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Trauben-Anbau

Der Architekturpreis Wein prämiert zeitgenössische Bauwerke für Genießer. Das DAB stellt die Gewinner 2016 vor.

01.12.20169 Min. 1 Kommentar schreiben
Gläsern: Die Winzergenossenschaft Buchholz-Sexau am Kaiserstuhl ließ sich von fuchs.maucher.architekten...
Gläsern: Die Winzergenossenschaft Buchholz-Sexau am Kaiserstuhl ließ sich von fuchs.maucher.architekten…

Text: Wolfgang Bachmann

Bernhard Reichenbach war in Köln bei Peek & Cloppenburg. Und schwärmt. Nicht von den Boss-Anzügen, sondern von dem Gebäude. „Das hat ein international berühmter Architekt gebaut. Wie hieß er doch gleich?“ Renzo Piano? „Genau.“ Reichenbach ist Vorstandsvorsitzender der Winzergenossenschaft Buchholz-Sexau und hat „einen Blick für Architektur“, sagt er.

...einen transparenten Neubau errichten.
…einen transparenten Neubau errichten.

Als es vor zwei Jahren darum ging, ein neues Haus für Traubenannahme, Verwaltung und Weinverkauf zu bauen, hat er sich mit seinem Vorstand gründlich umgesehen, was es an Vergleichbarem gibt, und dann seine Kollegen bearbeitet, damit keine gemütliche Kaiserstühler Wirtshaus-Architektur entstand. Das hat er hinbekommen: „Ich bin Steinbock, da hab ich nicht nachgegeben.“ Ende November wurden seine Hartnäckigkeit und das Werk von fuchs.maucher.architekten aus Waldkirch mit dem Architekturpreis Wein 2016 belohnt.

In der Vinothek wird präsentiert, probiert und verkauft.
In der Vinothek wird präsentiert, probiert und verkauft.

Der Preis wird seit 2007 alle drei Jahre vergeben, nachdem man sich zuvor in mehreren Symposien zum Thema „Wein + Architektur“ dem Vorhaben genähert hatte. Es handelt sich um eine gemeinsame Initiative der Architektenkammer Rheinland-Pfalz, des Wirtschaftsministeriums und der Weinbauverbände. Teilnehmen können alle Regionen, in denen in Deutschland Wein angebaut wird. Baden-Württemberg leistet einen Beitrag, indem es die Preisverleihung in Stuttgart auf der Wein-Fachmesse übernimmt.

Die Pfalz ist seit Jahrhunderten ein Kernland des deutschen Weinbaus. Einige Güter haben sich in der Zeit mit schlossartigen Herrenhäusern etabliert, daneben gab es bescheidene Winzerbetriebe, die auch im Nebenerwerb bewirtschaftet wurden. Nach dem Krieg, als man erst mal auf die schiere Massenproduktion setzte, folgten auch die Bauten für die Weinerzeugung und Weinvermarktung lange Zeit dem Bauwirtschaftsfunktionalismus. In kleinen Dörfern breiteten sich Produktionshallen aus, wie man sie von Heimwerkermärkten kennt, zur Wiedergutmachung wurde falsches Fachwerk appliziert und ­altes Küfergerät hinter neuen Butzen­scheiben drapiert. Architektur ereignete sich anderswo.

Einladend: Empfangsraum des Weinguts Emmerich Koebernik im Waldböckelheim von der Planungsgruppe Prof. Focht + Partner
Einladend: Empfangsraum des Weinguts Emmerich Koebernik im Waldböckelheim von Hille Architekten aus Ingelheim

Eine Bauaufgabe wird entdeckt

Ende der 1980er-Jahre dann das: Die Granden der Architekturszene bauten für Weingüter in Kalifornien und Südeuropa – unter anderem Michael Graves, Herzog & de Meuron, Santiago Calatrava, Mario Botta, Rafael Moneo, Hermann & Valentiny und Steven Holl. Die Südtiroler Kollegen übernahmen als Erste die Stafette, da vertraute man in Franken noch auf die heilenden Ornamente von Friedensreich Hundertwasser.

Wenn es heute auch in Deutschland „Weinarchitektur“ gibt, bedeutet das weder, dass die Architekten die Winzer als vernachlässigte Zielgruppe aufgetan hätten, noch dass deren Betriebe glaubten, mit etwas Budenzauber den Umsatz anzukurbeln. Dass „Bauen als Instrument des Weinmarketings“ erkannt wurde, beruhte auf mehreren Voraussetzungen. Vielfach hatte in den Gütern ein Generationswechsel stattgefunden. Manchmal begann der Neuanfang mit grafisch aufgeräumten Flaschenetiketten. Die Versuchung, auch im großen Maßstab den juvenilen Aufbruch zu demonstrieren, erfüllte dann das Bauen. Unternehmensberater würden „Corporate Identity“ soufflieren.

Erstaunlich ist es, wie rigoros die Winzer alte Klischees aufgegeben haben. Nix Kellenwurfputz, abgehängte Holzdecke und ein paar alte Wagenräder im Hof! Die Idee, ihrem neuen Turmwohnhaus eine Cortenstahlfassade zu geben, kam von den beiden jungen Winzerinnen Dorothee und Karoline Gaul, die in Sausenheim das elterliche Weingut übernommen haben. Auch die reduzierten, präzisen Schreinerarbeiten in ihrer Vinothek zu besichtigen, lohnt den Besuch. „Wir bauen heute nicht mehr so wie in den 1990er-Jahren“, geben die Schwestern mit auf den Weg. Ähnlich konsequent werden die Kunden bei Emmerich Koebernik in Waldböckelheim empfangen. Die Diele zu den neuen Probier- und Verkaufsräumen, entworfen von Hille Architekten aus Ingelheim, könnte auch zu einer ambitionierten Anwaltskanzlei führen – hätte man nicht den Wein aus dem angrenzenden Kelterhaus in der Nase. Kaum Farben, die weißen Wände stehen unvermittelt auf dem mit Lava-Asche ausgeführten Estrich, raumhohe Türen schließen bündig an, die Bänder verschwinden im Falz, nur die Tresen aus Corian tanzen schwungvoll aus dem rationalen Konzept. Die großen Fenster in goldbronzenen Alurahmen machen neugierig, was sich drinnen tut. Jetzt trauen sich auch andere Kunden herein. Zuvor fand man die im Hof verborgene rustikale Klause nur, wenn man den Weg kannte.

Buchstabe: An ein großes A wie Architektur erinnert der Bau von Elmar Ludescher und Philip Lutz...
Buchstabe: An ein großes A wie Architektur erinnert der Bau von Elmar Ludescher und Philip Lutz…

Aber man darf es nicht übertreiben. Ralph Anton, der sich in Kirrweiler vom Innenarchitekten Thomas Blinn aus Weingarten eine keck aus der Häuserflucht ragende Vinothek hat bauen lassen, warnt: „Wenn es zu modern ist, sagen die Leute: Da kann ich ja auch in München irgendwo hingehen.“ Die Losung heißt „zeitgemäß“: kein Plastik, kein Chichi, stattdessen bodenständige Materialien wie massives Holz, kantiger Stahl, dazu Lehmputz und Filz. Auch Sichtbeton.

Statt Dorfdisco und Probierstube – Vinothek

Chice Vinotheken fallen in den Dörfern am ehesten auf, auch unter den 50 Einreichungen zum Architekturpreis Wein waren es 25. Das Schöne: Die Losung ist längst übergesprungen. Man entdeckt in vielen Weingütern auf einmal zwischen dem alten Kellergemäuer ein paar eisenglimmernde Stahlschwerter, die vom Pflaster bis zur Decke reichende Glasscheiben halten. Dahinter liegt ein heller kleiner Raum mit einigen Kastenmöbeln und offenen Regalen voll eleganter Stielgläser. So wird heute Wein verkostet; auf einen Architekturpreis spekuliert man gar nicht. Die neuen Genießer-Anlaufstellen setzen auf Authentizität und Echtheit, auf emotionales Dabeisein. Angesprochen werden die Kunden, die dem „Goldenen Oktober“ vom Discounter abgeschworen haben, die sich unverkrampft als Weinkenner bestätigen wollen. Die heute produzierten Qualitätsweine verlangen eine moderne Umgebung. Dazu gehört es auch, dass man den interessierten Besuchern seine Keller zeigt, dass man in den Barriquekeller sehen kann und in die Hallen, in denen turmhohe Edelstahltanks mit temperaturgeregelter Gärung und beeindruckenden Pressen stehen. Die Weinherstellung wird inszeniert.

Hausgruppe: Für das Weingut Büttner in Nordheim am Main ersetzten Schlicht Lamprecht Architekten...
Hausgruppe: Für das Weingut Büttner in Nordheim am Main ersetzten Schlicht Lamprecht Architekten…

Bei Franz Keller in Vogtsburg-Oberbergen bietet das neue Gut Gelegenheit, dabei zu sein. In seiner vom Freiburger Architekten Michael Geis gestalteten „KellerWirtschaft“ kann man bei der Degustation sowohl über die Wingerte des Kaiserstuhls sehen als auch in den Bauch des Gebäudes, wo sich glänzende Tanks und mächtige Holzfässer reihen.

...einen Altbau.
…einen Altbau.

Es könnten Dampfmaschinen sein, man wähnt sich auf einem Ozeanriesen oder in einer Molkerei. Die Einrichtung erinnert an einen hygienischen Industriebetrieb und nicht an den tiefen Keller, in dem ein Zecher bei einem Fass voll Reben sitzt, wie es in einem Trinklied heißt. Dies ist ein weiterer Anlass, es mit einem Neubau zu versuchen: Die Weinproduktion hat sich inzwischen verändert. Man kann nicht mehr in den verwinkelten, dunklen Gebäuden, die mehr zufällig oder nach Erbfolge und Einheirat arrondiert wurden und für Ochsenkarren ausgelegt waren, konkurrenzfähig Spitzenweine herstellen. Die Technologie der Kellerwirtschaft verlangt fast akademische Kenntnisse der Vinifikation. Dazu gibt es Beratungsunternehmen, die Produktionshallen planen und die Ausstattung liefern. Das Kellereizentrum Wagner in Alzey gehört dazu; es wurde für seine Architektur von Gehbauer Helten aus Oppenheim am Rhein ausgezeichnet.

Für effiziente Funktionsabläufe im Weingut muss man alle folkloristischen Vorstellungen beiseite lassen. Franz Kellers Neubau in Vogtsburg-Oberbergen ist eine Synthese von logischer Produktion und verträglicher Landschaftsplanung. Es wurde kein rustikales Gebäude erfunden, das sich romantisch an die regionale Bauweise anlehnt. Stattdessen fügt es sich in die geneigte Topografie der Weinberge, seine auskragenden, begrünten Geschossdecken, die sich vor den (verglasten) Fassaden auf runden Betonsäulen mit einem Kegelkapitell abstützen, staffeln sich wie verschobene Kuchenbleche übereinander. Die dem Hangverlauf folgenden Funktionsräume erlauben dadurch einen Ablauf nach dem Prinzip der Gravitation, das heißt, das Lesegut und die Maische können ohne Pumpen und Förderbänder abwärts zu den Pressen transportiert werden. Darunter liegen die Keller, das Flaschenlager und schließlich eine weitere Zufahrt, wo die verpackte Ware ausgeliefert wird.

Ein Weingut muss funktionieren

So großartig sind die Investitionen nicht immer. Bei Büttner in Nordheim am Main mussten Schlicht Lamprecht Architekten aus Schweinfurt für neue Produktionsabläufe auf engstem Raum planen. Zuvor hatte man sich mit Provisorien beholfen, eine Garage zu einer Probierstube umgebaut und für die einstweilige Erweiterung ein Grundstück auf der gegenüberliegenden Straßenseite erworben. Damit ließ sich wirtschaften, aber es war hinderlich. Als schließlich das alte, in die Jahre ­gekommene Nachbarhaus nicht mehr bewohnt wurde, konnte man es kaufen, abreißen und mit einem Neubau den eigenen Betrieb nach praktischen Funktionswegen organisieren. Blickfang zur Straße ist zudem eine Vinothek.

Ein anderer umfassender Neubau steht in Wasserburg am Bodensee. Das Weingut Schmidt hat sich etwas oberhalb seines 300 Jahre alten Weinguts ein neues Etablissement errichtet, das mit seinen typischen Fassadenleisten die Handschrift Vorarlberger Architekten erkennen lässt – hier waren es Elmar Ludescher und Philip Lutz aus Bregenz.

In Wasserburg wird die Hanglage für eine Produktion gemäß der Schwerkraft genutzt. Durch eine seitliche Zufahrt unter der Traufe wird das Lesegut angeliefert, gekeltert und als Traubensaft nach unten in die Fässer geleitet. Die An-, besser: Aussichtsseite des Holzgebäudes wendet sich mit ihrem Giebel zum See. Durch Öffnungen und die Einbettung in die Topografie erinnert die Figur an ein großes A – wie Architektur. Genehmigt wurde es nach dem „privilegierten Baurecht“ für die Landwirtschaft nach § 35 BauGB.

Aber die Baugeschichte, die ganze Historie, die Tradition der Herrenhäuser, das ist alles vergessen? Überhaupt nicht. In Ingelheim wurde das Ende des 19. Jahrhunderts als großbürgerliches Anwesen errichtete Weingut Neus mit einem neuen Verkaufsraum ausgestattet, und die angrenzenden verstellten Stuben sind unter strenger Beobachtung der Denkmalpflege frisch herauspräpariert. Damit will der neue Besitzer nicht nur der übernommenen Rotweintradition „neuen alten Glanz“ verleihen, sondern auch dem Gebäude. Der Architekt hätte „es gern noch ein bisschen frecher gemacht“, aber es passt.

Kann man sich so eine fruchtbare Kohabitation auch mit Architektur und Kartoffeln, Bier oder Schnittblumen vorstellen? Selbstverständlich. Baukultur ist nicht das Ergebnis der Ökonomie, sondern ihre Voraussetzung.

Wolfgang Bachmann ist Architektur-Publizist in Deidesheim an der Weinstraße.

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1 Gedanke zu „Trauben-Anbau

  1. Im Arktikel werden nicht alle ausgezeichneten Betriebe genannt.

    Es fehlen:
    Vinothek Weingut Meyer, Heuchelheim-Klingen, Werkgemeinschaft Landau Freie Architekten, Landau (Preis)
    Weingut am Stein, Würzburg, hofmann keicher ring architekten, Würzburg (Auszeichnung)
    Vinothek Weingut Borell-Diehl, Hainfeld, Rheinwalt Architekten, Edesheim (Anerkennung)
    Vinothek Weingut Reiss, Würzburg, archicult GmbH – breunig architekten, Würzburg (Anerkennung)

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