Text: Wolfgang Bachmann
Jetzt im November erinnern wir uns wieder daran: Friedhöfe. Es sind eigenartige Orte. Der Name soll sagen, dass für die dort Beigesetzten ein Zustand erreicht ist, um den sie zu Lebzeiten kämpfen mussten: Ruhe und Frieden. Wenn dagegen abends auf den Straßen nichts los ist, spricht man von Friedhofsruhe. Dabei hat selbst die umtriebigste Stadt viel gemein mit einem Gottesacker (so die alte christlich geprägte Bezeichnung). Hier wie dort sind Parzellen an Verkehrswegen angeordnet. In der Stadt stehen darauf überwiegend aus Stein gebaute Häuser, auf den Gräbern reduziert sich der Materialverbrauch auf einen einzigen Brocken. Das letzte Hemd hat keine Taschen, heißt es doch, dazu passt die knappe Baumaßnahme.
Ein Vergleich mit der Architektur drängt sich geradezu auf. Man kann sagen, die Geißel des Unverstands verfolgt uns bis ins Grab, sie ist sozusagen unsterblich. Es könnte ein Trost sein, ein Indiz für das ewige Leben.
Denn was sehen wir auf den Gräbern? Exakte Abbildungen unserer Alltagsarchitektur – vielleicht von Einfamilienhausgebieten: die gärtnerischen Flächen, auf denen Puttos die Aufgabe der Gartenzwerge übernommen haben, die geharkten und schwarz gemulchten Beete mit sauber gestutzten Bosketten, die zunehmend von der aus den Vorgärten bekannten pflegefreien Splitkultur abgelöst werden. Dann die Grabmale! Eins individueller als das andere. Aber alle ähnlich, genau wie die Neubauten an den Ortsrändern. Lebhaft gemaserter Naturstein mit entschärften Kanten, gerne fettig poliert, ins Schwartenmagen-hafte spielend. Schriften wie aus dem Kirchengesangbuch, unentschlossen zwischen Grotesk und Antiqua, suchen eine Mitte. Manchmal sind rustikale Bronzebuchstaben auf einem unregelmäßigen Findling verteilt. Am schlimmsten ist das skulpturale Kunstgewerbe, bildhauerisch Geklöpfeltes. Wie erfreulich, wenn man einen geraden Stein entdeckt, mit einen Schriftblock am rechten Platz. Sichtbeton ist so verpönt wie in den Wohngebieten.
Es gibt historische Friedhöfe, in Wien, Berlin oder München, auf Amrum. Schön wie Altstädte – wieder eine Parallele. Wenn ich dagegen einen neuen Friedhof sehe, weiß ich, warum ich nicht sterben möchte.
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