projekt übernommen, wo sie nicht zum Einsatz kam, weil der Bauherr Schwarz und Silber bevorzugte.

Der zweite Typ besitzt als Brüstung eingehängte Betonbalken, auf denen Blumenkästen sitzen. „Diese monströsen Fertigteile in eine elegante Architektur umwandeln zu wollen, klingt erst mal aberwitzig“, findet Roth. Mit einfachen Mitteln gelang es dennoch: Die Schotten und Balken wurden weiß, die Pflanztröge grau gestrichen. Der dämmende Einsatz ist dunkelblau und in einem über die Etagen durchlaufenden Winkel schräg angeschnitten.

Der dritte Typ schließlich tritt als Lochfassade aus Waschbetonplatten mit leeren Fensteröffnungen in Erscheinung. Die Platten wurden gereinigt und Ausschnitte im Brüstungsbereich, in denen zuvor Drahtglas eingesetzt war, mit gewellten Lochblechen versehen. Der Dämmeinsatz ist hier lediglich weiß verputzt. Benachbarte Fassadenflächen an der Gebäudeecke nehmen durch die Beimischung von Steinsplittern im Putz Struktur und Farbigkeit des Waschbetons auf. Linien führen die Plattenstruktur weiter.

Trotz hoher Qualitätsansprüche war das Budget natürlich begrenzt, sodass die Eingriffe auf der Hofseite geringer ausfielen. Hier wurden die Fertigteilfassaden, die ­bereits ab Werk eine Dämmung besitzen, erhalten – aber mit einer weiteren Dämmschicht versehen. Die schmalen Putzbal­kone der durchgesteckten Wohnungen erhielten wiederum eine umlaufende Flankendämmung. Die Hauseingänge und der Durchgang zur Straße wurden mit Metallpaneelen neu eingefasst.

Energie darf nicht dominieren

Die Sanierung wurde als KfW Effizienzhaus 100 gefördert – eine Kategorie, die angewandt wird, um Altbauten auf das energetische Niveau eines Neubaus zu bringen. Das energetische Konzept beruht auf Fernwärme und einer Unterstützung durch solarthermische Flachkollektoren und einen Wärmetauscher. Zusätzlich wurden das Dach und die Kellerdecke gedämmt. Die neuen Fenster haben eine 3-Scheiben-Verglasung. Über Auslässe in ihren Rahmen erfolgt eine bedarfsgesteuerte Belüftung. Die Abluft wird über die Badezimmer abgesaugt. Neben den Fenstern befinden sich Vertikalheizkörper. Der errechnete Primärenergiebedarf liegt bei 54,6 kWh/m²a gegenüber einem Wert von 153,1 vor der Sanierung. Der errechnete Endenergiebedarf liegt bei 43,3 kWh/m²a. Diese Erfolge werden von Carsten Roth eher nebenbei kommuniziert, denn das Thema Energiedesign hat für ihn einen falschen Zungenschlag bekommen: „Ich halte es für selbstverständlich, dass neueste technische Erkenntnisse umgesetzt werden. Aber man sollte nicht so viel darüber reden, sondern über die Architektur, die oft zu kurz kommt. Das ist wie bei einem Essen, über dessen Qualität trefflich diskutiert werden kann, aber nicht darüber, dass es außerdem auch heiß sein muss. Das versteht sich von selbst.“

Für den Architekten ist vor allem wichtig, dass seine Projekte ästhetisch nachhaltig sind. Im Fall Mümmelmannsberg scheint ihn das Nutzerverhalten zu bestätigen: Die Balkone sind hochwertiger möbliert als im unsanierten Abschnitt eines anderen Eigentümers nebenan und werden nicht mehr als Abstellfläche genutzt. Obwohl die Fertigstellung im Herbst war, wurden sofort Blumen gepflanzt. Dass auch außerhalb der Pflanztröge an den Brüstungen Töpfe angebracht werden, störe die Architektur ebenso wenig wie die individuellen Markisen, findet Roth.

Auch Jörg Tondt bestätigt, dass das Ergebnis gut angenommen wird. Er lobt außerdem die intensive Zusammenarbeit zwischen der Genossenschaft und den Planern, mit der in vielen Bereichen Neuland beschritten wurde: „Das war schon teilweise experimentelles Bauen.“ Aus diesem Grund könne man sich eine solch aufwändige Sanierung nicht überall leisten. Schließlich schlagen die neue Haustechnik und die Fassade mit fast 60.000 Euro pro Wohnung zu Buche, wohingegen bei der Fluwog sonst 35.000 bis 40.000 Euro üblich seien. Für besondere Objekte in prominenten Lagen sei die Sanierung in Mümmelmannsberg aber vorbildhaft. Carsten Roth hält vor allem seinen räumlichen Entwurfsgedanken für einen übertragbaren Ansatz bei einer Fassadensanierung: „So eine Aufgabe verlangt nicht bloß ein Aufhübschen oder ein Überdecken mit einer neuen Haut, sondern sollte einer architektonischen Idee folgen.“ Im Idealfall wird dann der Bestand, wie in Mümmelmannsberg, nicht nur energetisch, sondern auch architektonisch besser.

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